Die sieben Todsünden. Corey Taylor

Die sieben Todsünden - Corey Taylor


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lebten wir noch in der Zeit, bevor die großartigen, jugendfreien Veranstaltungen wieder auflebten.

      Es gab keine Jugendzentren (na ja, zumindest keine Jugendzentren, in die du gehen wolltest, und einige galten als verdammt gefährlich), und es war verboten, sich nach der Sperrstunde in Parks zu treffen, ein Gesetz, das mir immer am Arsch vorbei ging. Um Henry Rollins zu zitieren: „Das Mahl deiner Wahl ist Fisch.“ Wir waren die bedeutendsten Motherfucker unserer Generation und hatten nichts zu tun. Und so machten wir Etwas aus dem Nichts, meist aus überhaupt nichts! Billy Joe’s wurde unser Treffpunkt, unser Katalysator, und wir verteidigten den Laden mit dem Blut, das durch unsere Adern floss.

      Wenn uns einer als Homo beschimpfte, fielen wir über ihn her. Und wehe, jemand nannte uns Loser – den Typen knöpften wir uns so richtig vor. Wir waren unglaublich toll, ganz einfach, weil wir es sein wollten. Wenn du nicht mitziehen konntest – na ja, dann hat man halt auf dich geschissen. In uns trugen wir das brennende Verlangen, die Zeugnisse vergangener Generationen niederzureißen. Wir fühlten uns wie die jungen und vielleicht auch letzten Bilderstürmer, und es war egal, ob die Welt unsere Namen kannte oder nicht. Der Welt gewährten wir nämlich keinen Eintritt zu unserem Club.

      Die Party begann immer im Kino. Wir ließen einen Hut herumgehen, kauften uns danach so viel miesen Fusel wie möglich und stürmten schließlich ein Haus, mit einem Plätzchen für uns, in dem irgendein klappriges Radio herumstand und das möglichst gut versichert war. In dieser besagten Nacht fanden wir in einem Reihenhaus mit drei Schlaf- und zwei Badezimmern Schutz vor dem Wirbelsturm des Lebens. Es lag in der vorstädtischen Hölle namens West Des Moines. Und hier war es auch, wo – wie man so schön sagt – der ganze Spaß erst richtig begann. Noch bis zum heutigen Tag werden die folgenden Ereignisse von den Leuten mit ehrfurchtsvoller Stimme als „die Nacht“ bezeichnet.

      An die ersten Stunden kann ich mich nur schwach erinnern. Erst mal einige Jägermeister gekippt, dann abgekotzt, auf die Dächer fahrender Autos gesprungen, danach noch mehr Alk durch die Kehle, auf einer Couch geraucht, obwohl ich drinnen überhaupt nicht qualmen durfte, und wieder Jägermeister runter geschüttet … In den Nächten, an die du dich nicht mehr erinnern kannst, entstehen immer die Storys, die du nie vergessen wirst! Als das Donnern des Wahnsinns kurzfristig leiser wurde, machte ich mich rar, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

      Ich fand mich in einer Garage wieder, rauchte eine Kippe, fror mir den Arsch ab und saß mitten in dieser Betonwüste auf einem harten Metallstuhl, der einem Folterinstrument ähnelte. Ich kam langsam zur Besinnung, bereit für den sprichwörtlichen zweiten Anlauf, bei dem ich meist die allergrößte Verwüstung anrichtete. Der Heiligenschein des Fusels verblasste und gab die Sicht auf die Teufelshörner der Genialität frei. In diesem Augenblick begann ich zu träumen, nüchtern genug, um es zu schätzen, aber immer noch so besoffen, dass ich keine Notizen machen konnte. Später lernte ich, dass man in solchen Momenten leben musste, und nicht dafür, so etwas zu erleben. Wenn man zu konzentriert hinschaut, verschwinden sie einfach vor deiner Nase. Du musst dein Leben mit voller Intensität genießen, sonst wirst du jeden Atemzug bereuen. So reflektierte ich vor mich hin, dachte dabei aber nicht zu viel und lief gerade warm.

      Wie sich herausstellte, schritt die Startpistole in menschlicher Form genau in diesem Augenblick durch die Tür zur Garage. Um der Story willen werden wir sie mal „Beth“ nennen. Sie war eine verdorbene, schwarzhaarige Frau mit feurigen Augen, verdeckt von überlangen Wimpern, die aus unbekannten Gefilden kam und sich meistens schwarz kleidete. Um sie herum schwebte eine Pheromonwolke, aus der mich das Wort „Lust“ lockte – und wir flirteten schon seit Wochen!

      Mit langsamer Sinnlichkeit schritt sie durch die Tür und blieb auf der obersten Treppenstufe stehen, die zur Garage hinabführte. Ich schaute hoch und hörte, wie sie mit tiefer, gurrender Stimme verführerische Worte hauchte. Weicher als Schokoladenpudding schleimte ich zurück: „Häh?“

      Sie fragte: „Was machste, mein Dummerchen?“ In ihren Augen brannte ein Feuer, genährt aus Provokation und Abenteuerlust. Sie führte irgendetwas im Schilde und das musste ich herausbekommen – so wahr mir Gott helfe.

      Sie kam näher, setzte sich auf meinen Schoss und küsste mich ganz langsam. Sinnlich lockend enthüllte sie mir ihren Plan: Ich war der glückliche Gewinner eines flotten Dreiers mit ihr und einem anderen Mädchen, der wir an dieser Stelle mal den Namen „Kelly“ verpassen wollen. Sie machte zwar am anderen Ende des sexuellen Spektrums rum, wirkte aber genau so bezaubernd. Als hätte sie der Teufel gerufen, kam diese Mieze in die Garage und setzte sich auch auf meinen Schoß. Ich muss euch mal eins verraten: Wenn zwei Frauen rittlings auf dir wie auf einem Schaukelpferd sitzen, bist du dem Willen deiner Leistengegend hilflos ausgeliefert. Lust ist ein Bonbon, an dem ich tagelang lutschen könnte. Aber darauf werden wir später noch zurückkommen.

      Hier noch mal eine knappe Zusammenfassung: Unser Held hat riesige Mengen Alkohol geschlürft, sich übergeben, und macht sich nun bereit für einen Dreier mit zwei attraktiven Ludern. Die Zukunft hätte nicht rosiger aussehen können, nicht wahr? Aber, wie mir immer wieder gezeigt wird, hasst das Schicksal uns alle.

      Wir beschlagnahmten eins der Schlafzimmer, das wahrscheinlich den Eltern des Gastgebers gehörte, denn wer sonst hätte es in so einer spartanischen Bude mit schreiend-greller Deko ausgehalten? Aber die Inneneinrichtung störte uns nicht, denn wir schalteten das Licht schnell aus und rissen uns die lästigen Klamotten vom Leib. Lippen berührten Haut, diese „köstliche Pelle“, die Hannibal Lecter so genussvoll beschrieben hatte, und schon bald ähnelten wir einem verworrenen, unlösbaren chinesischen Rätsel, bildeten ein lustvolles Dreieck aus Hitze und ekstatischer Wollust. Die Mädchen kicherten und stöhnten. Ich hatte meinen Spaß dabei, wenn sie es sich gegenseitig besorgten. Für mich blieb ja noch genug übrig.

      Wir waren in vollem Gange und ahnten nicht, dass man unten einen Plan ausheckte. Schon bald drohte ein „Spontanangriff“: „Eine große Menschenmenge dringt in einen Raum ein, in den sie nicht eingeladen wurde und der auch viel zu klein für sie ist.“ Vierzig Leute flüsterten und feixten, bereit dazu, unsere Festivitäten exakt im richtigen Moment zu stören. Es tröstete mich keineswegs, dass mein bester Freund Denny bei dieser feigen und grausamen Verschwörung den Cobra Commander [Actionfigur] spielte. Aber es war ja abzusehen gewesen, da ich ihn darum gebeten hatte, Wache zu schieben und niemand reinzulassen.

      Nun ja, als drei Körper neue Möglichkeiten erlernten, sich auf einem beschränkten Raum zu entfalten (und es verdammt gut wurde, unglaublich gut), knallte die Tür auf, das Licht ging an und aus vielen Kehlen erklang ein johlender und schadenfroher Refrain, der einen offiziellen Schlussstrich unter unser Stell-ungs-dichein zog. Natürlich wurde ich total sauer. In ihren Gesichtern erkannte ich das hinterhältige Lächeln, und so verdrängte ich die Wut aus meinem Kopf, stieg splitterfasernackt aus dem Rammlerbett und schleuderte das außen flutschig-feuchte, aber innen noch staubtrockene Kondom dem nächststehenden Gaffer ins Gesicht.

      Als ich mir wieder die Sachen anzog und sah, wie sich eine Menschentraube vor dem Bett bildete, kam mir eine außergewöhnlich gute Idee. Vielleicht lag es an dem Alk, der noch durch meinen Kreislauf pulsierte. Vielleicht lag es daran, dass sich meine Augen von dem grellen Licht erholten, das plötzlich angegangen war. Aber vielleicht kam mir diese brillante Idee auch nur in den Sinn, weil ich diesen Ärschen eins auswischen wollte – und zwar in der Sprache, die sie verstehen. Keiner konnte mich von meinem Vorhaben abhalten. Es war ganz simpel: Ich wollte vom Bett aus in die Menge zum Stagediving springen und war mir sicher, dass sie mich auf den Händen durch die Tür und dann die Treppe runter tragen würden, bis ich endlich an der Bar in der Küche anlangen würde, um mir einen Drink zu mixen.

      So ein Einfall grenzt an absolute Genialität. Warum sollte das nicht funktionieren? Schon damals kannte mich jeder als Corey Fucking Taylor. Ja, und dann zog ich mir die Hosen an (so höflich war ich noch), hüpfte aufs Bett und sprang … und knallte mit dem Kopf an einen Deckenventilator, den ich entweder vergessen oder wegen meines versoffenen Tunnelblicks überhaupt nicht gesehen hatte. Ich schwöre euch, ohne den Witz damit verstärken oder mich als Schwächling darstellen zu wollen, dass es der härteste Deckenventilator war, den die Menschheit je gesehen hat. Und, liebe Leute, ich spreche hier vom Industriestandard! Innerhalb von zwei Sekunden bekam ich drei Mal einen verpasst: Ein Mal auf die Stirn, ein weiteres


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