Verblöden unsere Kinder?. Jürgen Holtkamp

Verblöden unsere Kinder? - Jürgen Holtkamp


Скачать книгу
entwickeln und Perspektiven für den verantwortungsvollen Umgang mit Medien aufzeigen? Meistens werden Pädagogen oder Psychologen jedoch erst dann gehört, wenn das „Kind“ sprichwörtlich in den Brunnen gefallen ist.

      Wenn ein Jugendlicher ein Attentat – wie jüngst in Winnenden – in einer Schule verübt hat oder durch Bombendrohungen im Internet aufgefallen ist, wird gefragt: Wie konnte so etwas passieren? Warum hat niemand im Vorfeld etwas bemerkt? Wer hat versagt? Wo ist der Zaubermeister?

      Aber gibt es nicht auch die andere Seite? Wenn ein Fünftel der Weltbevölkerung das Internet nutzen, geschätzte 1,3 Milliarden Menschen, mehr als 42 Millionen davon in Deutschland, dann ist die Globalisierung der Kommunikation in vollem Gange. Ist es da nicht fast folgerichtig, wenn Computerkenntnisse neben Lesen, Schreiben und Rechnen als vierte Kulturtechnik gesehen werden? Immerhin spielt der Computer eine bedeutende Rolle im Leben der Menschen, wirkt in fast alle Bereiche des sozialen Daseins, die Arbeitswelt, den Konsum, das Familienleben und die Kindererziehung hinein. Manche beklagen, ständig online und rund um die Uhr erreichbar zu sein, entfremde den Menschen von sich. Allerdings bietet das Internet Wirtschaftswachstum und Karrierechancen, dient als kommunikative Drehscheibe, auf der es alles gibt und die alles bietet, die besten Kochrezepte und Reiseangebote, den aktuellen Blockbuster, den preisgünstigen Fernseher, die neuesten Informationen und gigantische Zugriffsmöglichkeiten auf Wissensbestände, nicht zu vergessen die vielen Kontaktmöglichkeiten. All das klingt verlockend und fasziniert nicht nur Kinder und Jugendliche. Im Grunde geht es um folgende Fragen: Sind Fernsehen, Computer, Internet und Handy wirklich zum Vorteil des Menschen (der Kinder) und welchen Preis haben wir dafür zu zahlen? Wie verändern Medien unsere Kultur, die Gesellschaft und die Familien? Und: Wie gelingt es uns, die „Mediengeister“ unter Kontrolle zu halten?

      Der amerikanische Medienwissenschaftler und Medienkritiker Neil Postman mahnte bereits in den 80er-Jahren an, dass wir Menschen uns für neue (technische) Möglichkeiten entscheiden und nicht daran denken, welche psychischen und kulturellen Verluste in der Zukunft damit einhergehen.

      Die einen sehen einen Gewinn an Freiheit, während die andern den Verfall von Kultur befürchten bzw. diesen schon eingetreten sehen.

      Was wir feststellen können: Die digitalen Medien sind „Miterzieher“! Neben Familie, Freundeskreis, Kindergarten und Schule beeinflussen sie die Wertvorstellungen und Verhaltensweisen der Heranwachsenden. Kindheit und Medien sind eng miteinander verwoben.

      Die Frage, wer instrumentalisiert eigentlich wen?, bedarf daher einer dringenden Klärung.

      Für nicht wenige Eltern sind Fernsehen, Handy und Internet die „Bösen“, denen ihre Kinder schutzlos ausgeliefert sind. Nun sind die Eltern aber keine in sich homogene Masse, auch sie nutzen Medien sehr verschieden und leben in unterschiedlichen Medienwelten. So wenig wie es „die Medien“ gibt, genauso wenig gibt es „die Kinder“ und „die Eltern“. Und was für die einen passend und gut ist, ist für die anderen zu viel und schädlich.

      Wie Kinder und Jugendliche aufwachsen, wie sie mit Medien umgehen, welche sie bevorzugen, wie ihre Medienausstattung ist, versuche ich im ersten Teil zu klären.

      Wenn Kinder und Jugendliche täglich mit Medien umgehen, wie steht es dann mit den Medienwirkungen und wie verarbeiten Kinder die Bilder eigentlich? Diese Fragen werden im zweiten Teil diskutiert.

      Telefonieren, kurze Nachrichten schreiben oder Videos aufnehmen, Handys sind Multimediawerkzeuge mit vielen verschiedenen Funktionen und Anwendungen. Doch auch die schöne Welt der Handys bekommt zunehmend Risse, wenn von Menschen Videos aufgenommen werden, die sie in peinlichen Situationen zeigen und diese ohne deren Zustimmung ins Internet gestellt werden. Das sind einige der Themen, die im dritten Teil besprochen werden.

      Computer können zum Spielen oder Arbeiten eingesetzt werden. Während viele Eltern zumindest die Nutzung des Computers als Arbeitsinstrument einigermaßen überschauen können, herrscht im Bereich der Spiele und des Internets häufig große Ratlosigkeit und Unkenntnis, fehlt nicht nur den Eltern, sondern auch Lehrern und Pädagogen das notwendige Know-how. Dies ist Thema des vierten Teils.

      Welche Auswirkungen haben die Anwendungen des Webs 2.0 auf unsere Kinder? Ist das alles nur eine Marketingstrategie, die mehr verspricht, als sie hält, oder sieht so die glorreiche Zukunft des Internets aus? Inwieweit die neuen Kommunikationsangebote, die uns das Web 2.0 bietet, mehr Schein als Sein sind und wie wir diese sinnvoll nutzen können, werde ich im fünften Teil darstellen.

      Bei Jugendlichen sind Computerspiele und Musikdownloads besonders beliebt. Was einerseits viel Spaß bereitet, wird zum Problem, wenn Musik illegal heruntergeladen und das Urheberrecht verletzt wird. Häufig gehen Kinder und Jugendliche zu sorglos mit dem Medium Internet um, geben persönliche Daten – etwa beim Chatten oder in Foren – preis. Im Internet gibt es viele Seiten mit rassistischen oder pornografischen sowie gewaltverherrlichenden Inhalten. Kindern und Jugendlichen fehlt nicht selten der „kritische Blick“. Die „hässliche“ Seite des Internets thematisiere ich im sechsten Teil.

      Ich gehöre nicht zu den Kulturpessimisten, die in der Mediennutzung primär die negativen Gefahren sehen. Verbote und Filtersoftware sind für mich nicht die Instrumente für eine erfolgreiche Medienerziehung von Kindern und Jugendlichen. Vielmehr plädiere ich für einen offenen und aufgeklärten Umgang mit den Neuen Medien. Kinder und Jugendliche müssen über die bestehenden Gefahren aufgeklärt werden, ihre berechtigen Fragen müssen beantwortet werden und sie sollten zu einem sicherheitsbewussten Verhalten motiviert werden. Diese medienpädagogischen Herausforderungen stelle ich im siebten Teil dar.

      Ich möchte an dieser Stelle einigen Personen herzlich danken. Robert Henn, meinem Studienkollegen und lieben Freund, danke ich für Durchsicht, Korrektur und wichtige inhaltliche Hinweise. Meine Tochter Jana Holtkamp hat mich auf manche Ungereimtheiten hingewiesen. Meinen Töchtern Lea und Miriam habe ich – ohne dass sie es immer wahrgenommen haben – über die „Schulter“ geschaut und damit einiges über praktische Mediennutzung erfahren. Monika Holtkamp hat mir nicht nur den notwendigen zeitlichen Freiraum gewährt, der für ein solches Projekt zwingend notwendig ist, sondern das Manuskript korrigiert und mir in vielen Gesprächen Impulse und Anregungen gegeben. Dem Verlag Butzon und Bercker danke ich für die freundliche Unterstützung und Realisierung.

       Jürgen Holtkamp

      Es waren Kinder und Jugendliche, die dafür sorgten, dass die Computer in die Privathaushalte kamen. Ende der 1970er-Jahre kamen die ersten Spielkonsolen auf den Markt, mit denen am Fernseher gespielt werden konnte. Weil die Spiele einfach aufgebaut, leicht zu bedienen und zu steuern waren, fanden sie reißenden Absatz. Ein Grund, diese Konsolen zu kaufen war, dass man erstmals nicht mehr passiv vor dem Fernseher saß, sondern aktiv in das Spielgeschehen eingreifen konnte. Die Spiele selbst waren kinderleicht, auch der Anschluss an den Fernseher einfach, und weil dieser bereits Bestandteil der „Wohnzimmerkultur“ war, konnten Kinder und Jugendliche dieses neue Medium intensiv ausprobieren.

      Es war daher folgerichtig, dass die ersten Spielcomputer für ein jugendliches Publikum entwickelt wurden. Mehr als 20 Jahre sind seitdem vergangen und die Medienentwicklung hat viele neue Gerätetypen hervorgebracht, die den Familienalltag beeinflussen. Kinder wachsen mit verschiedenen Medien auf, ihre Biografie ist geprägt durch vielseitige Medienerfahrungen, angefangen vom Bilderbuch im Kindergarten, den Kindersendungen im Fernsehen bis zu Computer, Internet und Handy. Die Medien sind Massenprodukte, zu denen immer mehr Kinder Zugang haben. Kinder sind neugierig, erleben, wie ihre Eltern spannende Fernsehsendungen sehen, am Computer arbeiten, und weil ihre Eltern die ersten Vorbilder sind, möchten sie ihnen nacheifern.

      Wie unterschiedlich Kinder im 21. Jahrhundert aufwachsen und wie verschieden sie Medien nutzen, zeigen die beiden folgenden fiktiven Medienbiografien.

      Anna ist 14 Jahre alt und geht in die 8. Klasse. Sie besitzt einen eigenen Computer mit Internetanschluss, hört ihre Lieblingsmusik vom MP3-Player, der ihr täglicher Begleiter


Скачать книгу