Das großartige Leben des Little Richard. Mark Ribowsky

Das großartige Leben des Little Richard - Mark Ribowsky


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leiblichen Gebrechen und persönlichen Marotten anging. Zunächst einmal hatte er keine gleich langen Beine, weshalb er humpelte und schlurfte. Außerdem hatte er „einen dicken Kopf, aber einen schmächtigen Körper, und eines meiner Augen war größer als das andere.“ Er selbst nahm dafür Wörter wie „verkrüppelt“ und „entstellt“ in den Mund – hämische Ausdrücke, die er bei Sticheleien auf dem Schulhof aufgeschnappt hatte. Weil seine Gangart unmännlich wirkte, „nannten mich die anderen Kinder Schwuchtel, Weichei, Missgeburt oder Abschaum, alles Mögliche.“ Richard machte er keine großen Anstalten, sich gegen die Beschimpfungen zu wehren, sondern gab sich bewusst weibisch, wozu er sogar in Leva Maes Zimmer schlich, sich schminkte und mit ihrem Rosenwasser einparfümierte. Zudem ahmte er ihre Sprechweise mit mädchenhaft hoher Stimme nach.

      Sie reagierte nur kopfschüttelnd. Bud jedoch stellte sich wie die meisten, die Richard begegneten, laut die Frage: „Was ist nur mit dem Jungen los?“ Sie war nicht leicht zu beantworten, zu komplex vielleicht für das Milieu und die damalige Zeit. Der Vater gab ihm deshalb stets kurzerhand eine Abreibung mit dem Gürtel, wenn er Theater veranstaltete oder sich in Schwierigkeiten brachte. Sein Sohn ließ es über sich ergehen, trug dann aber gleich wieder Schminke auf, parfümierte sich und tat feminin. Mit der Zeit nahmen die Konflikte und Spannungen zwischen ihm und seinem Dad nur weiter zu, da er alles zu verkörpern schien, was Bud hasste. Richard räumte später ein: „Ich wusste, dass ich nicht so war wie die anderen Buben“, er fühlte sich auf „unnatürliche“ Weise zu Jungen hingezogen, deren Verhalten seinem ähnelte, und gab sogar zu, sich homosexuellem Verkehr hinzugeben. Er berichtete, dass junge schwarze Männer in Macon sich an Straßenecken aufstellten, um von weißen Männern mit dem Auto abgeholt zu werden, mit denen sie in den Wald fuhren und Sex hatten, in der Hoffnung, dafür etwas Geld zu bekommen. An den Rändern einer Kultur, in der Lynchjustiz allzu gegenwärtig war und an Restauranteingängen „Weiß“- und „Farbig“-Schilder hingen, ließen sich einige Schwarze selbst zu solchen Mitteln herab, um zu überleben. Richard eingeschlossen.

      Er neigte merkwürdigerweise zu einem wagemutigen, draufgängerischen Lebenswandel und gefährlichen Drahtseilakten. Oft ließ er sich von anderen Kids zu Prügeleien provozieren, was meist damit endete, dass sie ihm sein hübsches Gesicht blutig schlugen. Sein großer Bruder Charles mischte sich dann ein. „Wenn ich herausfand, dass sie Richard drangsaliert hatten“, sagte er, „knöpfte ich sie mir vor.“ Richard konnte sich einfach nicht ruhig verhalten, was sich nicht nur auf seinen Gesang bezog. Er „nervte uns mit seinem Geheul und Geklopfe auf Blechdosen. Wenn sich Leute über ihn aufregten, schnauzten sie ihn an: „Halt dein Maul, Bursche!“ Daraufhin lief er davon und lachte sich kaputt.“ Er war in vielerlei Hinsicht bereits Little Richard – frühreif und imstande, Unruhe zu stiften, und er erkannte bald, wie nützlich seine Stimmgewalt sein konnte. Sie war insofern sinnstiftend, als er sich mit anderen Jugendlichen in Gospelchöre einbrachte, die in Kirchen sangen, aber auch in der Öffentlichkeit auftraten. Der Erste, an den er sich erinnerte, hieß Tiny Tots und wurde von einer matronenhaften Frau geleitet, die er als Ma Sweetie kannte. Mit zwei seiner jüngeren Brüder, Marquette und Walter, bildete er gelegentlich ein Trio. Ob mit oder ohne Namen: Diese Ensembles sangen auf den Straßen oder einer überdachten Veranda, um von den Leuten Obst, Süßigkeiten und manchmal sogar ein paar Dollar zu bekommen.

      „Das war echt nicht zu verachten“, meinte Richard. „Alle haben gesungen, zum Beispiel ganz einfach so beim Waschen der Wäsche hinterm Haus. Wir hörten uns wie ein großer Chor an und probten trotzdem nie: eine vielköpfige Truppe, so fünfzig Stimmen aus der ganzen Nachbarschaft.“

      Gelegentlich fuhr sein Onkel Willard sie in Kleinstädte auf dem Land, wo etwas mehr Geld heraussprang, beispielsweise Logtown (Bud stammte von dort), Forsyth und Perry. Sie traten dort in Sommerlagern und Kirchen auf, wobei Lieder wie „Precious Lord“ oder „Peace in the Valley“ dargeboten wurden. Richard vertiefte sich dergestalt ins Singen, dass seine Leistung in der Schule darunter litt. Er spielte mit dem Gedanken, sie zu schmeißen, um eine Karriere in den Clubs anzutreten, dachte dann aber daran, was sein alter Herr tun würde, um ihn daran zu hindern; darum schwänzte er auch nie. „Ich hatte einen Vater“, erzählte er, „der dich deswegen umgebracht hätte – die Rübe abgeschlagen mit der Gerte.“

      Buds Neigung zum Jähzorn beeinflusste Richards Leben unterschwellig immer stärker, während er zum Teenager heranreifte und die düsteren Jahre des Zweiten Weltkriegs anbrachen, als viele junge Männer aus Pleasant Hill verschwanden, zum Wehrdienst in gesonderten Verbänden eingezogen oder freiwillig der Armee beigetreten. Auch wenn er sich in einer Weise aufführte, die sein Vater nicht billigte, glaubte Richard im Ernst, auch Gottesmann werden zu können, was Bud gutheißen würde, wie er wusste. Er wollte Religion und Singen wirklich miteinander vereinbaren. Zu den Menschen, die ihn schon früh beeinflussten, zählte der singende Prediger Brother Joe May, der unter dem Künstlernamen „Blitz des Mittleren Westens“ auftrat. Er stammte ebenfalls aus einer Stadt namens Macon, bloß in Mississippi, und war eigentlich kein Geistlicher, erregte das schwarze Publikum auf seinen Tourneen aber so stark, dass ihn ein Journalist als „größten männlichen Einzelkünstler in der Geschichte der Gospelmusik“ bezeichnete. May verkaufte ab 1949, als er „Search Me Lord“ aufnahm, millionenfach Tonträger. Richard besuchte eine seiner Shows im Macon City Auditorium und sah seine eigene Zukunft.

      Bis auf Weiteres verbrachte er indes die meiste Zeit in dieser oder jener Kirche, da seine Eltern unterschiedlichen Konfessionen angehörten: Bud der Methodistenkirche Foundation Templar, Leva Mae den New-Hope-Baptisten. Hinzu kamen drei weitere Gotteshäuser, in denen drei seiner Onkel Seelsorger waren, und noch einige weitere in der Umgebung, wo er im Chor sang. Er hatte bereits erkannt, dass es klug war, nicht nur eine gute Stimme, sondern auch eine besondere Masche dazu zu haben. Wie er später behauptete, sei er schon mit zehn Jahren herumgezogen und habe sich als Heiler ausgegeben. „Ich besuchte Leute, die krank waren, sang fromme Lieder und berührte sie, woraufhin viele schworen, dass sie sich besser fühlten! Manchmal kriegte ich Geld von ihnen.“

      Dann kam dank Blues und R&B frischer Wind auf. Unter den zahllosen Impulsgebern, auf die Richard schließlich zurückblicken konnte, nannte er den großen „König der Jukebox“ Louis Jordan aus der Swing-Ära – ein Ausbund an Talent, der sang, tanzte, seine Band führte und Saxofon spielte, alles laut und in rasantem Tempo. Er ließ nicht nur von sich hören, sondern flimmerte auch in Musikfilmen über die Leinwand, derentwegen Richard stundenlang in den Kinos von Macon saß. „Caldonia“, einer von Jordans R&B-Hits, war das erste nicht geistliche Stück, das der Junge je sang, und dass er seine eigenen Lieder nach Frauen benannte, geschah nicht zufällig, denn sein Vorbild tat dies auch.

      Zwar passte er im Unterricht nie gut genug auf, um ordentliche Noten zu schreiben, lernte aber auf der Hudson High School, Altsaxofon zu spielen, und schloss sich der Schulband an.

      Da Jazz- und R&B-Kompositionen auf Blasinstrumente ausgerichtet waren, arbeitete er mit großem Ernst darauf hin, Musik zu seiner Berufung zu machen. Das Macon City Auditorium und einige der weniger feinen Clubs in der Innenstadt waren bedeutende Anlaufstellen für Underground-Bluessänger, deren Songs auf weltlichen Inhalten beruhten, also streifte Richard regelmäßig kreuz und quer durch die Straßen im Zentrum, um die Stimmung, die Gerüche und den Sound dessen zu verinnerlichen, was man bald unter einem Schlagwort zusammenfasste: Rock ’n’ Roll. Macon-Mitte war nicht nur der Nährboden für die schwarzen Wurzeln dieser Musik, sondern brachte auch den weißen Priester und Sänger Emmett Miller hervor, dessen durchdringendes Falsett Richards Stimme stark ähnelte und auf das Jodeln der Hillbilly-Stilistik zurückging.

      Egal von welcher Musik man sich anregen ließ: Die Sehnsucht nach etwas, das die Grenzen des Konventionellen überschritt, ließ sich nicht leugnen, und falls irgendjemand die entsprechenden Gefühle zuerst freisetzte, waren es junge schwarze Männer und Frauen, die nacheinander durch die Clubs oder – wenn sie besser wurden – das Douglass Theatre tingelten, das Macons erster farbiger Millionär Charles Douglass eröffnet hatte. Auf den Leuchttafeln prangten Namen wie Hot Lips Page, Cootie Williams, Lucky Millinder oder Sister Rosetta Tharpe, die Richards Lieblingssängerin war und auch Gitarre spielte. Sie alle standen für einen Wandel, indem sie die Musik des Herrn mit teuflischen Blues-Rhythmen zum Hüftschwingen und offenen Bekundungen fleischlicher Gelüste spickten. Sister Rosetta strahlte unter


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