Ein kleines Leben. Matthias Klingenberg

Ein kleines Leben - Matthias Klingenberg


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Und da, soweit wir feststellen können, das einzig Verbindende das gleiche Geburtsjahr und die Kriegsteilnahme ist, wenn auch in unter­schiedlichen Zusammenhängen, möchte ich ergründen, was und wie viel von dem, was mir zeit seines Lebens als ‚eigen‘ auffiel – und mitunter nicht nur mir aufstieß –, biografisch, also maßgeblich durch den Krieg zu begründen ist. Dass beide Leben an einem gewissen Punkt die karge flache Heide­land­schaft suchten, war ein Zufall, der aber auf paradoxe Weise in das Gesamtbild zu passen scheint. Nach so viel Fremd­bestimmung – als Wehrmachtssoldat (für einige bis hinein in den Tod!) – ist die eigene Freiheit das höchste Gut. Karl hat sich, das hat er in unseren Gesprächen so geäußert, verraten und betrogen gefühlt: betrogen um die eigene Jugend von einer verräterischen Ideologie, die ihm weisgemacht hatte, er kämpfe für eine höhere und gerechte Sache. Aus dieser Enttäuschung erwuchs Misstrauen, das manchmal nicht mehr gesund war. Es konnte sich gegen jeden und alles wenden, es diente dem Selbstschutz und es basierte auf Lebenserfahrung.

      Solange ich denken kann, hatte das Grundstück meines Opas einen Zaun. Anders als beim Schmidt'schen Grundstück musste er nicht erst gezogen werden, aber die Pforten und Türen mussten immer fest – „Bitte dreh den Schlüssel zweimal rum!“ – verschlossen werden, die Fenster fest verriegelt: Alles hatte dicht zu sein im Haus meiner Großeltern. Und: Regel­mäßig brach der alte Mann zu Hamsterkäufen in den nahen Supermarkt auf, um Speisekammer und Vorratskeller mit Dosen und allerlei Fertigprodukten zu füllen. Neben dem Freiheitsdrang und dem Gefühl, betrogen worden zu sein, war Angst das alles bestimmende Gefühl. Eine spezielle nach­kriegsdeutsche Form der German Angst, eine diffuse Angst gepaart mit Schuldgefühlen. Für den Schriftsteller Schmidt war es einfacher, sich aus der Welt zu nehmen, sich einzuzäunen auf der Heideinsel, als es für den Friseur Krüger war, denn letzterer hatte ja tagtäglich mit Kunden, Frisösen und Vertretern der diversen Friseurbedarfsfirmen zu tun. Beide haben sich ganz und gar auf ihr Werk konzentriert, der eine auf das Schreiben, der andere auf das Frisieren. Ich erinnere mich, dass meine Großeltern eigentlich keine Freunde hatten, dass zwar jeder im Dorf die Krügers kannte und sie jeden kannten, sie aber kaum freundschaftliche Kontakte pflegten. Sie redeten zumeist auch nicht gut über die anderen, es war ein Ritual zur Bestätigung der eigenen Isolation, über die anderen abschätzig zu reden, um so die eigene Existenz in ihrer speziellen Ausprägung zu rechtfertigen. Angst, Schuldgefühle, traumatische Erlebnisse haben hier in eine innere seelische Verhärtung gemündet – der Enkelsohn war hiervon ausge­nommen.

      Toni und Karl verließen ihre Insel nur ungern. Sie unternahmen kaum Urlaubsreisen, Ausfahrten mit dem PKW, zumeist als Pflicht empfundene Verwandtenbesuche, waren nie über Nacht. Am 3. Mai 1980 schreibt Karls Bruder aus Minden: „Wir können nicht verstehen, daß ihr uns im vergan­genen Jahr nicht besuchen kamt. Ihr hattet uns vor 3 Jahren, wie wir bei euch waren zugesagt, uns mal zu besuchen. Die Einladung sollte schon im letzten Jahr erfolgen, aber das Wetter spielte nicht mit! Wie ihr schreibt habt ihr keine Termine frei. Wenn ihr dann keine Termine zu erledigen habt, dann hättet ihr doch sofort schreiben können. Die Termin­angelegenheit ist meines Erachtens nur eine dumme Ausrede.“

      Sonntagsausflüge, wenn überhaupt unternommen, führten immer an die gleichen Plätze im nahegelegenen Mittelgebirge und in die Lüneburger Heide: Ich erinnere mich an die beigen runden Thermosgefäße, in denen die zuvor gekochte Erbsen­suppe auf solchen Ausflügen serviert wurde. Es wurde gewan­dert, gepicknickt und zurückgefahren. Natürlich beschrei­be ich hier eine für das Nachkriegsdeutschland und das Sozialmilieu nicht untypische Spießigkeit, die sich bei meinem Großvater in einer Sehnsucht nach Regelmäßigkeit, Ordnung und somit Sicherheit ausdrückte. Neues, Veränderungen, Experimente waren unabänderbar mit den Traumata der Jugend in Stalin­grad oder sonst wo verbunden, denn nur da und dann negativ konnotiert hatte er solches kennengelernt. Auch Schmidt unternahm seine Abenteuer nur auf dem Papier: Zum Ende seines Lebens legte er Ordner mit Bildern aus Mode­kata­­logen an, um auf dem Laufenden zu bleiben, wie Menschen aus­sehen und sich kleiden. Die Realität wurde zu­nehmend aus der Distanz wahrgenommen, aus einer selbst­geschaffenen Sicher­heits­distanz. Wer nicht teilnimmt und nicht Bestandteil ist, ist auch nicht verletzbar. Bargfeld und Gaden­stedt sind gar nicht so weit voneinander entfernt.

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