Gleich knallt's. Eva Encke
wissen, was Gunilla dazu sagen würde. Denn das wusste sie, Gunilla stand Ärzten durchaus ablehnend gegenüber. Und ärztliche Aufgaben durften schon gleich gar nicht von den Schwestern übernommen werden. Vielleicht steck ich es ihr heute Nachmittag, das wird sie ablenken, überlegte Gabi.
„Bestimmt eine Schweinerei“, mutmaßte Knut. „Auf der Intensiv fällt ihr auch ständig was ein. Sie kommt „Schwester Gabriele, ich habe Sie aus mehreren Gründen hergebeten. Das Wichtigste ist, dass mir Ihr Ton den Patienten gegenüber gar nicht passt. Es ist nicht zu tolerieren, dass Sie alle Patienten duzen und noch dazu diese flapsigen Sprüche von sich geben. Sie wissen, hier liegen ausschließlich kranke Menschen, deren Würde mit Achtung begegnet werden muss. Höflichkeit, Zuwendung und Respekt den Patienten gegenüber ist das Mindeste, was ich von meinen Schwestern fordere. Ich garantiere Ihnen, ich werde Sie in der nächsten Zeit genau beobachten. Falls Sie wieder auffällig werden, muss ich mir disziplinarische Maßnahmen vorbehalten. Überdenken Sie also Ihr Verhalten und ändern Sie es.“
Gabi starrte die Pflegedienstleitung an.
„Aber, aber“, stammelte sie, „die Männer auf der Chirurgischen, wenn die nur so einen Knochen kaputt haben, dann kann man sie nicht wie Todkranke behandeln, dann muss man sie bei Laune halten, sonst werden sie aggressiv. Und so ein paar flotte Sprüche wirken Wunder auf die Stimmung. Das ist doch nichts Schlimmes … das …“
„Das wird es in diesem Krankenhaus jedenfalls nicht mehr geben. Wir verstehen uns? Da ist noch eine zweite Sache. Ich habe ihre Papiere durchgesehen und dabei festgestellt, dass da eine Lücke ist, kurz nach ihrer Ausbildung, eine Lücke von vier Jahren, wo keine Anstellung nachgewiesen ist. Dafür müssten Sie noch Papiere nachreichen.“
„Da hab ich gar nicht gearbeitet, ich war verheiratet. Erst nach der Trennung bin ich wieder in den Beruf. Dafür gibt’s keinen Nachweis oder wollen sie eine Bestätigung von meinem Ex? Ich weiß gar nicht, ob ich seine Adresse habe. Ist das alles, Frau von Wolfersdorf?“ Diese nickte huldvoll.
Gabi ging zum Ausgang. „Mist, Mist, Mist“, fluchte sie leise vor sich hin.
Hinter ihr lachte jemand. „He, Gabi, war’s schlimm? Lass uns nachher eine kleine Tour machen und dann erzählst du mir alles. Okay?“
Gabi freute sich, dass Knut die Motorradtour vorschlug. Der Fahrtwind würde ihr den Kopf schon wieder frei machen. Motorradfahren war ihre große Leidenschaft, die sie mit Knut und einigen anderen verband. Sie nannte sie im Stillen die Mopedgang.
Knut war ein echter Kumpel und außerdem noch gut aussehend. Warme braune Augen und ein anziehendes Lächeln, dabei einen Superbody, aber leider, leider nicht für die Damenwelt. Ein Umstand, den die Schwestern schon oft bedauert hatten. Knut stand nun mal hundertprozentig auf Männer und dabei noch nicht mal auf junge, eher auf ältere, grau melierte.
„Weißte, Gabi“, hatte er ihr mal anvertraut, „vielleicht suche ich so was wie ’nen Vatertyp. Mein Vater war ja eher abwesend, als ich Kind war. Wenn jemand eine tiefe Stimme und graue Haare hat und souverän rüberkommt, dann fahr ich eben voll drauf ab. Schade bloß, dass diese Typen dünn gesät und dann auch noch hetero sind. Nun, irgendwann find ich ihn vielleicht, den Bestimmten. Bis dahin muss ich mich wohl mit dir rumplagen und meine Freizeit mit Mopedfahren vergeuden“, grinste er sie an. „Du, ich hab da eine Supermaschine gesehen, total scharf, aber natürlich nix für meinen Geldbeutel. Nachdem es letztes Jahr mein Baby zerlegt hat, knabber ich immer noch daran, die Suzuki abzubezahlen. Obwohl, du weißt ja, Japaner sind eigentlich nicht so mein Ding.“
Über Gabis Aussprache mit Gunilla konnte Knut lang und anhaltend schimpfen. Die hätte ja keine Ahnung und langsam müsste man der mal Einhalt gebieten. Nur gut, dass seine Patienten überwiegend im Koma lagen und seine flotten Sprüche nicht hören konnten und Gunilla durch die Glasfenster der Intensivstation schon von Weitem zu sehen war, sonst müsste er sich schon längst eine neue Stelle suchen.
Gabi schaute nur unglücklich drein.
„Immer hab ich so ein Pech im Leben, erst so einen lahmarschigen Ehemann und dann all die Nieten, auf die ich immer wieder reinfalle. Obwohl Michael … ach, er ist auch nicht so … Eine verdammte Scheiße ist das. Bisher war der Spaß an der Arbeit das Stabilste in meinem Leben, aber jetzt … Ich glaub, ich geh so bald wie möglich in Rente. Wenn ich es mir leisten könnte, würde ich früher aufhören. Ich hab es mir mal ausrechnen lassen. Du, ich müsste auf ein Drittel der Rente verzichten, wenn ich früher gehe. Das reicht nicht zum Leben. Erst recht nicht für mich und meine Maschine. Ein Leben ohne ein wenig Spaß, da könnt’ ich mich doch gleich um die Ecke bringen. Ne, ne, ich muss durchhalten, egal wie schlimm die Gunilla ist. Vielleicht, ja vielleicht bleibt die ja nicht so lange hier am Haus. Sie könnte ja schwanger werden, man munkelt doch, dass sie sich ein Kind wünscht oder sie könnte was Besseres finden oder sie geht dem Klinikchef so auf die Nerven, dass er sie auch loswerden will.“
„Davon träumst du auch nur“, grinste Knut.
„Ach, lass uns von was Nettem sprechen, viel schlimmer kann es doch gar nicht mehr werden. Außer, dass sie mir das freie Wochenende streicht. Aber so was bin ich ja schon gewohnt. Leid tät es mir schon um unsere Tour. Jetzt ist endlich das Wetter dafür, und wer weiß, was später kommt.“
Knut grinste, „Jau, auf die erste Fahrt im Jahr freu ich mich schon lange. Aber was ist übrigens mit Michael? Sollte der nicht bald zurückkommen?“
„Ach weißte, so fest ist das mit uns nicht und außerdem glaub ich, dass die Sache am Versanden ist. Richtig Sehnsucht nach ihm hab ich jedenfalls nicht und ’ne Motorradtour zieh ich dem Michael allemal vor.“
Lotte
Die letzten Tage waren an Charlotte Reinermann vorbeigezogen wie ein Film.
Die Einlieferung ihres Mannes ins Krankenhaus, die Notoperation, die Intensivstation, all das brachte Lotte an die Grenzen ihrer nervlichen Belastbarkeit. Der Gedanke, dass sie um ein Haar plötzlich allein im Leben gestanden hätte …
Lotte wagte es nicht, das zu Ende zu denken. Ihre Kinder waren längst aus dem Haus, lebten ihr eigenes Leben, kamen nur zum Geburtstag oder zu Weihnachten mal vorbei. Was wäre, wenn …? Nein, es war alles gut gegangen. Reinhard würde sich wieder erholen. Sie war nicht allein, brauchte keine Angst mehr zu haben. Aber der Schock saß tief in Lottes Unterbewusstsein. Die Angst umklammerte sie immer noch und machte Lotte nervös und aggressiv.
Und dann diese schreckliche Intensivstation!
Die Hektik, das nervtötende Piepen der Geräte, die permanenten Kontrollen und die grelle Helligkeit brachten Lottes Seelenfrieden vollends durcheinander. Während ihr Mann sich allmählich von den Strapazen der Operation erholte, wurde Lotte von Tag zu Tag reizbarer.
„Mein Mann schläft so schlecht, können Sie ihm nicht etwas Wirksames für die Nacht geben?“, so hatte sie den Pfleger Knut ganz freundlich angesprochen. Doch als dieser dann erwiderte, ihr Mann bekäme bereits ein starkes Schlafmittel und weitere Medikamente seien nicht erforderlich, war Lotte total ausgerastet.
„Können Sie als Pfleger überhaupt beurteilen, ob ein Schlafmittel wirksam ist oder nicht? Und wenn mein Mann nicht schlafen kann, ist es eben nicht wirksam. Ich möchte sofort den Chefarzt sprechen, schließlich ist mein Mann Privatpatient, da lass ich mich doch nicht von so einem … so einem … so einer Hilfskraft, wie Sie es sind, abspeisen.“
Lottes Puls raste, ihr wurde schwindlig, während Pfleger Knut mit stoischer Ruhe die Schultern zuckte und sich umdrehte.
Wenig später verließ Lotte das Krankenhaus und machte einen Spaziergang durch Dortmund-Hörde. Doch der Verkehrslärm und die hastenden Menschen trugen nicht zu ihrer Beruhigung bei. Erst in einem Straßencafé bei einem Cappuccino fand sie ihre Fassung wieder.
Von diesem Schnösel lasse ich mir nichts gefallen, schwor sie sich und bestellte zur weiteren Stärkung ihres Selbstbewusstseins einen Ramazzotti auf Eis.
Gegen 18.00 Uhr kehrte sie zurück an das Krankenbett ihres Mannes. Sie wollte überprüfen, ob er heute endlich feste Nahrung zum Abendessen bekam.
Aber