Rave On. Matthew Collin

Rave On - Matthew Collin


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robotergesteuerte Arbeitsvorgänge und roboterhafte Musik – alle möglichen Fantasien sind hier am Werk“, sagte er.6

      Doch die Vorstellung, dass Kraftwerk die unumstrittenen Paten des Techno sind, entspricht wohl kaum der ganzen Wahrheit. Der musikalische Afrofuturismus von Musikern wie Herbie Hancock, George Clinton, Stevie Wonder und all den anderen, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren den Weg für den Einsatz elektronischer Texturen, synthetisch generierter Bassläufe und rhythmischer Technologien bereiteten, spielte eine nicht minder prägnante Rolle dabei, der elektronischen Tanzmusik eine breite Palette an Möglichkeiten bereitzustellen.

      Weitere Schlüsselfaktoren stellten House und Disco dar – synthetische Italo-Disco und europäische Electro-Pop-Grooves ebenso wie amerikanische Klassiker des Genres. Aufgrund der elegischen Akkordabfolgen und wehmütigen Melodien, die Detroit Techno mitunter aufwies, wurde er zuweilen als rein schwelgerische Mucke interpretiert, obwohl viele dieser ursprünglichen Tracks hart pumpenden Maschinen-Funk boten, der für den Dancefloor prädestiniert zu sein schien. Deshalb wurden Nummern wie Mays „Nude Photo“ oder Saundersons „The Sound“ auch zu Hymnen in britischen Clubs wie dem Haçienda. Auch Detroit besaß in den Achtzigerjahren eine pulsierende Disco- und House-Szene mit DJs wie dem leider verstorbenen Ken Collier, der im Gay-Club Heaven auflegte. Er war ein zentraler Szeneheld, der dabei behilflich war, ein paar der frühen Platten von Was (Not Was) zu remixen, und als Detroiter Antwort auf Ikonen wie Frankie Knuckles oder Larry Levan galt. „Wenn man als Detroiter auf Dance-Music abfuhr, konnte man die nur in den Gay-Clubs hören. Also bin ich dorthin gegangen“, erinnert sich May. Als ich Ken Collier zum ersten Mal in den späten Achtzigern in Detroit auftreten sah, vermengte er New Yorker Garage-Stücke von Adeva und Paul Simpson mit Sounds seiner jungen Kollegen aus der aufstrebenden Techno-Szene. Sie waren damals alle noch Teil ein und derselben Geschichte.

      Der Detroiter DJ Carlos Souffront erinnert sich daran, wie sich seine Welt veränderte, als er sich als ängstlicher schwuler Teenager zum ersten Mal in Colliers Club traute. „Als ich das Heaven fand, war das fast zu viel für mich“, erzählt Souffront. „Es war beängstigend, da ich noch nicht so weit war, mich zu outen. Allerdings war ich begeistert von der Musik und der Energie des Publikums und seiner totalen Hingabe. Das fand ich inspirierend. Auf mich wirkte es wie ein Kollektiv aller möglichen Außenseiter. Alle nur denkbaren an den Rand gedrängten Leute versammelten sich dort. Ich habe mich schon immer als Außenseiter gefühlt – doch hier wollte ich sofort mit dabei sein.“

      Die Clubkultur hatte einen emanzipatorischen Effekt auf die jungen Techno-Produzenten. Saunderson war begeistert, Larry Levan in der Paradise Garage in New York zu erleben, wohingegen May von Ron Hardy in der Music Box und Frankie Knuckles im Chicagoer Power Plant eingeführt wurden. „Diese Vision, einen Moment so euphorisch zu gestalten, veränderte mich“, staunte May ob Knuckles’ Kontrolle über seine Jüngerschaft.7

      Der erfahrene Chicagoer DJ Knuckles adoptierte den hyperaktiven jungen Detroiter May als sein musikalisches Mündel. Indem May Knuckles einen gebrauchten Roland-Trommelsynthesizer verkaufte, zementierte er die kreative Verbindung zwischen den beiden Metropolen. Auf ebendiese griff Knuckles zurück, um die gefühlvolle Hymne „Your Love“ mit Jamie Principle aufzunehmen und die Grooves im Power Plant, seiner neuen Heimat nach dem Abschied aus dem Warehouse, aufzufetten. „Im Verlauf der Woche programmierte ich unterschiedliche Muster, um sie dann über den Abend hinweg zum Einsatz zu bringen, abhängig vom Song auch live daruntergelegt oder als Überleitung“, erinnerte sich Knuckles später.8 Manchmal hört man auch, dass Knuckles seinen gebrauchten Roland an ein paar der frühen Chicagoer House-Produzenten verlieh, damit diese ihre ungestümen DIY-Tracks aufnehmen konnten.

      Die Entscheidung des Detroiter Trios, ihre Musik „Techno“ zu taufen und dadurch den Sound der Belleville Three von all den anderen Formen elektronischer Tanzmusik, die damals die Szene belebten, deutlich abzuheben, war zum Teil von Alvin Tofflers 1980 erschienenem Buch Die Dritte Welle beeinflusst. Darin postulierte der Zukunftsforscher seine Vision einer technologischen Revolution, die von einer neuen Generation von „Techno-Rebellen“ angeführt wird, welche den Fortschritt der Menschheit in Richtung „einer neuen Stufe der Zivilisation“ vorantreiben würden. Unbeabsichtigt prophezeite er darin, dass die Musiker der Electronic-Dance-Ära billiges Equipment besonders kreativ zum Einsatz bringen würden. „Die Techno-Rebellen stellen in Abrede, dass Technologie groß, kostspielig oder komplex sein muss, um ‚ausgeklügelt‘ zu sein“, schrieb er.9

      Ihrem Sound einen eigenen Namen zu geben, war ein cleverer Schachzug, der sicherstellte, dass die Belleville Three als historische Schöpfer eines neuen Genres wahrgenommen wurden – und nicht nur als ein paar weitere amerikanische House-Typen, die auf Krafwerk standen. Allerdings hatte der deutsche DJ Talla 2XLC, bürgerlich Andreas Tomalla, den Begiff „Techno“ in den frühen Achtzigerjahren bereits vor ihnen benutzt, um elektronische Bands wie New Order, Kraftwerk, Depeche Mode und Front 242 zu kategorisieren, als er in einem Frankfurter Plattenladen arbeitete. Tatsächlich hatte Talla 2XLC in derselben Stadt seine Technoclub-Nächte schon seit 1984 veranstaltet. Auch zeigen Archivaufnahmen von damals, wie Clubber den Begriff „Techno“ verwenden, um damit stampfende, industriell-elektronische Tracks und Electronic Body Music zu beschreiben. Erst 1988 und kurz vor der Veröffentlichung von Techno! The New Dance Sound of Detroit, einer bahnbrechenden britischen Compilation, die frühes Material von Atkins, May, Saunderson, Eddie Fowlkes, Blake Baxter und Anthony Shakir enthielt, kam das Detroiter Trio auf die Idee, wie sie ihre Musik nennen wollten. Wäre es nach May gegangen, hätte sich ein anderer Name durchgesetzt. „Ich wollte es ‚High-Tech Soul‘ nennen“, erinnert er sich. „Doch Juan meinte: ‚Nee, Mann, das ist kein High-Tech-Soul. Das ist Techno.‘“ Das Album, das gerade rechtzeitig zum wilden Höhepunkt des „Summer of Love“ der britischen Acid-House-Szene erschien, besiegelte ihr Image als intellektuelle Vorreiter der elektronischen Tanzmusik und sicherte ihnen ihren Platz in der Geschichte der Popkultur.

      Aber dazu wäre es fast nicht gekommen, so May. Techno entwickelte sich zwar zu einem globalen Phänomen, aber damals in den späten Achtzigern sahen nur wenige Leute mehr darin als eine Kuriosität, die wie so viele andere Pop-Moden zuvor schon bald wieder in der Versenkung verschwinden würde. „Als ich zum ersten Mal nach England reiste, verbrachten wir einen Tag lang damit, Plattenfirmen in London abzuklappern – und allen ging es komplett am Arsch vorbei“, berichtet er. „Alle dachten, diese Musik wäre nichts als ein Witz. Wir spielten einem A&R-Typen Mays Klassiker ‚Strings of Life‘ vor. Doch er telefonierte lieber. Er sah mich nicht einmal an. Also gingen wir einfach wieder.“

      „Weißt du, Geld ist eine Sache, aber Seele eine andere.“

      Prince, während eines Radio-Interview mit The Electrifying Mojo, 1986

      Von Anfang an sahen sich die Belleville Three als Reisende auf einer Mission, ein neues Landschaftsbild zu erschaffen. So wie die anderen ihre Ära bestimmenden schwarzen Musiker, die zur gleichen Zeit aufkamen, Public Enemy und ihr Produktionsteam, die Bomb Squad, bezogen sie ihre Inspiration zum Teil aus Science-Fiction – einer von einer Parallelwelt handelnden Literatur, in der die brutale rassistische Geschichte der USA vielleicht gar nie so passiert wäre. „Die ursprüngliche Essenz bestand aus schwarzem Futurismus und schwarzer Science-Fiction“, erklärt Alan Oldham. „Ich war ein Fan von Comicbüchern. Dann gab es da noch Typen wie Juan Atkins, die Sci-Fi-Fans waren. Viele meiner Freunde fuhren auf Star Trek ab. Und als Star Wars ins Kino kam, war ich gerade in der achten Klasse. Alle waren total verrückt danach.“

      Der US-Bundesstaat Michigan verfügt über eine lange Tradition darin, der Zukunft den Weg zu bereiten. Das zieht sich von der Einführung der Fließbandmassenproduktion durch Oldsmobiles bis hin zu Berry Gordys Hitfabrik Motown durch. Doch Techno spiegelte auch die Epoche, in der die Belleville Three lebten, gut wieder. „Zukunftsvisionen sagen in Wahrheit viel über die Gegenwart aus – und die Vorstellungen von der Zukunft ändern sich ganz abhängig von der jeweiligen Ära“, erörtert der Manager und gelegentliche Sänger der Underground-Resistance-Crew, Cornelius Harris. „Das bezieht sich stets darauf, wo die Menschen im Augenblick gerade stehen. Alles basiert dabei auf unseren Hoffnungen und Erwartungen.“

      Für junge Schwarze, die in den Achtzigern in Detroit aufwuchsen, entsprach die Zukunft nicht jener optimistischen Fünfzigerjahre-Vision


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