Unbestreitbare Wahrheit. Mike Tyson

Unbestreitbare Wahrheit - Mike  Tyson


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Fuller engagiert, den besten Anwalt, den man zu einem Honorar von einer Million Dollar bekommen könne. Vince war zufällig Dons Steueranwalt. Und Don schuldete ihm wahrscheinlich Geld. Aber ich wusste von Anfang an, dass ich keine Gerechtigkeit erfahren würde. Mein Fall wurde nicht in New York oder Los Angeles verhandelt, sondern in Indianapolis, Indiana, historisch gesehen eine der Hochburgen des Ku-Klux-Klan. Meine Richterin, Patricia Gifford, war eine ehemalige Anklägerin im Bereich Sexualverbrechen und bekannt als „The Hanging Judge“, die Scharfrichterin. Ich war von einer Jury aus „Peers“, nämlich ihresgleichen, für schuldig befunden worden, unter denen sich nur zwei Schwarze befanden. Ein anderes schwarzes Jurymitglied war nach einem Feuerausbruch in dem Hotel, in dem die Jury untergebracht war, von der Richterin freigestellt worden – wegen seiner „mentalen Verfassung“, die darin bestand, dass ihm das Essen, das ihm serviert wurde, nicht schmeckte.

      In meiner Welt gab es keine Peers. Ich war der jüngste Schwergewichts-Weltmeister in der Geschichte des Boxens. Ich war ein Titan, die Reinkarnation Alexanders des Großen. Ich war impulsiv, meine Abwehr war unüberwindbar, und ich war unbezähmbar. Es ist erstaunlich, wie ein geringes Selbstbewusstsein und ein riesiges Ego dich zu dem Trugschluss verleiten können, der Größte zu sein. Aber jetzt musste dieser Gott unter den Sterblichen seinen schwarzen Arsch erneut ins Gericht bewegen, um die Verkündung des Strafmaßes anzuhören.

      Ich hoffte immer noch auf das Eingreifen der Götter. Calvin, ein guter Freund aus Chicago, erzählte mir von einer Frau, die Voodoo beherrsche und einen Zauber aussprechen könne, um mir damit das Gefängnis zu ersparen.

      „Du pisst in einen Krug, legst fünf Hundertdollarscheine hinein, stellst den Krug drei Tage lang unters Bett und bringst ihn ihr dann, und sie wird darüber für dich beten“, erklärte mir Calvin.

      „Und die Hellseherin nimmt dann die vollgepissten Hunderter aus dem Krug, spült sie ab und geht damit shoppen. Würde es dir etwas ausmachen, wenn dir jemand einen Hundertdollarschein schenken würde, auf den er gepisst hat?“, fragte ich Calvin. Ich war dafür bekannt, mit Geld um mich zu werfen, aber das ging sogar mir zu weit.

      Dann versuchten ein paar Freunde, mich mit einem Voodoo-Priester bekanntzumachen, brachten aber einen Typen mit, der einen Anzug trug. Er sah nicht einmal wie ein Voodoo-Typ aus einem Drugstore aus. Dieser Arsch hätte abgerissen aussehen müssen oder ein Dashiki, ein westafrikanisches Gewand für Männer, tragen sollen. Ich wusste, an der Sache war nichts dran. Der Kerl hatte nicht einmal eine Zeremonie geplant. Er schrieb lediglich irgendeinen Unsinn auf einen Zettel und versuchte, mir irgendeinen Mist zu verkaufen, worauf ich aber nicht reinfiel. Ich sollte in einem seltsamen Öl baden, beten und ein Spezialwasser trinken. Aber ich zog den verdammten Hennessy vor und wollte ihn nicht mit Wasser verdünnen.

      Ich war auch bereit, einen Santería-Priester irgendeinen Zaubertrick machen zu lassen. Eines Abends gingen wir mit einer Taube und einem Ei zum Gerichtsgebäude. Als der Vogel freigelassen wurde, ließ ich das Ei fallen und brüllte: „Wir sind frei!“ Ein paar Tage später zog ich meinen grauen Nadelstreifenanzug an und begab mich zum Gericht.

      Nach der Urteilsverkündung verfassten meine Verteidiger ein Vorverurteilungs-Memorandum. Es war ein beeindruckendes Dokument. Dr. Jerome Miller, der Leiter des Augustus Institute in Virginia und einer der führenden Experten des Landes für erwachsene Sexualtäter, hatte mich untersucht und war zu dem Schluss gekommen, dass ich „ein sensibler und bedächtiger junger Mann sei, dessen Probleme nicht pathologischer Art seien, sondern eher das Ergebnis von Entwicklungsdefiziten.“ Er war davon überzeugt, dass meine Langzeitprognose bei regelmäßiger Psychotherapie recht gut sein würde. Und er kam zu dem Schluss: „Eine Freiheitsstrafe wird den Prozess nur weiter hinausschieben, ihn vermutlich behindern. Ich würde dringend empfehlen, dass weitere Optionen, die eine abschreckende Wirkung haben, aber zugleich auch eine Therapie ins Auge fassen, in Erwägung gezogen werden.“ Natürlich nahmen die Bewährungshelfer diesen letzten Absatz nicht mit in ihre Unterlagen auf. Dafür waren sie eifrig darauf bedacht, die Meinung des Staatsanwalts zu notieren: „Eine Beurteilung dieses Vergehens und des Straftäters lässt den Chefermittler dieses Falls, einen erfahrenen Kriminalbeamten für Sexualverbrechen, folgern, dass der Angeklagte wohl auch in Zukunft ein ähnliches Verbrechen begehen könnte.“

      Meine Anwälte bereiteten einen Anhang vor, der 48 Zeugenaussagen über meinen Charakter enthielt, und zwar von so unterschiedlichen Leuten wie dem Rektor meiner Highschool, meinem Sozialarbeiter in Upstate New York, Sugar Ray Robinsons Witwe, meiner Adoptivmutter Camille, meinem Box-Hypnotherapeuten und sechs meiner Freundinnen (und ihrer Mütter), die alle rührende Berichte schrieben, in denen sie schilderten, dass ich mich ihnen gegenüber als perfekter Gentleman verhalten hätte. Eine meiner ersten Freundinnen aus Catskill schrieb dem Richter sogar: „Ich wartete drei Jahre, bevor ich Sex mit Mr. Tyson hatte. Kein einziges Mal hat er mich zu etwas gezwungen. Deshalb liebe ich ihn, denn er liebt und respektiert die Frauen.“

      Aber natürlich wäre Don nicht Don gewesen, wenn er nicht wieder einmal alles übertrieben hätte. King veranlasste Reverend William F. Crockett, den Imperial First Ceremonial Master of the Ancient Egyptian Arabic Order Nobles Mystic Shrine of North and South America, einen Brief für mich zu verfassen. Der Reverend schrieb: „Ich flehe Sie an, ihm das Gefängnis zu ersparen. Auch wenn ich seit dem Prozess nicht mehr mit Mike gesprochen habe, weiß ich aus sicherer Quelle, dass er keine Obszönitäten mehr von sich gibt, täglich die Bibel liest, betet und trainiert.“ Natürlich war das alles Schwachsinn. Er kannte mich nicht einmal.

      Don schrieb dem Richter einen persönlichen herzzerreißenden Brief. Man hätte denken können, dass ich eine Krebsbehandlung hinter mir, einen Friedensplan für den Mittleren Osten entworfen und sechs Kätzchen gesund gepflegt hatte. Er erwähnte meine Arbeit bei der Make-A-Wish-Foundation, wo ich kranke Kinder besucht hatte. Er informierte Richterin Gifford, dass wir jedes Mal an Thanksgiving 40.000 Truthähne an Arme verschenkten. Er schilderte zudem unsere Treffen mit Simon Wiesenthal, die solch tiefen Eindruck bei mir hinterlassen hätten, dass ich eine große Summe Geld gespendet habe, um seiner Organisation zu helfen, Nazi-Kriegsverbrecher zu jagen. Vermutlich hatte Don vergessen, dass der Klan die Juden genauso hasste wie die Schwarzen.

      Don erging sich auf acht Seiten mit beredten Lobhudeleien über mich. „Es ist für einen Menschen seines Alters höchst ungewöhnlich, sich Gedanken um seine Mitmenschen zu machen, so viel Engagement und Hingabe zu zeigen. Das sind gottähnliche Eigenschaften, edle Qualitäten der Liebe, des Gebens und der Selbstlosigkeit. Er ist ein Kind Gottes, einer der liebenswürdigsten, sensibelsten, fürsorglichsten, liebevollsten und verständnisvollsten Menschen, die ich in meiner 20-jährigen Erfahrung mit Boxern je kennengelernt habe.“ Mist, Don hätte anstelle meines Anwalts das Schlussplädoyer halten sollen. Aber John Solberg, Dons PR-Mann, brachte die Sache auf den Punkt, als er Richterin Gifford schrieb: „Mike Tyson ist kein Mistkerl.“

      Vielleicht war ich kein Mistkerl, aber auf alle Fälle ein arrogantes Arschloch. Während des Prozesses führte ich mich im Gerichtssaal so arrogant auf, dass man mir nie und nimmer eine Chance geben würde. Selbst im Augenblick meiner tiefsten Niederlage war ich kein demütiger Mensch. All das, was man über mich in dem Bericht geschrieben hatte, dass ich Geld und Truthähne verschenke, mich um Menschen kümmere, mich um die Schwachen und Kranken sorge, tat ich, weil ich ein demütiger Mensch sein wollte, aber nicht, weil ich es war. Ich wünschte mir so verzweifelt, demütig zu sein, aber ich besaß keinen Funken Demut.

      Ausgerüstet mit all den Aussagen über meinen Charakter, erschienen wir am 26. März 1992 im Gerichtssaal vor Richterin Patricia Gifford zur Verkündung des Strafmaßes. Zeugen waren erlaubt, und Vince Fuller eröffnete den Prozess, indem er Lloyd Bridges, den geschäftsführenden Direktor des Riverside Residential Center in Indianapolis in den Zeugenstand rief. Meine Anwälte argumentierten, dass ich nicht ins Gefängnis wandern, sondern meine Strafe ausgesetzt werden sollte, und ich während meiner Bewährung in einem Rehabilitationszentrum untergebracht werden solle, wo ich meine Therapie mit gemeinnütziger Arbeit verbinden könne. Bridges, ein Geistlicher, leitete gerade ein solches Programm und bezeugte, dass ich sicherlich ein erstklassiger Kandidat für seine Einrichtung sei.

      Aber die stellvertretende Staatsanwältin brachte Bridges dazu, einzugestehen, dass vor Kurzem vier Fluchtversuche aus seiner Einrichtung stattgefunden hatten.


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