Rave On. Matthew Collin

Rave On - Matthew Collin


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Dub-Bass untermalt wurden. Schwaden von Marihuana-Rauch stiegen von der nahegelegenen Jungle-Stage auf, während ein paar junge Tänzer mit hyperkinetischer Beinarbeit zu bestechen wussten, Crusties in Kampfstiefeln durch die Gegend hoppelten und Männer mittleren Alters um einen mit aufwendigen Schnitzarbeiten verzierten Holzstab zappelten.

      Doch der harte Kern der Techno-Aficionados hatte sich vor der „Made in Detroit“-Stage versammelt. Dort hatten sich die urbanen Bohemiens in Tanzzirkeln arrangiert, um zu den Grooves lokaler Legenden wie Mike Huckaby, Delano Smith, Terrence Dixon, Kenny Larkin und Stacey Pullen ihre anmutigen Moves der Öffentlichkeit zu präsentieren. Allein schon die Energie und der Elan, den die jüngere Generation lokaler DJs im Verlauf des Wochenendes auf die Bühne brachte, ließ erahnen, dass Techno der Marke Detroit als Genre noch längst nicht zum alten Nostalgie-Eisen zählte und ausschließlich von seiner ruhmreichen Vergangenheit zehrte.

      Dennoch war es ein Mann aus der Frühphase des Hi-Tech Soul, ein Produzent, der schon auf jener Techno-Compilation von 1988 vertreten war, der allen anderen die Show stahl. Anthony „Shake“ Shakir, der an multipler Sklerose litt und dem Publikum von seinem Rollstuhl aus einheizte. Er vermengte Old-School-Techno mit „Wheel Me Out“ von Was (Not Was) aus Detroit, bevor er Derrick Mays „Strings of Life“ droppte und damit Detroiter sämtlicher Ethnien, Teenager wie Menschen mittleren Alters, Jungs mit Afros ebenso wie Männer mit ergrauten Schläfen, in einem transzendentalen Augenblick gemeinschaftlicher Ekstase in die Höhe springen ließ. Shakir kratzte die Kurve mit einem erstaunlichen, überaus virtuos vorgetragenen Mix, bei dem er zehn Minuten lang hin und her switchte und malende Beats aufeinanderprallen ließ, bevor er wieder in den Groove zurückfand, bei dem der Rhythmus sich von avantgardistischer Percussion über pulsierenden Eurobeat bis hin zu Disco-Tollerei transformierte. Während er weiterhin sein Ding durchzog, schwang eine große Rothaarige in Cowgirl-Jeans einen Hula-Reifen um ihren Körper. Sie wand und drehte sich, von himmlischer Euphorie ergriffen.

      Am Sonntagabend nach dem Festival trat Derrick May im White House in der nahegelegenen Shelby Street auf. Selbst in seinen frühen Fünfzigern noch so dynamisch wie eh und je, rackerte May am DJ-Pult hoch über dem Floor. Die Hi-Hats zischten wie gläserne Regentropfen, die von der Decke herabzuprasseln schienen, und Synthie-Wellen breiteten sich aus wie reinste MDMA-Dosierungen.

      Das erste Detroit Electronic Music Festival, der Vorgänger vom Movement, fand im Jahr 2000 statt, nachdem die Polizei gegen illegale Raves vorgegangen war. Das von May initiierte und von Carl Craig gebuchte Festival war als großes Techno-Homecoming geplant. „Diese Musik hat die ganze Welt erobert. Nun erobern wir Detroit“, erklärte Craig im unveröffentlichten Dokumentarfilm The Drive Home über das Ereignis.

      Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die Stadt ihren wichtigsten musikalischen Export seit Motown im großen Stil präsentieren musste, wie mir Craig erzählte: „Das Festival war als Statement gegenüber der Community gedacht, da Techno hier unterschätzt und zu wenig respektiert wurde. Wir fragten uns, warum das überall sonst möglich ist, aber nicht hier?“

      Das liegt daran, dass Techno im Ausland stets angesagter war als in den USA. Trotz des Aufstiegs von EDM, Amerikas eigener verwässerter, aufgeplusterter und hetero-freundlicher Variante elektronischer Tanzmusik, die im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts regen Zulauf verzeichnet, gelten Leute wie May, Atkins, Saunderson, Craig und all die anderen zwar in den Augen vieler Europäer als echte kulturelle Pioniere, werden in ihrem Heimatland aber immer noch eher als Randfiguren wahrgenommen. Frankreich etwa zeichnete Jeff Mills 2017 für seinen Beitrag zur Bereicherung der französischen Kultur mit dem prestigeträchtigen Orden der Kunst und der Literatur aus. Doch als er einmal gefragt wurde, ob er mit seinem neuesten Projekt durch die USA touren würde, antwortete er traurig: „Amerika interessiert sich einfach nicht für das, was ich tue – und das war eigentlich schon immer so.“20

      Ich fragte Robert Hood, wie er die Sache sah. „Die Nordamerikaner haben doch keinen blassen Schimmer, woher diese Musik stammt. Hier glauben alle, sie kommt aus Europa“, winkte er ähnlich resigniert ab. „Rasse spielt dabei eine Rolle. Im Verlauf der Zeit hat sich die Tendenz herauskristallisiert, schwarze Kunst und die Errungenschaften schwarzer Innovatoren abzuqualifizieren und zu belächeln. Doch die Frage, die sich nun stellt, lautet: Was wollen wir dagegen unternehmen? Wollen wir uns auflehnen und weiterkämpfen – oder sollen wir uns zurücklehnen und die Situation, so wie sie ist, einfach zur Kenntnis nehmen? Ich denke, dass wir aufstehen und uns zu Wort melden müssen. Wir dürfen uns nicht länger mit dem Platz hinten im Bus zufriedengeben.“

      Sogar Ghetto Tech – jener unflätig krakeelende ortsansässige Verwandte von Miami Bass und Chicagoer Juke, der sich auch von Cybotron und frühem Electro hatte beeinflussen lassen und für den DJ Aussaults Track „Ass N Titties“ von 1996 (Textauszug: „Ass. Titties. Ass and titties. Ass ass ass ass ass and titties“) als Paradebeispiel gilt – schien in der City nicht weniger populär zu sein als klassischer Old-School-Techno. Auf dem Weg zum Movement Festival vibrierte und schnarrte die Karosserie des Taxis zu tiefergelegten, mit dem Arsch zuckenden Ghetto-Tech-Bassläufen und vulgären Tiraden testosterongesteuerter MCs, die sich aus dem Autoradio in den Innenraum des Wagens ergossen. „Do you want to fuck?“, fragt einer von ihnen rüde – als ob er noch einen Termin hätte und rasch zur Sache kommen müsste, um nicht in Zeitnot zu geraten. „Dirty fucker“, knurrt ein anderer. „Jump on this dick!“

      Außerhalb der USA wurden Detroiter Techno-DJs – von Veteranen der alten Schule wie dem über 50 Jahre alten Delano Smith bis hin zu neuen Talenten wie dem noch nicht 30-jährigen Kyle Hall – immer noch frenetisch abgefeiert, ganz egal, wo auf der Welt sie gerade auftraten. Und trotz seines „Ruhestands“ bezüglich neuer Studioaufnahmen hatte sich Derrick Mays Backkatalog auch weiterhin als reichhaltiger Quell großer Freude erwiesen, auf den er immer noch gerne zurückgriff. 2014 begab er sich zusammen mit den mazedonischen Philharmonikern auf eine Tournee, in deren Rahmen er orchestrale Versionen seiner Transmat-Klassiker zum Besten gab. Jeff Mills brachte ein ähnliches Projekt mit den Philharmonikern aus Montpellier an den Start. Obwohl dieser musikalische Transfer von den Clubs in die Konzerthallen so gewirkt haben mag, als ob der Detroiter Techno sein Dancefloor-Mojo gegen hochkulturelle Anerkennung eingetauscht hätte, brachte die Stadt nach wie vor bahnbrechende Akteure hervor, die fortlaufend neu definierten, was diese Musik alles sein konnte.

      Randvoll beladen mit Detroiter Mythologie, schafften es der funkige Minimalismus und die pervertierten Disco-Schnitttechniken des in Chicago aufgewachsenen Theo Parrish, der spätabendliche, halbseidene Groove eines Moodymann, die ungezähmte Anrüchigkeit und die durchgeknallte Psychedelia eines Omar S sowie die schrägen Epen Stacey Pullens alle, dem Genre im Verlauf der Jahrzehnte neue faszinierende Formen zu verpassen. Hier handelte es sich außerdem um einen Haufen eigensinniger Nonkonformisten, die, ganz in der freiheitsliebenden Tradition der Stadt, ihre Musik in der Regel lieber auf ihren eigenen Labeln veröffentlichten, um jegliche Einmischung von außen zu vermeiden. Auch Interviews, in denen sie sich selbst erklärten, blieben Mangelware – doch sobald sie einmal sprachen, gaben sie sich oft so direkt wie etwa Mad Mike Banks. Die meisten von ihnen galten als resolute Verfechter ihrer Heimatstadt. „Detroit ist eine sterbende Stadt, aber ich werde mit diesem Motherfucker zusammen draufgehen“, insistierte Moodymann alias Kenny Dixon Jr. „Ohne Detroit wäre ich nämlich nicht der Motherfucker, der ich heute bin. Ich lasse mein Baby also nicht im Stich, sondern bleibe hier.“21

      Einer der Jüngsten unter ihnen, Kyle Hall, erblickte 1991 – dem Jahr, in dem „Riot“ von UR erschien – das Licht der Welt. Seit seiner Pubertät bediente sich Hall schon bei Elementen von House und Techno, um ihnen neue, originelle Formen zu verleihen. Das war noch bevor er je einen Rave besucht hatte. Als er endlich alt genug war, um Einlass zu finden, lag die Detroiter Szene ihm bereits zu Füßen. „Der ganze ‚War on Drugs‘ hat die Clubkultur praktisch gekillt. Deshalb hatte meine Generation kaum Gelegenheit, diese Erfahrung zu machen“, erklärt er. „Die Regierung ging so rigoros vor, dass alles mehr oder weniger illegal war, als ich erst mal volljährig war.“ Sein erstes Album The Boat Party erschien 2013 und steckte in einem markant spöttischen Cover, das Hall zeigte, wie er auf einem Motorboot saß, das inmitten einer desolaten, verschneiten urbanen Wüste gestrandet schien. Das Foto wirkte wie eine beabsichtigte Umkehrung des Playboy-Images à la Duran Duran, das DJs vermittelten, die auf


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