Peter Gabriel - Die exklusive Biografie. Daryl Easlea

Peter Gabriel - Die exklusive Biografie - Daryl  Easlea


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Jahr 1611 zurückreichte, verbunden war. Charterhouse hatte seine eigene Sprache. Seine Schüler nannte man „Kartäuser“. Die Lehrer hießen „Beaks“ und eine Unterrichtsstunde „Hash“. Das Abendessen war als „Homebill“ bekannt. Die drei Trimester nannte man im Sprachgebrauch der Schule „Oration“, „Long“ und „Cricket“. Gabriel passte nie in die Elite, als die sich Charterhouse begriff. Er lernte, so wie er sagte, zu überleben, „ohne in irgendetwas gut zu sein“, und verstand sich als eine Art Einzelgänger in einer Atmosphäre, die von Angst und Mobbing unter den Schülern geprägt war. Allerdings treffen in solchen Einrichtungen Außenseiter oft auf andere Außenseiter.

      Bereits an seinem allerersten Tag an der neuen Schule begegnete Gabriel Tony Banks, der wie er im Girdlestone House, einem der Häuser, in die das Internat unterteilt war, untergebracht war. Es war nach seinem ersten Hausvorstand, Frederick Girdlestone, benannt. Seine Bewohner wurden umgangssprachlich bereits seit Ewigkeiten „Entlinge“ gerufen, da Girdlestone einen entenhaften Watschelgang gehabt hatte. Die Beziehung zwischen Gabriel und Banks bildete zweifellos das Fundament für Genesis – und sie war auch der Grund für Gabriels Abschied von der Gruppe zehn Jahre nach ihrer Gründung. Banks, der am 27. März 1950 in East Hoathley, Sussex, auf die Welt gekommen war, war im Alter von 13 bereits ein fähiger Klavierspieler. „Ich sagte: ‚Hallo, ich bin Banks.‘ Er darauf: ‚Ich bin Gabriel.‘ Damals stellte man sich nur mit seinem Nachnamen vor“, erinnert sich Tony Banks mit einem Lachen. „Ich hielt ihn für einen eher stillen Typ. Ein wenig dicklich mit einem ernsten Blick. Er sah harmlos aus.“

      Gabriel und Banks verband ihre Abneigung gegenüber der Schule. Richard Macphail, der später Genesis-Tour-Manager werden sollte und immer noch gut mit ihnen befreundet ist, hat die beiden in der Schule kennengelernt. Er war im Gegensatz zu manchen Mitschülern eher positiv eingestellt: „Ich bin einfach jemand, der mit einer sehr optimistischen Einstellung auf diese Welt gekommen ist“, erklärt er. „Ich bemerkte, dass es Tony echt mies ging. Es ist vielleicht ein wenig heftig ausgedrückt, aber die Zeit dort hat ihn wahrscheinlich traumatisiert. Es herrschte ein ziemlich raues Klima. Die älteren Jungs durften die jüngeren verdreschen. Nicht die Lehrer, sondern die Jungs. So war das eben. Ziemlich wild, wenn man es sich so überlegt.“

      „Meine ersten paar Jahre dort waren sehr schwer für mich, da alles ziemlich repressiv war“, sagt Banks. „Ich kam von einer Schule, wo ich mich sehr gut gemacht hatte. Von da an ging’s mit meinen Noten bergab. Ich verstand mich nicht gut mit den Lehrern. Generell war ich nicht sehr glücklich.“

      Nachdem sie einander kennengelernt hatten, setzten sich Banks und Gabriel zusammen und bastelten gemeinsam an Songs. Gabriel, ein viel schlechterer Pianist als Banks, versuchte bei jeder Gelegenheit, Banks vom Klavier zu verdrängen. „Peter gewann in jedem Fall, da er, wenn ich als erster am Klavier war, gesungen hat“, sagt Banks. „Wir spielten diese Sachen, bei denen uns John Grumbar an der Klarinette begleitete. Etwa ‚Quando, Quando, Quando‘, wodurch ich viel über den Aufbau von Musik lernte. Manchmal spielte ich vom Blatt, dann wieder nach Gehör. Es machte großen Spaß.“

      In diesem repressiven Umfeld kamen Gabriel und Banks – inspiriert von Lennon und McCartney – auf die Idee, eines Tages Songwriter zu werden und ihre eigenen Songs zu spielen. „Tony wusste wohl, dass er keine besonders gute Gesangsstimme hatte. Ich vermute, dass das seine Motivation war, um mit mir zusammenzuarbeiten“, sagte Gabriel 2006. „Ich wiederum wusste ganz genau, dass er über Fähigkeiten am Klavier verfügte, die mir fehlten.“

      Die beiden wollten keine eigene Band gründen, aber sie interessierten sich sehr für das Songwriting und versuchten, sich originelle Texte und Akkordfolgen einfallen zu lassen. „Peter und Tony kamen beide vom Klavier und diskutierten ständig, wer nun der Pianist sein dürfte. So begann ihre musikalische Beziehung“, erinnert sich Macphail. „Tony hatte eine klassische Ausbildung und Peter experimentierte mit Blues-Akkorden. Sie hatten sehr unterschiedliche Einflüsse, was eine gute Sache war. Banks stand für Hymnen und Bach – Peter dagegen begeisterte sich für Nina Simone und Blues.“

      „Peter und ich haben schon immer nach etwas Eigenem gesucht“, sagt Banks. „Er spielte mir ‚I Put A Spell On You‘ von Nina Simone vor, was uns beiden sehr gefiel. Ihre Stimme war so fantastisch. Das Streicher-Arrangement und die Akkorde waren sehr atmosphärisch. Das Stück gehört immer noch zu meinen Favoriten. Wir standen beide auf Soul. Ich liebte Tamla Motown und Otis Redding. Unsere Geschmäcker waren sich zu dieser Zeit recht ähnlich. Ich war damals ziemlich vielseitig am Weg. Im Verlaufe des Jahrzehnts aber engte sich mein Spektrum immer mehr ein, bis ich schließlich gar nichts mehr gut fand.“

      Die Zeit, die die Jungs an der Schule verbrachten, überschnitt sich mit dem Anbruch einer neuen, bunten Ära in Großbritannien in den Sechzigern: „Es war ganz klar eine Phase großer Veränderungen“, erinnert sich Macphail. „Da waren die Beatles und die Stones. Wir kamen alle 1962 und ’63 an und alles überschnitt sich. ‚Bang!‘ – Auch an der Schule ging es rund. Die Leute ließen sich ihre Haare wachsen, trugen knallenge Hosen und entdeckten die Musik für sich. Letzten Endes war es die Musik, die uns alle rettete. So schaffte ich meinen Abschluss.“

      Eine mehr als willkommene Abwechslung bot sich im Keller der „Entlinge“, wo ihnen ihr Hausvorstand jeden Abend eine Stunde lang erlaubte, den Plattenspieler auf volle Lautstärke zu drehen. Hier hörte Gabriel Blues, R&B, Soul, die Stones, die Yardbirds, die Beatles, was auch immer die Jungs von ihren regelmäßigen Ausflügen nach Godalming ankarrten. Musik wurde für alle zum Zentrum.

      ***

      Anthony ‚Ant‘ Phillips, der am 23. Dezember 1951 geboren war und eine Klasse unter Banks und Gabriel zur Schule ging, stand auf Musik und Bands. Er stammte aus Chiswick und war ein begnadeter Gitarrist. Die meisten Leute vergessen, was für ein gigantischer Typ Ant gewesen ist“, sagt Macphail. „Musikalisch war er allen anderen weit voraus, obwohl er jünger war als wir.“ Phillips war mit Mike Rutherford befreundet, der am 2. Oktober 1950 das Licht der Welt erblickt hatte. Die beiden hatten sich früh an der Schule kennengelernt. Rutherford galt als sehr aufmüpfig. „Ich hatte Peter in unserem ersten Jahr getroffen“, erinnert sich Rutherford. „Wenn man nicht im selben Haus wohnte, hatte man nicht viel miteinander zu tun. Es gab nicht viele, die selbst Musik machten. Wenn man sich also mit Musik beschäftigte, dann fand man sich schnell. Peter war ein sehr stiller Typ.“

      Rutherfords Hausvorstand verbat ihm, Gitarre zu spielen. Er nannte sie „ein Symbol der Revolution“. Da Gitarristen auf dem Gelände nur spärlich gesät waren, freundeten sich Rutherford und Phillips rasch an und gründeten eine Gruppe namens The Anon, bei der Phillips’ Freund Rivers Jobe Bass spielte. Ihr guter Kumpel Macphail übernahm den Gesang. „Ich hätte mir nie gedacht, dass ich einen Song schreiben könnte“, sagt Macphail, „aber ich war ein guter Imitator.“ Macphail war ziemlich von Mick Jagger angetan. Während die Beatles als gute Jungs galten, waren Jaggers Jungs, die Rolling Stones, die Bösewichte der Popmusik, die sich auf den Delta-Blues beriefen und ihre eher gehobene Herkunft aus Kent unter den Teppich kehrten. Macphail liebte die Band so sehr, dass Phillips ihm vorschlug, er solle sich für ihre Gruppe doch ‚Mick Phail‘ nennen. „Ich stritt mich deswegen oft mit meinen Eltern“, lacht Macphail. „Sie hielten Mick Jagger tatsächlich für die Inkarnation des Teufels.“

      Ab Mitte 1965 gab es auf der Schule mehrere Bands, die sich alle vom Durchbruch der Beatles und der Stones in die weltweiten Hitparaden inspiriert fühlten. The League of Gentlemen galten als die beste unter ihnen. Gabriel hingegen, der mittlerweile ein vollständiges Schlagzeug besaß, trommelte bei den Milords (manchmal auch The M’lords) und im Anschluss daran mit seinem Freund David Thomas bei The Spoken Word. „Peter spielte bei den Milords mit Richard Apsley“, erinnert sich Banks. „Sie spielten in erster Linie traditionellen Jazz. Bei einem Konzert war Peter hinter den Drums und bei ihrer Version von ‚House Of The Rising Sun‘ trommelte er nicht nur, sondern sang auch. Peter hat zwar ein tolles Gespür für Rhythmus, aber er kann ihn nicht halten. Sein Schlagzeugspiel war immer ein wenig wacklig. Es war aber sehr aufregend, wie er auf alle Trommeln gleichzeitig einknüppelte und schrie. Irgendwie funktionierte es.“

      Gabriel und Tony Banks bewegten sich noch weiter fort von ihrem ursprünglichen kleinen Songwriting-Workshop, als sie schließlich


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