Schilddrüsenunterfunktion und Hashimoto anders behandeln. Datis Kharrazian
eigenen Antigene mit der Bildung potenziell schädlicher Autoantikörper?“ Die Ursache kann in Umweltfaktoren zu suchen sein, wie bakteriellen oder viralen Infektionen oder toxischen chemischen Haptenen, die sich an menschliches Gewebe binden und zu einer Modifizierung von Autoantigenen mit nachfolgender Antikörperbildung führen. (Ein Hapten ist ein unvollständiges Antigen, das selbst keine Immunreaktion hervorruft, sondern auf ein körpereigenes Trägerprotein angewiesen ist, Anm. d. Übers.)
Das Buch erklärt verständlich die Grundlagen zur Schilddrüse und ihren Stoffwechselweg. Da sie mit vielen Körperfunktionen verbunden ist, unter anderem mit dem Gastrointestinaltrakt, dem Stoffwechsel der Nebennierenhormone, der Produktion von Magensäure, dem Gehirnstoffwechsel und der Entgiftungsfunktion der Leber, kann eine Funktionsstörung der Schilddrüse überall im Körper zu klinischen Erscheinungen beitragen. Anhand von Fallgeschichten veranschaulicht Kharrazian den Zusammenhang zwischen der Schilddrüse und einer suboptimalen Gesundheit. Für ihn ist ein grundlegendes Verständnis der Immunfunktion der erste Schritt im Umgang mit Schilddrüsenstörungen. Nach seinem Verständnis muss gleichzeitig auch das Immunsystem behandelt werden, um Hashimoto erfolgreich zu therapieren, künftige Autoimmunerkrankungen zu verhindern und eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen.
Angesichts der Komplexität, insbesondere was die Autoimmunität betrifft, ist es nicht verwunderlich, dass das Immunsystem für viele medizinische Fachleute Neuland ist. Kharrazian vergleicht das komplizierte System der gegenseitigen Kontrolle mit einem Krimi, in dem Mafiosi, gute und korrupte Polizisten sowie solche Beteiligten, die ein doppeltes Spiel treiben, vorkommen. Und wie bei einem typischen Krimi kann der Plan nicht aufgehen, wenn einer der Beteiligten etwas anderes macht als vorgesehen. Kharrazian beschreibt die Rolle der TH-1- und TH-2-Zytokindominanz bei Autoimmunerkrankungen und erklärt, wie eine T-Helferzelle, die so genannte regulatorische T-Zelle, das TH-1- und TH-2-Ungleichgewicht regulieren kann. Mithilfe naturheilkundlicher Medizin führt er den Leser durch das heikle Unterfangen des T-Zell-Ausgleichs.
Er skizziert anhand von Blutuntersuchungen, wie die sechs Muster einer niedrigen Schilddrüsenfunktion sich identifizieren lassen. Weiß ein Arzt diese funktionalen Ergebnisse richtig zu interpretieren, kann er Schilddrüsenstörungen korrekt einschätzen und so den Betroffenen rechtzeitig helfen. Kharrazian greift auf seine jahrelange klinische Erfahrung zurück, um mithilfe einer Ernährungsumstellung krankhafte Blutwerte zu normalisieren.
Mein Favorit in diesem Buch ist das letzte Kapitel, in dem er 22 Muster wissenschaftlich mit einer niedrigen Schilddrüsenfunktion in Verbindung bringt. Hervorzuheben sind meines Erachtens diese vier Muster:
• Der Zytokin-induzierte Defekt des paraventrikulären Hypothalamus, der zu einem niedrigen TSH führt,
• die Schilddrüsenhormonresistenz aufgrund erhöhter Zytokinwerte,
• die verringerte 5'-Deiodinase-Aktivität durch erhöhte Zytokinwerte,
• die verringerte 5'-Deiodinase-Aktivität durch gastrointestinale Dysbiose und Lipopolysaccharide (Endotoxine), die von pathogenen Bakterien produziert werden.
Anhand dieser vier Punkte erkennt man den Zusammenhang zwischen der Verbindung von Gehirn und Darm sowie der Schilddrüsenfunktion, die Thema vieler neuerer wissenschaftlicher Artikel sind.
Durch die Lektüre dieses Buches lernen Behandler und Patienten, den Zusammenhang zwischen den Umweltfaktoren und der Hashimoto Thyreoiditis herzustellen. Schenkt man diesen Zusammenhängen die richtige Beachtung und behandelt man sie adäquat, kann sich das Leben vieler Menschen zum Besseren verändern. Für Mediziner ist dieses Buch ein Muss. Es führt durch die Komplexität der Schilddrüsenstörungen, zeigt auf, wie man deren Ursachen findet und für Patienten die individuell passende Hilfe maßschneidert. Die Umsetzung dieser Maßnahmen in der klinische Praxis eröffnet ganz neue Möglichkeiten im Bereich der Autoimmunstörungen.
Literatur
Fasano und Shea-Donohue: „Mechanism of disease: the role of intestinal barrier function in the pathogenesis of gastrointestinal autoimmune diseases“, in: Nature Clinical Practice Gastroenerology and Hepatology 2005; 2: 416–422
Hayley et al.: „Lipopolysaccharide and a social stressor influence behavior, corticosterone and cytonkine levels“, in: J. of Neuroimmunology 2008; 197: 29–36
Maes et al: „The gut-brain barrier in major depression: intestinal muscosal dysfunction with an increased translocation of LPS from gram-negative enterobacteria (leaky gut) plays a role in the inflammatory pathophysiology of depression“, in: Neuroendocrinology Letters 2008; 29: 117–124
Maes et al: „Increased serum IgA und IgM against LPS of enterobacteria in chronic fatigue syndrome (CFS): indication for the involvement of gram-negative enterobacertia in the etiology of CFS and for the presence of an increased gut-intestinal permeability“, in: J. of Affective Disorders 2007; 99: 237–240
Velez et al.: „Bacterial lipopolysaccharide stimulated the thyrotropin-dependent thyroglobin gene expression at the transcriptional level by involving the transcription factors thyroid transcription factor–1 and paired box domain transcription factor 8“, in: Endocrinology 2006; 147: 3260–3275
Einführung
Obwohl Lea erst Anfang 40 war, fürchtete sie um ihr Leben; sie war überzeugt davon, dass sie kurz vor einem Herzinfarkt stand. Manchmal schlug ihr Herz so heftig und schnell, dass sie glaubte, es würde ihr gleich aus der Brust springen, und sie versicherte, sie könne es unter der Haut schlagen sehen. Dieses rasende Herz belastete die Lungen so sehr, dass sie zu schmerzen begannen. Wenn Lea einen dieser Anfälle hatte, konnte sie kaum einen Hügel oder eine Treppe hinaufgehen. Obwohl sie sich erschöpft fühlte, hielt das Herzrasen sie unter einer Hochspannung, die ihr Angst machte und sie nachts lange wach hielt.
Zu anderen Zeiten fühlte sich Lea hingegen, als bewege sie sich unter Wasser – eine bleierne Müdigkeit hatte sie unerbittlich im Griff, drückte auf ihre Glieder und auf den Kopf. Sie bekam eine heisere Stimme, als das Gewebe um ihren Kehlkopf druckempfindlich wurde, und sie fror ständig. Obwohl Lea nach der Geburt ihrer ersten drei Kinder problemlos wieder ihr ursprüngliches Gewicht erreichte, blähte sich ihr Körper nach der Geburt des vierten Kindes unaufhörlich auf. Ihre geschwollenen Augen und das aufgedunsene Gesicht machten ihr schwer zu schaffen, und so überrascht es nicht, dass sie auch mit einer chronischen Depression zu kämpfen hatte.
Lea konsultierte mehrere Ärzte, ließ zahlreiche kardiovaskuläre Untersuchungen über sich ergehen, und musste sich schließlich sagen lassen, es sei alles in Ordnung. Auch naturheilkundlich orientierte Kardiologen kamen zum selben Ergebnis. Schließlich schlug ihr eine Freundin vor, sich auf Hashimoto Thyreoiditis testen zu lassen, eine Autoimmunkrankheit, die die Schilddrüse zerstört, und der Bluttest war tatsächlich positiv. „Großartig!“, dachte sie. „Jetzt, wo ich weiß, was mit mir los ist, wird mir endlich jemand helfen können!“ Ein Arzt verschrieb ihr Schilddrüsenhormone, mit deren Hilfe ihre Hormonwerte sich rasch normalisierten. Zuerst schien es, als würden sich Leas Symptome dauerhaft bessern, doch dann kehrten sie langsam wieder: Das Gewicht stagnierte und die chronische Müdigkeit war wieder da. Ebenso ihre furchterregenden Beschwerden, wenn sie glaubte, ihr Herz würde aus der Brust springen. „Was ist da los?“, fragte Lea ihren Arzt. „Warum habe ich immer noch Beschwerden, wenn meine Schilddrüsenwerte doch in Ordnung sind?“
Obwohl die schmetterlingsförmige Schilddrüse weniger als 30 g wiegt, macht sie im komplizierten Zusammenspiel der menschlichen Physiologie eine Respekt einflößende Figur. Sie treibt die Energieproduktion an – sie steuert die Geschwindigkeit, mit der das geschieht, hält die Körpertemperatur konstant, unterstützt das kindliche Wachstum und nimmt grundlegenden Einfluss auf die chemischen Abläufe im Gehirn, die Stimmungen und Emotionen beeinflussen. Sieht man die Schilddrüsenfunktion als Bestandteil der intelligenten Matrix unseres menschlichen Körpers, und berücksichtigt man dabei das Immunsystem, das hormonelle Gleichgewicht und sogar die Gehirnfunktion, kann man sehr leicht erkennen, warum es – wie in diesem Buch dargestellt –, nur logisch ist, sich mit dem ganzen Körper zu