Lebe Lang ... und was ich auf meinem Weg lernte. David Fisher
Norman Corwin, einer der großen Radio- und TV-Autoren, einen Auftrag von der University of Utah. Er sollte ein Theaterstück schreiben. Ich war bereits in einigen der Fernsehsendungen aufgetreten, deren Drehbücher von ihm stammten. Corwin schrieb ein wunderbares Stück und erzählte, er habe es mit mir vor Augen verfasst, was natürlich höchst schmeichelhaft war. Ich führte das wunderbare Stück in Salt Lake City auf und erinnere mich an ein Treffen an der Universität mit einem Professor mit dem Fachgebiet „Shakespeare“. Ich erzählte ihm, dass das Stück Passagen enthalte, die Shakespeare gleichkämen. Das amüsierte ihn – bis er das Stück sah. Daraufhin erklärte er mir, dass er tatsächlich „Momente mit der Poesie und der Würde eines Shakespeare“ erlebt habe.
Das Stück wurde mit Wohlwollen aufgenommen, und es schien so, als sei der Weg zum Broadway frei. Doch dann erhielt ich einen Anruf, dass der Pilotfilm für eine TV-Serie mit dem Titel Rauschiff Enterprise verkauft worden sei. Was wäre wohl geschehen, wenn ich den Job nicht angenommen hätte und stattdessen zum Broadway gegangen wäre? Ich und auch kein anderer hätte die Zukunft vorhersagen können. Ich hätte Tage, Wochen und sogar Monate mit Grübeln und dem Hinterfragen jedes einzelnen Details dieser Angelegenheit verbringen können, jedoch ohne nennenswerte Auswirkungen.
Ich verbrachte ein glückliches Leben, war immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort, was allgemein angenehmer und einfacher ist, als die „richtige“ Wahl zu treffen. Ich erhielt Rollen, bei denen der Charakter jung und gutaussehend sein musste (ich war auf jeden Fall jung), konnte den Text glaubwürdig genug vortragen und hatte den gewissen Ausdruck in den Augen, denn damals zielte die Kamera häufig auf die Augen ab. Meine Augenfarbe entsprach den Anforderungen, und Paul Newman hatte glücklicherweise keine Zeit. Solche Vorzüge sind auch bei Frauen von großer Bedeutung. Sie müssen das „richtige“ Aussehen haben, das notwendige Begehren hervorrufen und so viele Pheromone aussenden, dass Sie darauf eine Karriere aufbauen können, bis Sie nicht länger diese gewisse Attraktivität ausstrahlen. Talent spielt auch eine wichtige Rolle, sogar eine sehr wichtige, doch nur, wenn das Telefon klingelt.
Bei mir bimmelte das Telefon stets zur richtigen Zeit, was den wohl beeindruckendsten Aspekt meines Lebens und der Karriere darstellt. Mir widerfuhren schon immer ungewöhnliche Ereignisse, und der Weg wurde für mich geebnet. Brauchte ich ein Engagement, schrillte das Telefon, und ich bekam ein Angebot. Gab es ein Problem, tauchte bald eine Lösung auf. Während einer Autogrammstunde vor einigen Jahren, beschenkte mich einer der Gäste mit einer guten Flasche Wein. Und danach erhielt ich von einem weiter hinten in der Schlange stehenden Fan einen Korkenzieher!
Warum passierte das? Wer bringt denn zu einer Autogrammstunde einen Korkenzieher mit? Doch es geschah tatsächlich. Ich habe gelernt, diese Merkwürdigkeiten zu akzeptieren und sie zu schätzen.
Doch ich stelle mir immer noch die Frage nach dem Warum. Wird mein Leben von einem Plan bestimmt, den ich bisher übersehen habe? Ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass es in dieser Welt viel mehr gibt, als ich verstehen kann. Hinter der bekannten Welt existiert noch eine andere. Ich habe das erlebt, habe beobachtet, wie die Zukunft zur Gegenwart und dann zur Vergangenheit wurde, habe gesehen, wie sich die Spielzeuge aus Raumschiff Enterprise zu Werkzeugen des alltäglichen Lebens entwickelten. Meine Lebensspanne erstreckt sich vom Wunder des Radios bis zum Wunder der künstlerischen Arbeit mit Hologrammen. Ich weiß, dass mich das Unbekannte endlos fasziniert, weiß aber auch, dass es darüber hinaus noch viel, viel mehr gibt.
In meinem Alter kann ich auf das Leben zurückschauen und die bedeutenden Ereignisse erkennen, das, was geschah und den Unterschied ausmachte. Ich erkenne auch die Begebenheiten, die mir zum jeweiligen Zeitpunkt wichtig erschienen, die aber keinerlei Einfluss auf mein Leben ausübten. Es ist zugleich überraschend und seltsam, wenn man sich an all die Jahre erinnert und erkennt, welche Geschehnisse sich tatsächlich auf einen auswirkten.
Wir sind alle stark von unseren Kindheitserlebnissen geprägt. Nur wenige Menschen wachsen über die Ereignisse hinaus, die uns formten. Tief in jedem von uns existieren solche kindlichen Emotionen immer noch, und wir verbringen einen Teil unseres Lebens damit, sie zu schützen und zu hegen. Die Wahl, die wir treffen, und die Entscheidungen, die wir fällen, können ursächlich meist direkt zu diesen Erlebnissen zurückverfolgt werden. Es verblüfft mich immer wieder aufs Neue, an was ich mich erinnere. Wenn ich an bestimmte Geschehnisse oder Menschen denke, kann ich das mühelos, aber das sind nicht die Ereignisse, die einen enormen Einfluss auf mein Leben darstellten.
Pausieren Sie jetzt doch für eine Minute, lehnen Sie sich zurück, und erinnern Sie sich an Ihre frühsten Kindheitserinnerungen. Halten Sie die ersten Gedanken fest, die vor Ihrem inneren Auge erscheinen. Versuchen Sie nicht, diese zu analysieren oder von den Bildern abzuschweifen. Schließen Sie die Augen, und genießen Sie die „Show“.
Das verbindende Element meines Lebens, der rote Faden, ist die Einsamkeit. Sogar als Kind gehörte ich keiner Gruppe an. Ich weiß nicht, warum. Es war keine bewusste Entscheidung. Möglicherweise lag es daran, dass ich als Jude eine mehrheitlich nicht-jüdische Schule besuchte? Ich kämpfte die ganze Zeit über um Zugehörigkeit, hatte aber nur wenige Freunde. Wenn ich die zehn Blocks zur Schule ging, sah ich all die anderen, die in Gruppen unterwegs waren. Ich hingegen lief alleine, doch ich wollte unbedingt gemocht werden. In der fünften Klasse feierten wir den Valentinstag und schickten so viele Grüße an Mitschüler, wie wir wollten. War man in ein Mädchen verknallt, ließ man ihr eine Aufmerksamkeit zukommen. Man konnte auch einen Gruß an den Freund aus dem Footballteam schicken, ihm erklären, wie toll es doch sei, in derselben Mannschaft zu spielen. Um der Demütigung zu entgehen, gar keinen Brief zu erhalten, adressierte ich sechs Valentinsgrüße an mich selbst. Schließlich bekam ich exakt diese sechs Grüße – und keinen einzigen mehr. Das erscheint auf den ersten Blick wie eine Nichtigkeit, doch ich habe das nie vergessen – wie ich auch das schreckliche Gefühl nicht vergaß, so einsam zu sein und so verzweifelt den Anschluss an eine Gruppe zu suchen. Einsamkeit: Das war die Hölle, in der ich als Kind lebte.
Dies zog sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Ich habe viele Bekannte, es gab einige Menschen, die mir etwas bedeuteten, doch ich habe nur wenige enge Freunde. Mein engster Freud war Leonard Nimoy. Wir wurden in einem Abstand von nur vier Tagen geboren und wuchsen beide in jüdisch-orthodoxen Familien auf. Während unserer Karrieren teilten wir zahlreiche Erfahrungen. Ich habe Leonard sehr gemocht, und er nannte mich seinen Bruder. Dennoch: Am Ende seines Lebens konnte ich ihn – den Grund dafür habe ich immer noch nicht in Erfahrung gebracht – nicht mehr zu meinen Freunden zählen. Ich rief ihn an, doch er nahm weder ab, noch reagierte er auf die Grüße. Er starb, und ich fühlte mich bei der Beerdigung nicht willkommen.
Die einzigen Menschen, die mich wirklich kannten, waren meine vier Frauen. Mit jeder führte ich eine grundsätzlich andere Beziehung.
Die zweite Erinnerung aus der Kindheit, die in meinem Leben einen langen und massiven Widerhall fand, betrifft meine Mutter. Oh nein, nicht schon wieder ein jüdisches Kind mit einem Mutterkomplex! Allerdings werde ich mich bis zum Tod an einen bestimmten Augenblick erinnern – nicht nur an die damals gesprochenen Worte, sondern auch an die damit einhergehenden Gefühle: Wie normal und unschuldig ich in dem Moment doch war, und wie sehr die Implikationen einem Erdbeben in meiner Persönlichkeitsentwicklung gleichkamen! Ich war nicht älter als sieben Jahre, und ich erinnere mich glasklar daran. Ich stellte die Frage, die wohl jeder kleine Junge seiner Mutter stellt: „Wen liebst du mehr, mich oder Daddy?“
Sie zögerte noch nicht einmal: „Daddy, denn er schenkt mir immer etwas.“
Und so tauchte die Psychiatrie in meinem Leben auf! Glauben Sie mir, alle Psychologen der Welt hätten mich nach dem Zwischenfall nicht mehr „geradebiegen“ können. Meine späteren Beziehungen zu Frauen lassen sich größtenteils auf diesen speziellen Tag zurückführen. Ich lebte bis zum Abschluss an der McGill University zuhause und war damals 21 Jahre alt. Ich kann mich dabei weder an negative noch positive Ereignisse erinnern, doch die Episode mit Mutter leuchtet strahlend in meinem Gedächtnis.
Ich sehe mir gerne Sportveranstaltungen an und höre Athleten, die zu ihrer glorreichsten Zeit oftmals voller Liebe über ihre Mütter sprechen. „Ich widme dir den Sieg, da du immer für mich da warst.“ Und wenn ich das höre, kehrt das Gefühl der Leere zurück. Denn ich habe das nie so empfunden, hatte niemals