Smart Tourism – Share Economy im Tourismus. Martin Linne

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Nutzung von Dingen in Form von Abonnements, Mitgliedschaften, Leasing- und Lizenzverträgen eröffnen. Für Rifkin ist das 21. Jahrhundert daher „The Age of Access“. Die Vorteile einer solchen Ökonomie des Zugangs, in der einzig der Nutzen von Produkten zählt, nicht das Besitzen derselben, liegen auf der Hand: Eigentum an sich verhilft uns nicht dazu, unsere Ziele zu erreichen, aber es erhöht die persönlichen Lasten. „Eigentum verpflichtet“ und oftmals ist es Klotz am Bein.

       Wertewandel fördert Sharing

      Dass physische Dinge in unserem Leben heute einen anderen Stellenwert haben, hat zum einen damit zu tun, dass immer mehr davon, was wir früher in Händen hielten, heute in Bits und Bytes vorliegt: Musik, Bücher, Zeitungen, Filme waren einmal an Materie gebunden, heute lagert all dies digital auf unseren Festplatten oder völlig losgelöst im Internet. Dies hat eine neue Kultur des Teilens entstehen lassen, in der blitzschnell und unentwegt Informationen ausgetauscht und Neuigkeiten, Musik, Unterhaltung mit anderen geteilt werden. Zum anderen vollzieht sich in der westlichen Welt seit den 1970er Jahren ein einschneidender Wertewandel. Angetrieben durch den beispiellosen Wohlstandszuwachs erfolgten eine Abwendung von materiellen Werten (Vermögen und Besitz) und eine Zuwendung zu postmateriellen Werten (Naturerhaltung, Partizipation, Selbstfindung und Selbstbestimmung).2 Seit den 1990er Jahren stagniert in Deutschland dieser Wertewandel und materielle Orientierungen sind wieder im Aufwind. Dies ist vor allem auf die Rückkehr von Knappheiten durch Globalisierung, Wiedervereinigung und Wirtschaftskrise zurückzuführen. Gewiss hat das Entstehen einer postmateriellen Wertegesellschaft nie einen kompletten Abschied vom Materialismus bedeutet, genauso wenig wie einmal etablierte Selbstentfaltungswerte wieder verschwinden werden. Die heutige Situation ist bestimmt durch eine Synthese alter und neuer Werte, es findet sich eine bunte Mischung aus Wertorientierungen. Ein vor allem unter jüngeren Menschen verbreiteter Wertemix aus materiellen (Besitz, Karriereorientierung), hedonistischen (Lebensglück, Spaß am Leben) und umweltbezogenen und verantwortungsethischen Werten öffnet dem Aufstieg der Share Economy Tür und Tor. In einer solchen Wertelandschaft muss Sharing als „eierlegende Wollmilchsau“ erscheinen, lässt sich hierdurch doch Konsum unter nachhaltigen Vorzeichen mit Spaßfaktor verwirklichen.

       Wohlstand durch intelligenten Konsum

      Insbesondere die Wirtschaftskrise hat auch dazu beigetragen, dass Wohlstand in der Gesellschaft neu definiert wird: Man will zwar weiterhin gut leben, das hat aber immer weniger damit zu tun, wie viel man hat. Wohlstand ist keine Frage des Geldes mehr: Nicht materieller Wohlstand, sondern Wohlbefinden ist das Maß der Dinge des Konsumenten von heute. In unserer schnelllebigen Welt wird Freizeit ein neuer Wert beigemessen: Immer weniger wird Wohlstand und Lebensqualität darüber definiert, wie viele Güter man anhäuft, sondern immer mehr wird es darum gehen, „Zeitwohlstand“ anzustreben. Das Streben nach immer mehr wird ersetzt durch einen sinnvolleren Konsum. Verstärkt suchen Menschen einen werteorientierten Lebensstil anstatt im Kreislauf aus Arbeit und Konsum gefangen zu sein und räumen Erfahrungen und Erlebnissen, guten Sozialbeziehungen und Umweltverträglichkeit einen höheren Stellenwert ein als dem Besitz von Produkten. Materielles (Wirtschafts-)Wachstum wird daher immer weniger als gleich bedeutend mit Glückswachstum betrachtet.3 So glauben 61 Prozent der Deutschen nicht, dass sie durch Wirtschaftswachstum zukünftig mehr Lebensqualität erreichen würden.4 Eine neue Bescheidenheit kehrt ein, die keinen Mehrwert im Überfluss sieht. Angestrebt wird ein suffizienter Lebensstil, der ein besseres Leben nicht durch ein Mehr an Konsum, sondern durch smarteren Konsum anstrebt und dabei mit weniger Geld auskommt und gleichzeitig noch die Umwelt schont.

       Besitzen auf Zeit

      Dazu kommt noch, dass immer mehr Konsumenten den sofortigen Vorteil suchen, sie wollen hier und jetzt auf der Welle des nächsten Trends reiten. Weil dazu aber für viele der Geldbeutel zu klein ist, werden Sharing-Angebote nachgefragt. Für die maximale Abwechslung muss man nichts besitzen, Dinge zu nutzen ist völlig ausreichend. Weil heute die Produktlebenszyklen immer kürzer werden, ständig Neueres oder Besseres auf den Markt drängt, wird der Umgang mit Besitz flexibler. Produkte werden geliehen oder auf Zeit angeschafft.

       Neue Statussymbole

      Schließlich überrascht es kaum, dass der neue Homo collaborans weniger Wert legt auf Statussymbole als der Homo oeconomicus. Demonstrativer Konsum5, so scheint es, verliert mit dem Heranwachsen einer Generation, der Nachhaltigkeit und soziales Engagement – auch beim Konsum – wichtig ist, immer mehr an Gewicht. Erlebnisse werden heute höher eingestuft als materielle Ziele. Immer weniger geht es darum, was man hat, sondern wen man kennt (Facebook), was man macht (Twitter) oder was man zu sagen hat (Blogs). Vor allem junge Leute, die mit Facebook groß geworden sind und für die Networking ein völlig natürlicher Bestandteil ihres Alltags ist, deren Kommunikation dank moderner Technik nie abreißt, erweitern die Definition dessen, was „cool“ ist: vernetzt zu sein und am Puls der neuesten Informationen. Das „cool kid“ ist schon längst nicht mehr, wer die neuesten Turnschuhe trägt, sondern wer seine Freunde mit den außergewöhnlichsten, kuriosesten Informationshäppchen versorgt. Dem Wandel von Statussymbolen trägt die Share Economy Rechnung, denn: „The new status symbol isn’t what you own – it’s what you’re smart enough not to own”6.

      Konsumenten ist klar, dass der Hyperkonsum von heute nicht nachhaltig ist, jedoch will niemand kürzer treten und nur ungern sein Verhalten ändern. Die Share Economy eröffnet Wege, mit gutem Gewissen zu konsumieren. Wer teilt, Gebrauchtes kauft und Altes verkauft, statt es zu entsorgen, reduziert seinen ökologischen Fußabdruck, ohne auf etwas verzichten zu müssen. Sharing sorgt für Entlastungseffekte, indem Produktlebenszyklen verlängert und Ressourcen effizienter genutzt werden. Weil die durch Konsum entstehenden Wirkungen auf die Umwelt immer stärker ins Bewusstsein rücken, bietet sich Sharing als willkommene nachhaltigere Alternative des Konsumierens und Besitzens an. Die höhere Sensibilisierung der Konsumenten begünstigt außerdem „Politik mit dem Geldbeutel“: Die Nachhaltigkeitsbemühungen von Unternehmen wirken sich dann direkt auf Kaufentscheidungen aus. Auch hierbei kommt die Share Economy ins Spiel, ist es doch ein wesentliches Merkmal des gemeinschaftlichen Konsums, dass Unternehmen als Zwischeninstanzen ausgeschaltet werden. Konsumieren wird gänzlich ohne Unternehmen möglich.

      Durch die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Konsum verstärkt zur Identitätskonstruktion betrieben. Gesellschaftliche Distinktion und Identität konnte nicht mehr aus der Zugehörigkeit zu den traditionellen Gemeinschaften abgeleitet werden, stattdessen wurde das Selbst definiert durch die Anhäufung und den Konsum von Produkten. Mit dem Hyperkonsumismus des vergangenen Jahrhunderts wurde das Image eines Produkts wichtiger als dessen Gebrauchswert. War Konsum einst ein einziger Aspekt des menschlichen Lebens, so strebt der moderne Konsumismus danach, unser gesamtes Leben einzunehmen, unsere Zeit und unseren Raum zu besetzen und alles andere zu verdrängen.1

       Kritische Haltung gegenüber der kapitalistischen Wirtschaftsweise

      Der Ausbruch der Finanzkrise hat vor Augen geführt, wie schnell eine Wirtschaft, die auf dem Höher-Schneller-Weiter-Prinzip des Hyperkonsums aufbaut, wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen kann. In den letzten Jahren wurde das kapitalistische System zunehmend als Ursache für soziale, ökologische und wirtschaftliche Verwerfungen ausgemacht; Unternehmen stehen unter dem Verdacht, sich auf Kosten der Gemeinschaft zu bereichern. In der Folge steht unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem unter Beschuss und immer weniger Menschen glauben an ein „Weiter so“: Das konsequente Konsumdenken, welches Konsum zur Ersatzreligion macht und persönliches Glück im Verbrauch von Wirtschaftsgütern sucht, scheint an sein Ende gekommen. Menschen wenden sich ab von einer Kultur, die auf mehr Sein als Schein beruht. Substanz und Authentizität sind gefragt. In der vom Marketing gemachten Glitzerwelt verspüren Menschen zunehmend einen Verlust an Tiefe und Bedeutung. Weil sie sich verbunden fühlen wollen mit etwas „Echterem“ als die künstliche Welt, die sie umgibt, wenden sie


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