Peter Gabriel - Die exklusive Biografie. Daryl Easlea

Peter Gabriel - Die exklusive Biografie - Daryl  Easlea


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zu sein scheine, der für nichts in der Welt Kompromisse für seine Kunst eingehen würde. „Er würde wohl eher das Exil auf einer einsamen Insel vorziehen, als sich in eine ihm unliebsame Richtung zu bewegen.“ Als Gabriel 1982 zu Genesis zurückkehrte, war er für seine Kunst einen dieser Kompromisse eingegangen, um sein Überleben zu sichern. Von da an würde er sicherstellen, dass er das nie wieder tun würde müssen. Dies ist die Geschichte einer jener Figuren in der Geschichte der Populärmusik, die auf liebenswürdige Weise am wenigsten zu Kompromissen bereit gewesen sind.

      Wie viele Leser vermutlich wissen, tragen die ersten vier Soloalben Peter Gabriels in Großbritannien schlicht den Titel Peter Gabriel. Sein viertes kam in den USA unter dem Titel Security auf den Markt und irgendwann bürgerte es sich ein, die vorangegangenen drei LPs nach Kurzbeschreibungen der jeweiligen Plattencover zu benennen: Car, Scratch und Melt. Bei der Arbeit an diesem Buch musste ich schon bald erkennen, dass ich mich von meinem Wunsch, die ursprünglichen britischen Titel der ersten vier Alben beizubehalten, verabschieden würde müssen. Nachdem ich etwa einen Monat lang mit den Bezeichnungen „PG1“ bis „PG4“ experimentiert hatte, habe ich schließlich beschlossen, die Alben der Einfachheit halber ebenfalls Car, Scratch, Melt und Security zu nennen.

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      „Die Zeit hinterlässt eine unauslöschliche Spur auf allem. Wenn man sich an seine Vergangenheit zurückerinnert, dann kann man in ihr nicht länger leben, aber man kann in ihr herumspazieren, alte Erinnerungen durchgehen und gelegentlich den Geruch eines Ortes, an dem man gelebt hat, aufschnappen.“

      – Peter Gabriel, 2012

      „Jemand sieht sich deinen Karriereverlauf an und sagt: ‚Dieser Mann hat beruflichen Selbstmord begangen. Er hatte dieses riesige Album, mit dem er 1986 seinen Durchbruch schaffte, und dann ließ er sich sechs Jahre für den Nachfolger Zeit. Dann wartete er überhaupt zehn Jahre für das nächste Album. Und jetzt sitzen wir hier, wieder zehn Jahre später, und das nächste ist noch lange nicht in Sicht.‘ … Von einem finanziellen Standpunkt aus mag das wohl stimmen. Aber ich hatte ein echt interessantes Leben. Und das scheint mir im Alter von 61 ein viel sinnvolleres Ziel zu sein. Solange ich meine Rechnungen bezahlen kann, was manchmal ein Thema ist, kann ich mich glücklich schätzen.“

      – Peter Gabriel, Rolling Stone, 2011

      2012 sagte Gabriel: „In unserer Kultur gelten Masken als etwas, hinter dem man sich versteckt, aber in anderen Kulturen sind sie das Vehikel, das einem dabei hilft, aus sich herauszugehen. Ich bin mithilfe von ihnen aus mir herausgekommen.“

      Masken werden seit über 9.000 Jahren in Ritualen verwendet. Sie wurden und werden zur Zierde, bei Aufführungen, zum Schutz und zur Tarnung getragen. In afrikanischen Kulturen kommen sie in religiösen Zeremonien, die die Ahnen beschwören sollen, zum Einsatz. Tiermasken werden aufgesetzt, um mit der Welt der Geister zu kommunizieren. Das US-Magazin Circus veröffentlichte im Dezember 1974 eine Ausgabe, die sich mit der Zukunft der Rockmusik auseinandersetzte. Auf die Frage, ob Gabriel zur Maske werden würde, sobald er sie aufsetzte, antwortete er: „Yeah, ich empfinde das so. Wenn ich eine Maske trage, finde ich es leichter, die Maske zu verkörpern. Normalerweise fühle ich mich sehr gehemmt, aber hinter der Maske ist das anders.“

      Von der frühen Theatralik seiner Outfits bei Genesis bis hin zur exotisch anmutenden Eleganz seines bemalten Gesichts in den Achtzigern hatte Gabriel die Maske eines Popstars für eine beachtlich lange Zeit getragen. Sein Video zu „I Don’t Remember“ von 1983 beginnt mit einer Szene, die zeigt, wie er sich eine Maske aufsetzt, die er am Boden findet. Es ist schwierig zu sagen, wer hier der wahre Peter Gabriel ist. Da er ein so enorm engagierter und liebevoller Mensch ist, gibt es keinen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit, seiner Ehrlichkeit und seiner Standhaftigkeit. Sein Auftreten als Innovator, Geschäftsmann und Aktivist gegen soziale Ungerechtigkeit lässt uns seine Motive nicht in Frage stellen. Gabriel ist eine besondere Mischung, ein gefühlvoller Mann, der tief empfindet, einen starken Arbeitsethos mitbringt und akribische Detailverliebtheit mit der für die britische Mittelklasse so typischen Abscheu gegenüber Konfrontation verbindet. Seine Arbeiten liefern uns die brauchbarsten Hinweise auf seine Persönlichkeit, und in manchen Fällen ist sein Seelen-Strip ganz offensichtlich. Oft sieht man bei ihm vor lauter Bäumen den Wald nicht. Sein Bedürfnis, sich auf seinen Plattenhüllen zu tarnen, lässt uns darüber nachgrübeln, wo er steht. Gabriel ist – so wie sein Name uns nahelegt – eine engelhafte spektrale Präsenz. Maskiert, zurückgezogen, jemand, der hinter einer Fassade für die Öffentlichkeit existiert. Das ist der grundlegende Schlüssel zu allen Arbeiten von Gabriel.

      ***

      Ihn einfach einen Popstar zu nennen, wäre so, als würde man Salvador Dalí als simplen Maler abtun. Gabriel ist einer der talentiertesten und rätselhaftesten Künstler, die Großbritannien je hervorgebracht hat. Dieser urtypische Engländer verfolgt seit jeher unterschiedliche, aber sich überschneidende Karrieren mit der ihm eigenen unermüdlichen Akribie. Er hatte eine lange und abwechslungsreiche Solokarriere, in der er mit „Sledgehammer“ auch einen Nummer-1-Hit in den USA verbuchen konnte. Seine Stimme, die in NME als „… potentes Instrument, das von rabenhaftem Krächzen bis sehnsüchtigem Sopran alles abdeckt, und sich wie eine fremdartige Sprache aus einer mythischen Geschichte ihren Weg durch die Musik bahnt“, bezeichnet wurde, ist eine der eindringlichsten der Popmusik. Er verbreiterte sein Schaffensspektrum, indem er sich als Autor versuchte und in den Neunzigern und dem neuen Millennium zu einigen kommerziell erfolgreichen Soundtracks beitrug. Seine audiovisuellen Werke waren in der Regel bahnbrechend. Er war einer der ersten, die der Popmusik ein soziales Gewissen verliehen, und setzte sich in Folge auf seine äußerst zurückhaltend britische Weise unablässig für karitative Organisationen wie Amnesty International ein.

      Er begründete das WOMAD-Festival und war mitverantwortlich dafür, jenen Sound, der in Westeuropa weithin als „World Music“ bekannt ist, zu etablieren, wozu er nicht nur mit dem Festival, sondern auch seinem Label Real World und dem gleichnamigen Studio in Wiltshire maßgeblich beitrug. Als ob das nicht schon genug wäre, hat Gabriel außerdem noch Pionierarbeit im Bereich von Computersystemen geleistet und sich schon früh seine Gedanken über die Nutzung und Zügelung des Potenzials und der womöglichen Bedrohung von digitalen Downloads gemacht.

      Für viele jedoch wird er im Herzen stets dort verbleiben, wo seine Karriere begonnen hat – als Leadsänger von Genesis, dieser sonderlichsten aller Progressive-Rock-Bands, die dereinst an der Charterhouse-Privatschule in Godalming, Surrey, in den späten Sechzigern gegründet worden war. Wie der DJ und Autor Mark Radcliffe notierte: „Genesis waren die einzige Prog-Band, die zu ihrem Sinn für Humor stand und auch nicht vor einem simplen Song zurückscheute.“ Während ihre ursprüngliche, idyllische Vision sich zu etwas Kunstvollerem weiterentwickelte, fügte Gabriel – meist, um seine eigene akute Schüchternheit zu kaschieren – ihren Shows ein theatralisches Element hinzu, das durch eine Vielzahl von Requisiten und exotischen Kostümen zum Ausdruck gebracht wurde und ihn als performenden Innovator etablierte.

      Nachdem ihn William Friedkin, der Regisseur von Der Exorzist, umworben hatte, für ihn ein Drehbuch zu verfassen, schrieb er beinahe jede einzelne Zeile für das Konzept-Doppelalbum der Band, The Lamb Lies Down On Broadway, auf dem die Geschichte eines puerto-ricanischen Tunichtguts, der in der Unterwelt New Yorks lebt, erzählt wurde. Das Material entfernte sich von den früheren, eher ätherisch angehauchten Thematiken der Band. Allerdings wurde der Stress-Faktor immer stärker und Gabriel, ein jungverheirateter Mann mitsamt Neugeborenem, der gerade von London nach Bath umgezogen war, hatte die Nase voll.

      Als Gabriel 1975 Genesis verließ, zog das einen beträchtlichen Schock nach sich, immerhin hatte sich die Gruppe ja gerade erst breite Anerkennung (und damit verbunden: finanzielle Liquidität) erspielt. Müde vom Monolithen, den er geholfen hatte zu erschaffen, zog er sich in den Westen des Landes zurück, von wo aus er sich aufmachte, eine der erfolgreichsten Solokarrieren überhaupt in Angriff zu nehmen, in deren Verlauf er namenlose Alben veröffentlichen, sich neuen Technologien öffnen und mit Singles wie „Games Without Frontiers“ immer seltsamer werden sollte. Als er 1986 schließlich doch einem Album einen Titel – So – gab, wurde er in den Olymp des Pop katapultiert und lieferte


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