Unbestreitbare Wahrheit. Mike Tyson

Unbestreitbare Wahrheit - Mike  Tyson


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nicht hinter Gitter bringt, spielt man die Schwere des Verbrechens herunter, wertet die Vollstreckung von Gesetzen ab, gefährdet andere Unschuldige und ermöglicht es einem Schuldigen, seinen Lebensstil fortzusetzen.“

      Die Richterin pflichtete ihm bei. Keine Kaution. Was bedeutete, dass ich auf direktem Weg ins Gefängnis wandern würde. Sie wollte gerade den Hammer nehmen, um die Sitzung zu beenden, als plötzlich Unruhe im Saal entstand. Dershowitz war aufgesprungen, hatte sich seinen Aktenkoffer geschnappt und war aus dem Gerichtssaal geeilt, wobei er murmelte: „Ich werde dafür sorgen, dass Gerechtigkeit geschieht.“ Einen Moment lang herrschte Verwirrung, aber dann ließ die Richterin den Hammer auf den Tisch fallen. Die Verhandlung war vorbei. Der County Sheriff kam auf mich zu, um mich in Gewahrsam zu nehmen. Ich erhob mich, nahm meine Armbanduhr ab, löste meinen Gürtel und reichte alles, zusammen mit meiner Aktentasche, Fuller. Zwei Freundinnen von mir, die in der ersten Zuschauerreihe saßen, weinten hemmungslos. „Mike, wir lieben dich“, schluchzten sie. Camille stand auf und kam auf mich zu. Wir umarmten uns zum Abschied. Dann führte der Sheriff Jim Voyles und mich durch die Hintertür aus dem Gerichtssaal.

      Man brachte mich nach unten, durchsuchte mich und nahm meine Fingerabdrücke. Vor dem Gerichtssaal wartete ein Mob von Reportern und umringte das Auto, das mich zum Gefängnis bringen sollte.

      „Wenn wir aufbrechen, achte darauf, dass dein Mantel deine Handschellen bedeckt“, riet mir Voyles. Meinte er das wirklich ernst? Langsam wich die Benommenheit, und Wut wallte in mir auf. Sollte ich mich schämen, mit Handschellen gesehen zu werden? Die sind mein Ehrenabzeichen. Wenn ich die Handschellen verberge, bin ich ein Schwächling. Jim glaubte, wenn ich meine Handschellen verbarg, würde ich keine Scham empfinden, aber genau das hätte mich mit Scham erfüllt. Man musste mich damit sehen. Scheiß drauf, es sollte ruhig jeder sehen, dass ich welche umhatte. Ich würde jetzt auf eine Schule für Krieger gehen.

      Wir verließen das Gerichtsgebäude und bahnten uns den Weg zum Polizeiauto. Stolz hielt ich meine Handschellen hoch. Und ich grinste, als wollte ich sagen: „Glaubt ihr diesen Scheiß wirklich?“ Dieses Bild von mir war dann überall auf der Welt auf den Titelseiten zu sehen. Ich stieg in das Polizeiauto, und Jim quetschte sich neben mich auf den Rücksitz.

      „Nun, mein Junge, jetzt sind nur noch wir beide übrig“, scherzte ich.

      Man fuhr mich in das „Diagnostic Center“, wo festgelegt wurde, in welche Art von Gefängnis ich gesteckt würde. Ich musste mich nackt ausziehen, vorbeugen und einer Leibesvisitation unterziehen. Dann gab man mir einen pyjamaähnlichen Anzug und ein paar Slipper und chauffierte mich zum Indiana Youth Center in Plainfield, einem Gefängnis für Straftäter der Stufe zwei und drei. Als ich am Ziel angelangt war, kochte ich vor Wut. Ich würde diesen Mistkerlen zeigen, wie man sich im Gefängnis verhielt. Auf meine Art. Es ist seltsam, aber ich erkannte erst spät, dass diese kleine weiße Richterin, die mich ins Gefängnis steckte, mir vielleicht das Leben gerettet hat.

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      Wir lagen mit den Puma Boys im Clinch. Ich lebte in Brownsville, Brooklyn, und diese Jungs stammten aus meiner Nachbarschaft. Damals hatte ich mich jedoch einer Gang der Rutland Road angeschlossen, den Cats aus dem nahe gelegenen Crown Heights, einer Bande von Typen aus der Karibik. Wir waren eine Bande von Einbrechern. Einige unserer Gangsterfreunde hatten einen heftigen Streit mit den Puma Boys, also begaben wir uns zum Park, um sie zu unterstützen. Gewöhnlich hatten wir mit Waffen nichts im Sinn, aber es ging um unsere Freunde, also stahlen wir ein paar, einen .357 Magnum Revolver und ein langes Gewehr mit Bajonett aus dem Ersten Weltkrieg. Wenn man einen Bruch machte, wusste man nie, was man vorfand.

      Wir marschierten also ungeniert mit unseren Gewehren durch die Straßen, doch niemand hielt uns auf, kein einziger Bulle war unterwegs. Wir hatten nicht einmal einen Beutel, um das große Gewehr zu verstauen, also wechselten wir uns alle paar Blocks einfach mit dem Tragen ab.

      „Da drüben rennt er ja“, rief mein Freund Haitian Ron. „Der Kerl mit den roten Pumas und dem roten Halseinsatz.“ Ron hatte den Typen, hinter dem wir her waren, erspäht. Als wir losrannten, teilte sich die riesige Menschenmenge im Park wie das Rote Meer vor Moses. Das war sehr vernünftig, weil einer meiner Freunde das Feuer eröffnete. Als die Schüsse fielen, kam es zu einem Gedränge.

      Als wir weitergingen, sah ich, dass einer der Puma Boys zwischen den auf der Straße geparkten Autos in Deckung gegangen war. Ich hatte das M1-Gewehr, schnellte herum und sah, wie der lange Kerl die Pistole direkt auf mich gerichtet hielt.

      „Was zum Teufel machst du da?“, raunzte er mich an. Es war mein älterer Bruder Rodney. „Verpiss dich!“

      Ich lief dann einfach aus dem Park und nach Hause. Ich war damals zehn Jahre alt.

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      Ich sage oft, ich sei das schwarze Schaf der Familie gewesen, aber wenn ich darüber nachdenke, war ich den größten Teil meiner Kindheit über sehr sanftmütig. Ich kam am 30. Juni 1966 im Cumberland Hospital im Fort Greene-Bezirk von Brooklyn, New York, zur Welt. Meine frühesten Erinnerungen drehen sich um Aufenthalte in der Klinik – ich hatte ständig Lungenprobleme. Einmal tauchte ich den Daumen in irgendeinen Rohrreiniger und steckte ihn dann in den Mund. Man brachte mich im Eiltempo in die Klinik. Weiter erinnere ich mich noch, wie mir meine Patentante ein Spielzeuggewehr schenkte, das ich aber sofort demolierte.

      Über meine Familie weiß ich nicht sehr viel. Meine Mutter Lorna Mae war New Yorkerin, wurde aber in Virginia geboren. Mein Bruder ist mal dorthin gefahren, um sich die Gegend anzugucken, in der meine Mutter aufgewachsen ist, aber da gab es nichts außer Wohnwagensiedlungen. Ich bin also ein echter Trailer-Park-Nigga. Meine Großmutter Bertha und meine Großtante arbeiteten in den Dreißigern für eine Weiße, zu einer Zeit, in der die meisten Weißen keine Schwarzen mehr für sich arbeiten ließen. Bertha und ihre Schwester waren so dankbar, dass sie beide ihre Töchter Lorna tauften – nach der weißen Lady. Mit dem Geld, das Bertha bei ihr verdiente, schickte sie ihre Kinder aufs College.

      Das K.o.-Gen habe ich vermutlich von meiner Großmutter geerbt. Die Cousine meiner Mutter erzählte mir mal, dass der Mann in der Familie, für die sie arbeitete, seine Frau schlug, was Berta gar nicht gefallen habe. Und sie war eine kräftige Frau.

      „Lassen Sie sie in Ruhe“, warnte sie ihn.

      Er fasste es als Scherz auf, doch sie versetzte ihm einen Kinnhaken und beförderte ihn zu Boden. Als er Bertha am nächsten Tag sah, fragte er: „Wie geht es Ihnen, Miss Price?“ Und ab da vergriff er sich nie wieder an seiner Frau und wurde ein anderer Mensch.

      Meine Mom war allgemein beliebt. Als ich geboren wurde, arbeitete sie als Gefängnisaufseherin im Women’s House of Detention in Manhattan, bereitete sich aber nebenher auf den Lehrerberuf vor. Sie war drei Jahre lang aufs College gegangen, bevor sie meinen Vater kennenlernte. Als er krank wurde, musste sie aber abgehen, um ihn pflegen zu können. Trotz ihrer guten Ausbildung besaß sie jedoch keinen guten Geschmack, was Männer betraf.

      Über die Familie meines Vaters weiß ich sehr wenig. Im Grunde kannte ich ihn eigentlich gar nicht, das heißt den Mann, den man als meinen Vater ausgab. Auf meiner Geburtsurkunde stand, mein Vater sei Percel Tyson. Nur haben mein Bruder, meine Schwester und ich diesen Kerl nie gesehen. Uns allen wurde erklärt, unser biologischer Vater sei Jimmy „Curlee“ Kirkpatrick Jr. Doch er trat kaum in Erscheinung. Später hörte ich Gerüchte, Curlee sei ein Zuhälter und erpresse Frauen. Doch dann bezeichnete er sich plötzlich als Diakon der Kirche. Deswegen sage ich jedes Mal, wenn ich höre, dass sich jemand als Reverend bezeichnet, „Reverend Zuhälter“. Wenn man genau darüber nachdenkt, stellt man fest, dass diese religiösen Typen das Charisma eines Zuhälters haben. Sie könnten jeden in die Kirche locken und dazu bringen zu tun, was immer sie von ihm verlangen. Für mich sind sie also immer „Bischof Zuhälter“ oder „Reverend Ike, Zuhälter“.

      Curlee besuchte uns immer dort, wo wir gerade wohnten. Er und meine Mutter sprachen nie miteinander, er drückte lediglich auf die Hupe, und wir gingen hinunter zu seinem Auto, stiegen in seinen Cadillac


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