Roland Emmerich. Jo Müller
in Erinnerung sind mir die ersten Filme von Roland deshalb, weil ich oft für die ganze Crew kochen musste. Bereits bei seinem Studentenprojekt Franzmann wuselten hier viele herum. Ich machte ihnen Boeuf Stroganoff mit Spätzle und es schmeckte ihnen wunderbar. Bei Das Arche Noah Prinzip kochte ich Kartoffelsuppe mit Würstchen und brachte das Ganze in Kochtöpfen zum Drehort. Manchmal mussten wir hier auch 40 bis 50 Butterbrezeln schmieren. Natürlich haben viele hier zudem übernachtet, weil niemand von der Filmproduktion Geld besaß. Aber ich muss sagen, dass ich mich sehr gerne an diese Zeit zurückerinnere. Ich bin mit diesen Leuten wunderbar ausgekommen, es war ein Riesen-Spaß. Und ich habe mit vielen von ihnen heute noch Kontakt, weil sie sich regelmäßig bei mir melden. Das finde ich natürlich sehr erfreulich. Ich habe damals natürlich auch mitgekriegt, dass irgendwann mal das Geld ausging und mein Mann einspringen musste. Rolands Ideen waren immer phantastisch, aber sie kosteten eben auch Geld.
Wie haben Sie darauf reagiert, als Roland und Ute Ihnen erklärten, dass sie nach Amerika ziehen wollten?
HE: Die beiden hatten ja schon immer ein Faible für die USA und waren auch schon vorher mehrfach dort. Das war eine logische Konsequenz. Hier in Deutschland wurde Roland als „Spielbergle“ belächelt und hatte einfach ab einem bestimmten Moment keine Lust mehr, sich das anzuhören. Zumal er von Mario Kassar nach Moon 44 ein Angebot bekam, das er nur schwerlich hätte ausschlagen können. Und weil er bei all seinen Filmen mit Ute eng zusammengearbeitet hatte, war klar, dass auch sie mitgehen würde. Zuerst war es schwierig für mich, das zu akzeptieren, fast ein Schock. Schließlich sind es ja meine Kinder. Ich erinnere mich daran, dass Roland eines Abends seinen Vater aus den USA anrief und ihm erklärte, er habe ein lukratives Angebot bekommen. Mein Mann meinte zu ihm: „Es kann dir gar nichts Besseres passieren. Nimm das Angebot an!“ Mein Mann war lange Zeit für Roland ein enger Vertrauter, mit dem er alles besprechen konnte.
Es fällt auf, dass Ihr Sohn Sie in ganz vielen Interviews oder Ansprachen erwähnt. Schmeichelt das?
HE: Natürlich schmeichelt mir das. Ich bin auch wirklich stolz auf Roland und das, was er erreicht hat. Natürlich höre ich eher selten von ihm, meistens telefoniere ich mit Ute. Roland ist ständig im Stress und umringt von einem Tross von Leuten. Es ist etwas schwierig, sich mit ihm in Ruhe unterhalten zu können. Deswegen freue ich mich natürlich umso mehr, wenn er mich immer an Weihnachten besuchen kommt – sofern es ihm möglich ist. Er hat mich auch schon auf sein Schiff in Thailand mitgenommen, die Maid Marian II. Das war herrlich. Zusammen mit meinen fünf Enkeln. Einmal reservierte er mir eine Hotel-Suite in Bangkok, die so überwältigend groß war, dass ich dachte, ich könnte darin tanzen.
Vom Hobby-Künstler zum Kino-Enthusiasten:
Roland Emmerich entdeckt seine Leidenschaft
Nein. Die Schule hat ihn alles andere als begeistert. Er war ein höchst durchschnittlicher Schüler und am Lehrstoff wenig interessiert. Um einen Streber hat es sich bei ihm wahrlich nicht gehandelt. Zwar hatte er erkannt, dass es wichtig war, Abitur zu machen, war dieses doch die Eintrittskarte in ein späteres Berufsleben. Aber der Unterricht langweilte ihn einfach. Während der Mathelehrer sich darum bemühte, den Satz des Pythagoras detailliert zu erläutern, oder im Physikunterricht der Faraday-Effekt besprochen wurde, pflegte Emmerich seine Gedanken um andere, wesentlich aufregendere Dinge kreisen zu lassen: Er träumte von den phantastischen Welten der Malerei.
Seit frühester Kindheit war er ein begeisterter Freizeit-Künstler, malte viel und gern, einerseits surreale, teils düstere Ölgemälde im Stil von Dalí, andererseits traditionelle Portraits. Bereits als 16-jähriger Steppke machte er in seinem Heimatort Sindelfingen durch sein ausgeprägtes künstlerisches Talent von sich reden. Mit präzisen Strichen zeichnete er Portraits von Nachbarskindern und besserte damit sein Taschengeld auf. Wobei ihn der Spaß an der kreativen Arbeit wesentlich stärker reizte als die Entlohnung, schließlich entstammte er einem gutsituierten Elternhaus und war der Sohn des erfolgreichen Fabrikanten Hans Emmerich, der in den Nachkriegsjahren zusammen mit seinem Bruder Heinz für eine Revolution im Kaffee-, Kakao- und Weinanbau gesorgt hatte. Bevor die beiden Brüder damals ihre Erfindung auf den Markt brachten, mussten sich die Kaffee- und Kakao-Pflanzer ebenso wie die Weinbauern mit handbetriebenen Maschinen abplagen, um ihre Schützlinge zu besprühen. Das mobile Gerät mit Benzinmotor war dann natürlich zum Verkaufsschlager geworden und machte Hans und Heinz Emmerich zu Millionären.
Das Erfolgsrezept: Erfindungsreichtum und Tüchtigkeit gepaart mit Geschäftssinn und Durchsetzungsvermögen. Die gleichen Eigenschaften scheinen sich später auch auf Sohn Roland übertragen zu haben. Als 20-Jähriger brachte Emmerich seine Lehrer etwa zur Weißglut, weil er ausgerechnet in der Zeit des schriftlichen Abiturs eine große Kunstausstellung in einer Galerie organisierte, bei der er seine Gemälde der Öffentlichkeit vorzustellen gedachte. Die herbe Kritik der Pädagogen ließ den selbstbewussten Pennäler indes völlig kalt und der Erfolg gab ihm recht: Erstens konnte er bei der Ausstellung die Hälfte der Bilder verkaufen und zweitens schaffte er es, die Abiturprüfungen zu bestehen.
Ebenso wie für Malerei begeisterte er sich schon früh auch für Literatur. Als Halbwüchsiger verschlang er Romane von Novalis, Joseph von Eichendorff, E.T.A. Hoffmann und Hermann Hesse. Besonders hingezogen fühlte er sich zur deutschen Romantik. Sie prägte seine Gedanken und machte einen nachhaltigen Eindruck auf ihn.
Tiefe Spuren hinterließ, wie gesagt, auch seine erste Reise nach Amerika. Als 13-Jähriger besuchte er einen kleinen Ort namens Newport News, an der Ostküste der Vereinigten Staaten, wo Geschäftsfreunde der Familie lebten. Es war das erste Mal, dass er alleine, ohne seine Eltern, auf Reisen ging. Die Sommerferien, die er dort verbrachte, erlebte er wie einen Traum von gigantischen Städten, Highways und Drive-ins. In sein Gedächtnis brannte sich besonders das Bild einer geheimnisvoll funkelnden Lichterkette ein, die er am Horizont entdeckte: Das nächtliche New York.
Bei seinem ersten USA-Besuch verschlug es ihn aber auch ins Kino und seine Leidenschaft für die bewegten Bilder begann langsam in ihm zu keimen. Als überzeugter Bücherwurm wollte er sich dann natürlich auch mit den Werken amerikanischer Autoren vertraut machen und so las er in späterer Zeit Romane von Tom Wolfe, Jack Kerouac, William S. Burroughs oder J. D. Salinger.
Es waren jedoch nicht nur seine Amerika-Besuche, die ihn den Zelluloid-Träumen näherbrachten, sondern auch seine regelmäßigen Aufenthalte in einer südfranzösischen Ferienschule. Die Lehranstalt war in einer alten Villa untergebracht und verströmte den Hauch vergangener Geschichte, was ihm sehr gut gefiel. Die Villa wurde für Emmerich zur zweiten Heimat. In ihren Mauern begann er sich eingehend mit dem französischen Literaten, Dichter, Theaterautor und Filmregisseur Jean Cocteau zu beschäftigen. Mit Begeisterung verschlang er dessen Bücher, studierte dessen Werke auf Zelluloid – und wurde damit auch durch sie mit der magischen Welt des Kinos vertraut gemacht.
Seine Begeisterung für die bewegten Bilder wurde bald so groß, dass er fast jeden Tag Stunden im Kino verbrachte und sein ganzes Taschengeld für diese neue Leidenschaft ausgab. Besonders beeindruckten ihn dabei amerikanische Musicals. An der Spitze seiner persönlichen Hitliste standen Tanzfilm-Klassiker von Vincente Minnelli mit den beiden Musical-Legenden Ginger Rogers und Fred Astair.
Emmerich las in dieser Zeit zudem alles an Filmliteratur, was ihm in die Hände fiel: Drehbücher von Federico Fellini, Biografien über Fritz Lang und Truffauts legendäres Buch Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?. Besonders begeistert zeigte er sich dabei von den Tricks des genialen „Master of Suspense“. Beeindruckend fand er etwa jene Szene in dessen Klassiker Verdacht, in der Cary Grant seiner Filmgattin Joan Fontain ein Glas Milch bringt, das wie der Zuschauer vermutet, vergiftet ist. Um die Aufmerksamkeit des Zuschauers ganz auf das Glas zu lenken, versteckte Hitchcock ein Lämpchen darin. Deshalb leuchtet es auf geheimnisvolle, aber nicht aufdringliche Weise …
Den jungen Kinofan interessierten alle Aspekte der Filmproduktion: die Technik, das Handwerk, die Effekte. Trotz seiner Begeisterung für das Medium Film bedeutete ihm in dieser Zeit die Bildende Kunst aber immer noch sehr viel. Nach wie vor malte und zeichnete er mit großem künstlerischen Enthusiasmus. Er versuchte sich zudem auch als Designer und entwarf für die väterliche Firma einen Messeaufbau, der ein großer Erfolg und auch viele Jahre später noch benutzt wurde. Und eine weitere