Whitney Houston. Mark Bego
zu erleben. Sie wollen auch das neueste Kapitel ihrer Familiensaga erfahren.
Um Whitney Houstons Karriere zu begreifen, muss man sich mit dem musikalischen Vermächtnis beschäftigen, das ihr voranging. Sie entstammt einer berühmten und hochtalentierten Familie: Dionne Warwick ist ihre Cousine, und auch ihre Mutter Cissy Houston war Sängerin. Über die Jahre sollten sich das Leben und die Karrieren der drei Frauen des Öfteren überschneiden. Cissy sang auf einigen der Alben, die Dionne aufnahm, und Whitney wurde, auf Dionnes Betreiben hin, von Clive Davis entdeckt, als sie mit Cissy zusammen sang. In den Neunzigern taten sich Dionne und Whitney endlich für ein Duett zusammen, das bei Arista erschien. Whitneys Patentante ist zudem niemand anders als die Queen of Soul – Aretha Franklin höchstpersönlich. Cissy hatte bei mehreren von Arethas Platten für den Backgroundgesang gesorgt, und Whitney und Aretha nahmen später ebenfalls ein Duett auf.
Interessant ist zudem, dass es ausgerechnet jener Clive Davis war, der Vorsitzende von Arista Records, der in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern die Karrieren von Aretha Franklin und Dionne Warwick wieder in Schwung brachte. Als Whitney bei Arista unterschrieb, waren beide Diven dank Davis wieder so gut im Geschäft, dass Hits mit Grammy-Auszeichnung keine Seltenheit mehr waren.
Dionne Warwick blickt auf eine höchst facettenreiche Karriere als Sängerin zurück. Die jungen Amerikaner kennen sie heute zwar hauptsächlich wegen der Infomercials für das Psychic Friends Network, die sie in den Neunzigern aufnahm, aber schon in den Sechzigern und Siebzigern prägte sie mit ihrer Stimme den Sound jener Ära. In vieler Hinsicht erinnerte Whitney in ihrer Anfangszeit mit ihrem Gesang an die gefühlvollen Balladen, mit denen ihre Cousine zahlreiche Hits verbuchen konnte.
Dionne wurde als Marie Dionne Warrick in East Orange, New Jersey geboren, und sie entwickelte früh großes Interesse an Musik. Anfang der 1960er-Jahre gehörten ihre Mutter, Lee Drinkard Warrick, ihre Tante Cissy und ihre Schwester Dee Dee zu einer Gospelgruppe, die sich The Drinkard Singers nannte. Mit dieser Gruppe machte Dionne ihre ersten musikalischen Erfahrungen. Als sie später das Hartt College Of Music besuchte, gründete Dionne mit Dee Dee und einer Cousine ihr eigenes Trio, The Gospelaires.
Als Dee Dee, Dionne, ihre Mutter und ihre Tante Cissy eines Abends im berühmten Apollo Theater in New York auftraten, wurde ein Talentsucher auf Dionne aufmerksam, und sie bekam das Angebot, bei einer Aufnahmesession den Begleitgesang zu übernehmen. Bei dieser Session traf Dionne den damals noch unbekannten Komponisten Burt Bacharach. Die Zusammenarbeit der beiden zählt zu den langlebigsten Verbindungen, aus der je Hits hervorgingen, von ihrem ersten Erfolg „Don’t Make Me Over“ aus dem Jahr 1962 bis zu ihrem Nummer-Eins-Hit „That’s What Friends Are For“ (mit Stevie Wonder, Gladys Knight und Elton John) im Jahr 1986, für den die Sängerin und der Songwriter einen Grammy erhielten.
Dionne berichtete: „Ich lernte Burt kennen, als er noch mit dem Songwriter Bob Hilliard zusammenarbeitete und die beiden gerade einen Titel namens ‚Mexican Divorce‘ für die Drifters schrieben, aber noch im selben Jahr wurde der Texter Hal David sein Partner. Ich hatte ein paar Demoaufnahmen gemacht und in ihrer Anwesenheit bei Sessions die Begleitstimme gesungen, und ich nahm auch ein Demo für die Shirelles auf. Plötzlich war nicht der Song gefragt, sondern die Sängerin, und das war ich. So fing es mit unserer Zusammenarbeit an.“
Bacharach ergänzte: „Ich konnte sie einfach nicht übersehen. Dionne hatte schon damals, als ich sie zum ersten Mal sah, das gewisse Etwas, große Eleganz und ein enormes Feeling für die Musik.“ Etwas ganz Ähnliches erkannte Clive Davis Jahre später in der Musik und in der Stimme von Whitney Houston.
Dionne änderte schon bald die Schreibweise ihres Nachnamens in „Warwick“ und begann, für Burt und seinen Partner Hal David Demos aufzunehmen, für die sie pro Song vierzig Dollar bekam. Es dauerte nicht lange, und sie konnte sich einen Plattenvertrag sichern; Bacharach und David wurden als Songwriter und Produzenten ins Boot geholt. Ihre erste Veröffentlichung, „Don’t Make Me Over“, wurde im Dezember 1962 ein Top-Ten-Hit in den USA.
In den folgenden zwei Jahren sorgte Dionnes volle und ausdrucksvolle Stimme für einen Hit nach dem anderen: „Anyone Who Had A Heart“, „Walk On By“, „You’ll Never Get To Heaven“, „This Empty Place“, „Reach Out For Me“ und „A House Is Not A Home“ kamen bis an die Spitze der US-Charts. Keine andere Sängerin wurde in den Sechzigern im amerikanischen Radio so oft gespielt wie sie. Ihre Stärke waren vor allem romantische Balladen, die von den Sendern mit modernem Pop-Schwerpunkt ebenso geschätzt wurden wie von den eher traditionell eingestellten Easy-Listening-Programmen. Bacharach und David schrieben weitere Klassiker für sie, darunter „Message To Michael“, „Trains And Boats And Planes“, „Alfie“, „I Say A Little Prayer“, „(Theme From) Valley Of The Dolls“, „April Fools“, „Promises, Promises“ und „Do You Know The Way To San Jose?“.
1978 war es um sie ruhiger geworden, und aufgrund zunehmend schwächeren Materials verbuchte sie trotz ihrer überragenden Stimme kaum noch große Hits. Dennoch war Clive Davis von Arista Records auf sie aufmerksam geworden, und Dionne ließ sich zu seinem Label locken. Als es um die Frage nach einem geeigneten Produzenten ging, schlug Clive einen weiteren Arista-Künstler vor, Barry Manilow – und der sollte, als er am 22. Januar 1979 mit Dionne ins Studio ging, eines der größten Hit-Alben ihrer ganzen Karriere betreuen. Manilow selbst sagte über seinen neuen Schützling: „Sie ist bei Balladen ebenso gut wie die Streisand. Dionne ist eine der besten Sängerinnen aller Zeiten.“
Nachdem das Album Dionne im Mai 1979 erschienen war, erhielt Dionne Warwick stehende Ovationen, als sie in der Carnegie Hall auf die Bühne kam. Im Februar 1980 heimste sie zwei Grammys für die von Manilow produzierten Top-Ten-Hits „I’ll Never Love This Way Again“ und „Deja Vu“ ein. Die zwei Preise waren das Sahnehäubchen für ein Erfolgsjahr, in dem Warwick wieder an ihre früheren Erfolge anknüpfen konnte.
Als Whitney Houston wenige Jahre später ebenfalls Hit an Hit reihte, war Dionne Warwick unglaublich stolz auf ihre kleine Cousine und sagte: „Es ist wundervoll, dass die Welt das enorme Talent erkennt, das in Whitney steckt. Sie wird ein großer Star werden und das lange Zeit bleiben!“
Für Whitney wiederum war Dionne ein großes Vorbild. „Was ich von ihr gelernt habe“, sagte sie später, „war die Klasse, die Eleganz und die Ausstrahlung, überhaupt die ganze Art, mit der sie ihr Publikum im Griff hat.“ Gerade in den frühen Jahren war es unübersehbar, dass Whitney sich stark an der eleganten Cousine orientierte.
Im Februar 1986 stand Dionne Warwick bei der Grammy-Verleihung in Los Angeles auf der Bühne, um die Auszeichnung für den besten Pop-Song einer Sängerin zu überreichen. Die Preisträgerin war niemand anders als Whitney. Die junge Sängerin sagte über den Augenblick, in dem sie darauf wartete, dass Dionne die Gewinnerin verkündete: „Ich hoffte so sehr, dass es mein Name sein würde.“ Es war ein stolzer Augenblick für eine Familie großer Sängerinnen.
Dionne Warwick kann auf eine der längsten und schillerndsten Karrieren im Musikgeschäft zurückblicken. Und spätestens als Whitney Houston sich anschickte, es ihr nachzumachen, stand fest, dass hier eine Familientradition fortgesetzt wurde.
Zwar stand Dionnes kleine Schwester Dee Dee Warrick stets im Schatten der Älteren, aber auch sie konnte beachtliche Aufnahmen vorweisen. Sie stand bei Jubilee Records unter Vertrag, als sie mit „You’re No Good“ ihre erste Single veröffentlichte, die später ein Hit für Betty Everett wurde und mit dem zuletzt Linda Ronstadt in den Siebzigern noch einmal punkten konnte. 1964 konnte Dee Dee auf Blue Rock Records eine ganze Reihe kleiner Hits verbuchen, darunter auch „We’re Doing Fine“. 1966 folgten die Hits „I Want To Be With You“ und „I’m Gonna Make You Love Me“ – ein Song, der später in der Version der Supremes und der Temptations wesentlich erfolgreicher wurde, aber trotzdem immer mit Dee Dee assoziiert wird.
In den Siebzigern wechselte sie zu ATCO Records und feierte Erfolge mit „She Didn’t Know (She Kept On Talking)“ und ihrer Version von Elvis Presleys „Suspicious Minds“. Ihr letzter Hit war 1975 „Get Out Of My Life“. 1999 würdigte die Rhythm & Blues Foundation Dee Dee Warwicks Beitrag zur R&B- und Pop-Geschichte und zeichnete sie mit dem renommierten Pioneer Award aus, den ihr Dionne persönlich überreichte. Leider starb