Sorge dich nicht!. Samira Zingaro

Sorge dich nicht! - Samira Zingaro


Скачать книгу
beliebig oft durchgelesen, korrigiert oder wieder ganz verworfen werden, um einer besseren Version Platz zu machen. Zunächst kann ein Hinterbliebener völlig ungefiltert herauslassen, was seine Seele zum Überlaufen gebracht hat. Mit diesem Niederschreiben beginnt schon der Prozess der Verarbeitung. Die Angst, das Gesicht zu verlieren, besteht nicht, denn dieses bleibt verborgen. Und der Kontakt kann jederzeit ohne Begründung wieder abgebrochen werden. Umgekehrt bleiben das verschickte Geschriebene sowie die Antwort im Computer, und die Gesprächspartner können es jederzeit wieder durchlesen und überdenken. Durch diese Form kommt gegenüber der mündlichen Kommunikation eine zusätzliche positive Dimension zum Vorschein: Beim E-Mail-Austausch kann nichts ›überhört‹ werden.

      Sind dabei Missverständnisse nicht vorprogrammiert?

      Es ist die Herausforderung in der Internet-Seelsorge, das Anvertraute so einfühlsam und vorsichtig wie immer möglich zu analysieren, zwischen den Zeilen zu lesen und Rückfragen zu stellen.An dieser Stelle beginnt die filigrane Arbeit. Das Gegenüber muss erkennen, dass es wirklich verstanden worden ist – und, wie Sokrates es schon richtig erkannt hat, die Antworten auf die gestellten Fragen in sich selber finden. Diese Arbeit an sich selbst kann wunde Stellen zutage fördern, die bisher tief in einem selbst verborgen waren. Und das wiederum kann dazu führen, nichts weiter wissen zu wollen. Jeder dadurch erfolgte Abbruch des Dialoges war für mich schwer. Umso mehr freute es mich dann, wenn – offenbar nach einer hinreichenden Reflexionsphase – der Faden wieder aufgenommen wurde.Wenn das passierte, kam das Ende des Tunnels langsam in Sicht.

      Virtuelle Seelsorge, das war zu Ihrer Zeit ein Novum. Weshalb sorgte Ihre Arbeit nicht für mehr Furore?

      Ich versuchte bei den kirchlichen Verantwortungsträgern Gehör zu finden, um bezahlte Aus- und Weiterbildung von Internet-Seelsorgenden zu erwirken – doch erfolglos. Bis heute sind die Anbieter von Internetseelsorge weiterhin auf Freiwillige angewiesen, die sich nach ihrem je eigenen Dafürhalten in diese belastende Arbeit einlassen. Auch bei bekannten Anlaufstellen wie die ›Dargebotene Hand‹ stößt die Arbeit an Grenzen – nicht zuletzt wegen der Ehrenamtlichkeit. Ich bin überzeugt, dass die Krankenkassen bisher nicht erkannt haben, welches Ersparniskapital erzielt werden könnte, wenn professionelle Hilfe übers Netz geplagte Seelen entlasten würde. Selbst die Fakultäten der Psychiatrie, Psychologie und Theologie unserer Universitäten haben es bisher verfehlt,gezielt auf eine Ausbildung für Internet-Seelsorgende hinzuarbeiten; denn das Bedürfnis danach ist meiner Meinung nach immens. Ebenso könnten die neuen Medien eine bedeutende Rolle spielen, wenn sie gezielt und kontrolliert die Hilfesuchenden anzusprechen in der Lage wären. Das bedingt aber eben eine professionelle, Sprach- und Landesgrenzen überschreitende Zentrale. Ein solches Konzept umzusetzen wäre eines entsprechenden Forschungsauftrags würdig.

      Haben Sie sich in Ihrer Zeit als Internet-Seelsorger überhaupt vom Computer weggetraut?

      Es war tatsächlich so, dass ich den Computer Tag und Nacht laufen ließ und nur mit schlechtem Gewissen schlafen ging. Und wenn ich dann am nächsten Morgen den Faden wieder aufnahm, waren mitunter schon zwei oder drei neue Mails zur Beantwortung in der Warteschlaufe. Das zehrte auch an meiner physischen und psychischen Gesundheit. Schließlich so stark, dass ich meiner Familie zuliebe eines Tages den Entschluss fasste, Schluss zu machen mit der Seelsorge übers Internet.

      Mit der Zeit haben diese schweren Schicksale meine Frau und mich psychisch immer mehr belastet. Als unsere Töchter uns gemeinsam mitteilten, sie würden uns mit unseren traurigen Mienen nicht mehr gerne besuchen, zogen wir die Bremse. Ich will nicht an meinem eigenen Grab meine Kinder klagen hören, wir hätten für alle Zeit gehabt, nur nicht für sie.

      Zur Person

      Ebo Aebischer-Crettol, Jahrgang 1936, wuchs im ostdeutschen Sachsen auf. Seit den 1950er-Jahren lebt er in der Schweiz. Der studierte Chemiker und seine Frau ließen sich später zu Theologen ausbilden, er dissertierte zum Thema Suizid.

      Aebischer arbeitete als Beauftragter der Landeskirche als Seelsorger für Suizid-Betroffene. Er ist Autor des Buches »Aus zwei Booten wird ein Floß. Suizid und Todessehnsucht. Erklärungsmodelle, Prävention und Begleitung.« Als ehemaliger Offizier hat sich Aebischer 2011 für die Waffeninitiative in der Öffentlichkeit starkgemacht. Der pensionierte Pfarrer gründete Ende der 1990er-Jahre die erste Selbsthilfegruppe für Hinterbliebene nach Suizid eines Partners und später den heute noch schweizweit aktiven Verein Refugium.

      »Ich würde nicht mit ihm reden wollen,

       ich würde lieber mit ihm tanzen gehen.«

       Sascha Bschor (SB), 45,Vertriebs- und Marketingleiter

      »Ich glaube, er hätte sich nicht das Leben

       genommen, wäre er selbst Vater gewesen.«

       Max Bschor (MB), 42, Jurist

      Sascha, Chris und Max Bschor kamen im Abstand von zwei Jahren zur Welt. Die Geschwister wurden im südwestlichen Bayern groß und standen im besten Karrierealter, als der Mittlere mit 32 Jahren Suizid beging. Die hinterbliebenen Brüder haben gelernt, den Namen des Verstorbenen zu erwähnen, ohne die Atmosphäre an einer Familienfeier zu vermiesen.

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.

/9j/4AAQSkZJRgABAgAAAQABAAD/2wBDAAgGBgcGBQgHBwcJCQgKDBQNDAsLDBkSEw8UHRofHh0a HBwgJC4nICIsIxwcKDcpLDAxNDQ0Hyc5PTgyPC4zNDL/2wBDAQkJCQwLDBgNDRgyIRwhMjIyMjIy MjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjL/wAARCA8YCowDASIA AhEBAxEB/8QAHwAAAQUBAQEBAQEAAAAAAAAAAAECAwQFBgcICQoL/8QAtRAAAgEDAwIEAwUFBAQA AAF9AQIDAAQRBRIhMUEGE1FhByJxFDKBkaEII0KxwRVS0fAkM2JyggkKFhcYGRolJicoKSo0NTY3 ODk6Q0RFRkdISUpTVFVWV1hZWmNkZWZnaGlqc3R1dnd4eXqDhIWGh4iJipKTlJWWl5iZmqKjpKWm p6ipqrKztLW2t7i5usLDxMXGx8jJytLT1NXW19jZ2uHi4+Tl5ufo6erx8vP09fb3+Pn6/8QAHwEA AwEBAQEBAQEBAQAAAAAAAAECAwQFBgcICQoL/8QAtREAAgECBAQDBAcFBAQAAQJ3AAECAxEEBSEx BhJBUQdhcRMiMoEIFEKRobHBCSMzUvAVYnLRChYkNOEl8RcYGRomJygpKjU2Nzg5OkNERUZHSElK U1RVVldYWVpjZGVmZ2hpanN0dXZ3eHl6goOEhYaHiImKkpOUlZaXmJmaoqOkpaanqKmqsrO0tba3 uLm6wsPExcbHyMnK0tPU1dbX2Nna4uPk5ebn6Onq8vP09fb3+Pn6/9oADAMBAAIRAxEAPwD3+iii gAooooAKKKKACiiigAooooAKKKKACiiigAooooAKKKKACiiigAooooAKKKKACiiigAooooAKKKKA

Скачать книгу