Die sieben Todsünden. Corey Taylor

Die sieben Todsünden - Corey Taylor


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ist nichts dagegen einzuwenden, sich von den Sünden zu befreien, loszulösen. Viel zu viele Menschen stellen sich aber auf einen Sockel, nur weil sie sich natürliche Wünsche versagen. Na gut, wenn ihr scheinheilig und heuchlerisch sein wollt, dann macht das. Wir zumindest erfahren uns durch die Lebendigkeit.

      Möglicherweise werden dir mit Hilfe dieses Buches einige Dinge klar. Sehr wahrscheinlich ist es aber, dass es mir hilft, mit üblem Scheiß aus meinem eigenen Leben fertig zu werden. Ich mag ein Arsch sein, bin aber kein total mieser Typ. Klar, ich habe Sachen angestellt, auf die ich nicht stolz bin, würde sie aber nie als Sünden bezeichnen – eher als Fehler. Aus Sünden darfst du nichts lernen, denn sie werden dir dein ganzes Leben lang unter die Nase gehalten. Es sei denn, du bist katholisch. Die Beichte gleicht dem Kleingedruckten in einem wasserdichten Vertrag, und ich bin mir sicher, dass Menschen anderen Glaubens euch beneiden.

      Fehler? Zum Teufel, wir machen alle Fehler, und man erwartet von uns, dass wir daraus eine Lehre ziehen. Darin besteht ein Teil unserer Reise. Dadurch bewegen wir uns aus der Unschuld zur Krone der Weisheit. Durch Fehler entwickeln wir uns und haben nicht mit 90 die Psyche eines Kleinkindes. Dadurch scheißen wir uns nicht in der Öffentlichkeit zu und andere Menschen an! Sie bewirken das ständige Lernen, sind ein GPS, durch das wir uns in diesem so genannten Leben immer wieder aufs Neue anpassen und „feintunen“.

      Ich möchte euch ein Beispiel dafür geben. Bei einem der verschiedenen „normalen“ Jobs, den ich vor der Zeit durchzog, in der ich „The Artist Known As Corey Fucking Taylor“ war, hatte ich Zugang zu all den Ressourcen und den Reichtümern, die dort lagerten, und nutzte jede Gelegenheit, mit meinen Fingerchen in die Schatullen und Kisten zu grabschen. Ich missbrauchte meine Position, da ich das Sicherheitssystem in allen Einzelheiten kannte. Das Stehlen war so leicht, dass sogar die Manager sich „vergriffen“. Ich machte mit, nicht weil ich grundsätzlich übermütig, sondern weil ich pleite war. Ich verdiente nur einen Hungerlohn. Nun habe ich seit 30 Jahren nichts mehr gestohlen. Mit 13 durchlebte ich meine Ladendiebstahl-Phase, bei der ich harmloses Zeug mitgehen ließ wie Schokoriegel oder Playboy-Magazine. Für mich war die Erfahrung des Diebstahls beim späteren Job neu und aufregend – Kohle mitgehen zu lassen, Merchandise-Artikel zu klauen und darüber hinaus noch Sex am Arbeitsplatz zu haben. Um es anders auszudrücken – ich war ein totaler Mistkerl. Man kann mich als totalen Mistkerl bezeichnen: Ich stahl in einer Nacht mehr Geld, als ich in einer Woche verdiente. Ich zelebrierte Orgien in den Hinterzimmern. Und ich verließ den Laden mit Großhandelsprodukten im Wert Tausender von Dollars. Der wahre Grund für den Diebstahl lag aber in der Gelegenheit zu klauen. Reicht das als Legimitation aus? Auf gar keinen Fall.

      Bis zum heutigen Tag wird mir kotzübel, wenn ich darüber nachdenke. Es war ein Lebensabschnitt, für den ich mich rückblickend schäme. Es hätte mir egal sein sollen, dass die anderen auch stahlen oder dass die Geschäftsführer es verdient hatten, denn sie waren betrügerische Ganoven, die Tausende von Dollars nicht in den Büchern erscheinen ließen, aber uns, den Leibeigenen, einen Hungerlohn zahlten. Ich habe mich schon immer mit Vehemenz gegen Diebstahl ausgesprochen, verhielt mich aber konträr, klaute bis zum Abwinken und scherte mich nicht im Geringsten um die Konsequenzen. Ich nutzte ein System aus, dessen Aufrechterhaltung mir übertragen worden war, und plünderte aus Habsucht und Gier. Nach dieser Zeit habe ich nie mehr gestohlen – auch nicht das Geringste. Darauf bin ich aber nicht stolz. Ich kenne einfach meine Grenzen und habe mir geschworen, sie nie wieder zu überschreiten. Hätte ich heute so ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, wenn ich damals nicht so weit gegangen wäre? Wer weiß, ob ich mich heute so sehr darüber aufregen würde, wenn ich damals nicht diesen ganzen Mist gebaut hätte? Die fehlgeleiteten Taten meiner Vergangenheit führten mich zu den Tugenden der Gegenwart und werden mich hoffentlich in eine wunderbare Zukunft leiten. Aber ich bezeichne sie nicht als Sünden, sondern als Fehler, als Kapriolen einer jugendlichen Leichtsinnigkeit. Ich fand meine moralische Grenze, weil ich sie überschritten habe, und mich dabei schlecht fühlte.

      Das kann mir keiner vorwerfen. Diesen Job müssen nur mein Bewusstsein und meine Seele leisten. Nur ich kann mein Handeln beurteilen und bewerten, denn niemand kennt mich besser, als ich selbst. Wer kann meinen zurückgelegten Weg verstehen, wenn er auf keiner Karte verzeichnet ist? Der Unterschied zwischen der Selbsterkenntnis und dem Selbstvertrauen ist gering, aber die sich daraus ergebenden Konsequenzen reichen ins Unendliche. Viele Gläubige werden dem widersprechen, behaupten, dass Er dich besser kennt! Ja, das ist in Ordnung und so weiter, aber ich habe niemals einen Beweis seiner Existenz gesehen, mal abgesehen vom nihilistischen Gefasel Tausender seiner Anhänger – und so verlasse ich mich lieber auf mich selbst, vielen Dank auch. Wie ich eben schon sagte, keiner kennt mich so gut, wie ich selbst, und ich lerne aus meinen Fehlern.

      Ein Leben ohne diese sieben kleinen Gewürze – wäre das nicht langweilig? Wir reden von der Faulheit, aber würden Frauen und Männer überhaupt aufstehen, wenn es nicht die Lust gäbe, die sie zur „Jagd“ antreibt? Warum sollten Leute in einer Band spielen wollen, wenn sie nicht den Adrenalinkick des Zorns spürten, der sie am musikalischen Tisch speisen lässt? Kann sich ein Mensch zurückziehen, von der Welt lösen, ohne dass seine kleine Seele von der Gier verunreinigt wird? Warum sollte sich die Welt drehen, wenn da nicht ein paar kleine Regeln wären, die man brechen kann? Oder einige Revolutionen, die es anzuzetteln gilt? Oder anders gesagt: Warum sollst du tief Luft holen, wenn du dann den verdammtem Atem anhalten musst?

      Klar, ich stelle mich auf die Seite der Angeklagten, aber um es zu wiederholen – die meisten belanglosen „Sünden“ dienen nur dazu, aus dem System auszubrechen und sich lebendig zu fühlen. Warum hat denn der Mensch einen freien Willen, wenn er nicht erst ein paar kleine Proberunden drehen darf? Ein Vergleich zwischen einem Schwerverbrechen und einem geringfügigen Vergehen ist hilfreich: Süßigkeiten zu klauen kann nicht mit Mord gleichgesetzt werden und Wollust steht nicht für Vergewaltigung. Es ist wichtig, sich diese Unterschiede vor Augen zu führen, bevor wir weiter ausholen. Wenn du das nicht kannst, wirst du nie meinen Humor verstehen und immer denken, dass ich in diesem Hemd fett wirke. Verflucht, hier taucht schon wieder meine Eitelkeit auf.

      Oh, fühlt sich jemand zum Narren gehalten? Vielleicht suche ich ja nur nach einer Ausrede, um das lüsterne Leben eines jungen Mannes zu rechtfertigen? Das wäre doch nur der halbe Spaß, nicht wahr? Erinnerst du dich an deine Kindheit und die Versuche, die unmöglichsten Entschuldigungen zu erfinden, nur um keinen Ärger zu bekommen? Das könnte hier auch der Fall sein. Ich will nicht errettet werden, ich will ganz einfach nicht in der Hölle schmoren. Klar, ich bin ein Zyniker, aber noch lange kein Idiot. In der Annahme, dass keine himmlischen Luxuswohnungen existieren, keine rachsüchtigen Engel auf mich warten, um mich mit ihren Heiligenscheinen zu verkloppen, auf dass die letzten Reste des Exzesses von meinen Knochen fallen, könnte ich weit daneben liegen. Was weiß ich schon? Eins aber ist sicher: Wenn ich dieses oder nächstes Jahr ein Schlupfloch im Gesetz entdecke, werde ich blitzschnell hindurch springen, denn das Leben sollte nicht so verflucht öde sein. Wir gehen, reden und suchen nach Möglichkeiten, uns gegen die Schwierigkeiten des Lebens zu behaupten. Ich glaube nicht, dass wir dieses wunderbare Leben damit verschwenden sollten, Stricken zu lernen – außer du stehst auf Stricken.

      Mit ist klar, dass man kein Sünder sein muss, um zu sündigen, kein Ungläubiger Thomas, um Schuld und Zweifel zu empfinden. Wir sind alle aus dem gleichen Holz geschnitzt und haben unsere Anflüge des Wahnsinns. Aber sind das nicht nur die überbordenden Launen unserer geliebten sterblichen Hüllen? Ich fordere jeden dazu auf, von Gandhi bis Gallagher, mir zu beweisen, dass er nicht auf irgendeiner Ebene den sinnlichen Freuden eines Schokoriegels oder einer Orgie in einem Swinger-Club erlegen ist. Die „Sünde“ hat sich so in unserer Kultur festgefressen, dass wir alle dazu in der Lage sind und zu Schuldigen werden. Unsere Vorstellungwelt bezieht sich, wenn sie sich nicht vergrößert und Platz für bessere, neuere Ideen bietet, auf das, was wir nicht haben können oder haben dürfen. Und wenn du dir die Anzahlung leisten kannst, warum sollst du nicht den Rest genießen? Hast du erst einmal den Härtetest bestanden, warum solltest du nicht alles erreichen?

      Die Besitzhabenden und die Besitzlosen haben seit Äonen in einer blutigen Schlacht gekämpft. Das Klassensystem hat einen Teil unseres Lebens ausgemacht, vom Zeitpunkt an, an dem wir lernten unseren Lendenschurz zu waschen. Wirkt sich das nicht auch auf die Definition der Sünde aus? Wenn es dir finanziell ein wenig besser


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