Pink Floyd. Mark Blake

Pink Floyd - Mark  Blake


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Es war der Stoff, aus dem Legenden gemacht sind“, soll er wenige Wochen später enthusiastisch zu Protokoll geben. „Ich war so begeistert. Ja, ich gebe sogar zu, dass ich geweint habe. Dann wurde mir langsam bewusst, dass mich alle beobachteten, wie ich Pink Floyd zusah.“

      Für die Anhängerschaft der Band, die Plattenfirmen, die blauäugigen Kollegen und auch alle anderen lieferte Live 8 die Hoffnung auf eine langfristige Aussöhnung der Gruppe. Doch David Gilmour ließ sich nicht lange Zeit, um allen Spekulationen einen Riegel vorzuschieben. „Das ist alles Schnee von gestern. Es liegt hinter mir. Ich habe kein Bedürfnis, noch einmal damit anzufangen“, sagt er. „Es ist großartig, dass wir einen Teil unserer Verbitterung hinter uns lassen können, aber das ist dann auch schon alles.“

      Bis zu den Proben für Live 8 waren David Gilmour und Roger Waters zum letzten Mal am 23. Dezember 1987 aufeinander getroffen und zwar, wie es der Gitarrist formulierte, um „ihre Scheidung auszuverhandeln“. Bei einem Meeting auf dem Hausboot und Studio von Gilmour erstellte das Duo mithilfe eines Buchhalters und eines Computers ein Dokument, durch welches die Nutzung des Namens Pink Floyd geregelt wurde.

      Zuvor hatte Waters Klagen sowohl gegen Gilmour als auch Mason angestrengt, da er der Ansicht war, dass der Bandname nach seinem offiziellen Ausstieg im Jahr 1985 zu Grabe getragen werden sollte. Über 20 Jahre lang war Waters der primäre Songwriter der Band gewesen, hatte die ursprünglichen Konzepte für Dark Side of the Moon und The Wall erstellt und den Großteil der Songtexte beigesteuert. Er sah sich als treibende Kraft hinter der Band. Gilmour und Mason weigerten sich, seinen Forderungen Folge zu leisten. Nein, sie wollten als Pink Floyd weitermachen. Drei Monate vor diesem finalen Zusammentreffen hatte das Duo ein neues Floyd-Album mit dem Titel A Momentary Lapse of Reason veröffentlicht und Richard Wright für eine daran anschließende Tour gewinnen können. Nach zwei Monaten hatte das Album, das Waters als „gelungenes Imitat“ verunglimpfte, Platin eingefahren. Damit bestätigte sich, dass die Marke Pink Floyd nichts von ihrem Glanz eingebüßt hatte und sogar der Verlust eines Schlüsselmitglieds verkraften konnte.

      Andererseits war es auch nicht das erste Mal gewesen, dass der Band eines ihrer Mitglieder abhandenkam. Im Rahmen von Live 8 verwies Roger Waters auf das abwesende Bandmitglied, indem er „Wish You Were Here“ nicht nur allen Abwesenden, sondern „vor allem Syd Barrett“ widmete. Syd Barrett, dereinst Sänger, Gitarrist und richtungsweisende Kraft bei Pink Floyd, hatte sich drei Jahrzehnte zuvor nicht nur aus der Band, sondern überhaupt aus dem Musikgeschäft zurückgezogen. Während seine ehemaligen Bandkollegen vor über 100.000 Fans im Hyde Park und einem Fernsehpublikum, das über zwei Milliarden Menschen umfasste, auftraten, zog es Syd Barrett vor, zuhause zu bleiben. In seinem Fall war dies ein Doppelhaus an der Peripherie von Cambridge. Auf seinen eigenen Wunsch hin verzichtete Barrett auf jeglichen direkten Kontakt mit Pink Floyd und wünschte, nicht an seine Zeit in der Band erinnert zu werden. Für ihn war all dies längst vorbei.

      2: DER ENDLOSE SOMMER

      „Freiheit ist, wonach ich strebe.“

      Syd Barrett

      Erst vier Tage nach seinem Ableben erfuhr die Öffentlichkeit davon. Syd Barrett war am 7. Juli 2006 verstorben. Als Todesursache wurde Bauchspeicheldrüsenkrebs angegeben. Sein gesundheitlicher Zustand hatte sich jedoch über viele Jahre hinweg stetig verschlechtert. Syds Familie informierte David Gilmour, der daraufhin die übrige Band sowie den Freundeskreis um Pink Floyd benachrichtigte. Aus Rücksichtnahme auf den Wunsch von Syds Familie hatte seit Jahren niemand mehr von Pink Floyd Syd gesehen oder mit ihm gesprochen. Als die Neuigkeit schließlich am Dienstag, dem 11. Juli, weltweit bekannt wurde, zierten Fotos von Barrett die Titelblätter vieler Tageszeitungen rund um den Erdball. Es war eine ungewöhnliche und so noch nicht dagewesene Reaktion auf den Tod eines Mannes, der seit über 30 Jahren kein Album veröffentlicht und fast ebenso lange über seine Zeit als Popstar geschwiegen hatte.

      Die Wege von Pink Floyd und ihrem Freund und ersten Sänger seit Kindertagen hatten sich im Frühling 1969 getrennt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits David Gilmour der Band angeschlossen, um musikalische Stabilität zu garantieren, da Barretts Drogenkonsum und sein zunehmend labiler Geisteszustand ihn zu einer Belastung machten. Im Januar 1969 beschlossen die übrigen Bandmitglieder auf dem Weg zu einem Auftritt, Syd nicht abzuholen. Diese Entscheidung sollte sich massiv auf den Rest ihres Lebens auswirken.

      In der Woche vor Pink Floyds Auftritt bei Live 8 entsandte der Londoner Evening Standard einen Journalisten zu Barretts Haus in Cambridge, um eventuell ein Interview mit dem zurückgezogen lebenden ehemaligen Sänger der Band zu ergattern. Dieser weigerte sich jedoch, die Türe zu öffnen. Barretts Schwester Rosemary gab preis, dass sie ihrem Bruder von der unmittelbar bevorstehenden Reunion von Pink Floyd erzählt habe. Er habe dies reaktionslos zur Kenntnis genommen. „Das ist ein anderes Leben für ihn“, erklärte sie. „Eine andere Welt und eine andere Zeit.“ Auch seinen Spitznamen, Syd, den er in ebendiesem vergangenen Leben getragen hatte, hatte er bereits seit geraumer Zeit abgelegt. Seit vielen Jahren hatte er nun wieder unter seinem bürgerlichen Namen Roger Barrett gelebt.

      Das anonyme Doppelhaus am St. Margaret’s Square in Cambridge, wo Barrett seine letzten Lebensjahre verbrachte, verriet nur wenig über die wahre Identität seines einzigen Bewohners. So verzichtete Barrett auf die Statussymbole, mit denen Rockstars seit jeher ihren Wohnbereich ausschmückten: weder goldene Schallplatten, auf die man durch einen Spalt zwischen den Vorhang einen Blick hätte erhaschen können, noch teure Sportwägen, die sich in der Einfahrt drängten. Jedoch war das Domizil auch nicht verwahrlost, wie man es vielleicht hätte annehmen können, wenn man den Halbwahrheiten, die über die geistige Gesundheit seines Besitzers kursierten, Glauben geschenkt hätte. Seit dem Tod seiner Mutter 1991 hatte Barrett dort alleine gelebt. Er war nie verheiratet gewesen, hatte keine Kinder und war seit dem Ausscheiden seines Alter Egos bei Pink Floyd in den Sechzigerjahren auch für längere Zeit keiner Beschäftigung mehr nachgegangen.

      Gelegentlich drang die Außenwelt in sein privates Universum ein. So tauchten Fotos der marineblauen Eingangstür sowie Bilder des Hausbewohners in Zeitungen auf. Syd, der unvorbereitet vor seinem Haus von Fotografen überrascht wurde, sah jedes Mal verblüfft aus, manchmal auch wütend oder verängstigt. Er war stets nur halb bekleidet und trug das Bäuchlein eines Mannes mittleren Alters vor sich her. Sein heruntergekommenes Äußeres trug das Seinige dazu bei, die Gerüchteküche um Syd Barrett am Laufen zu halten. Syd musste diese Verletzungen seiner Privatsphäre stets dann erdulden, wenn seine Vergangenheit in den Fokus rückte. Als sich nun Pink Floyd reformierten, um bei Live 8 aufzutreten, war klar, dass dadurch auch das Interesse der Presse an ihm wieder auf­flackern würde. Zuletzt war er während der Medienhysterie rund um die Acid-House-Raves in den späten Achtzigerjahren von News of the World belästigt worden, wo man ihn als warnendes Beispiel für die Gefahren von LSD präsentierte. Selbstverständlich wussten sie, dass er sie niemals verklagen würde. Allerdings: Wer wusste schon, wozu er imstande wäre? Seine Nachbarn berichteten von schrecklichen Schreien mitten in der Nacht, wohingegen andere ihn wie einen Hund bellen gehört hatten.

      Seit den frühen Neunzigern verbrachte Roger Barrett seine Tage mit seiner Malerei, Büchern sowie Radausflügen, auf denen er in den örtlichen Läden haltmachte. Er führte ein ruhiges Leben und war auch nicht völlig zurückgezogen. Nach jeder Verletzung seiner Privatsphäre löste sich das Interesse an ihm schnell wieder in Luft auf. Nur gelegentlich klopfte vielleicht einmal ein ungebetener Bewunderer an seine Tür.

      Egal in welchem Kontext sie stehen mochten: Die Fotos des alten Syd Barrett von früher, die jene Zeitungsartikel oft begleiteten, hatten trotz allem etwas Faszinierendes an sich. Dieselben fast 40 Jahre alten Bilder sollten nach seinem Tod noch einmal abgedruckt werden. Sie zeigten Syd in seinen modischsten Klamotten mit welligem Haar, wie er mit stechendem Blick die Kamera fixierte. Er hatte den verlorenen Rockstar verkörpert, lange bevor zahllose Imitate seine Pose annahmen und zum Klischee machten. „Er war jemand, auf den die Leute auf der Straße mit dem Finger zeigten“, erinnert sich David Gilmour, der mit Syd seit Kindertagen befreundet war. „Syd hatte dieses besondere Charisma, diese Art Magnetismus.“

      Die gemeinsame Geschichte der drei zentralen Protagonisten bei Pink Floyd – Barrett, Gilmour und Waters – ist unwiderruflich mit ihrer Heimatstadt,


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