Deep Purple. Jürgen Roth

Deep Purple - Jürgen Roth


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eben nicht?

      Was indes – Einschub – nicht sein müßte, nicht hätte sein müssen: daß sich Deep Purple am 12. März 2000 nach bis dato einhundertfünfzehn Millionen verkauften Platten dafür hergeben, im Offenbacher Capitol fürs ZDF ein „Deep-Purple-Special“ herunterzukaspern, und sich dabei nicht bloß den idiotischen Fragen eines gewissen Thomas Gottschalk aussetzen, sondern auch noch den schweren Verdacht nähren, die durchaus druckvollen, wenngleich etwas routiniert bewältigten Nummern „Bloodsucker“, „Fireball“, „Woman From Tokyo“ und „Perfect Strangers“ im Playback-Verfahren darzubieten (zu hören bekommen hat man wahrscheinlich Ausschnitte der 1999er Live-Veröffentlichung Total Abandon Australia ’99). Genausowenig hochzuschätzen sind Jon Lords spätere Ausflüge in weitere Gottschalk-Rockveteranen-Fernsehshows zu „Fünfzig Jahre Rock“ et cetera, bis hin zu einem „Cross-over“-Auftritt am 19. September 2004, bei dem Lord im Rahmen der Sunday Night Classics (ZDF) mit Ex-Abba-Sängerin Anni-Frid Synni Lyngstad „The Sun Will Shine Again“ darbot (was wie­derum Abba-Fan Blackmore gefallen haben dürfte), jener Lord, der in Offenbach beteuert hatte, auch die nächste Dekade bei Deep Purple verweilen zu wollen, weil sie, die fünf, „mittlerweile“, nach zehrenden Jahrzehnten der Querelen und Zerwürfnisse, „Brüder im Herzen und im Geiste“ seien.

      Aber vergessen wir das.

      Ein wahres, adoleszentes Moment der Faszination des Jugendlichen für Deep Purple hat Nick Hornby festgehalten. Es macht sich fest an einem Bedürfnis aus gewissen Zeiten, die Qualität eines Songs daran zu messen, ob er ein donnerndes Gitarrensolo enthält – oder wenigstens ein monolithisches Riff, ein „Soundgebirge“ – und ob es, das Solo, auch lang genug sei. Hornby schreibt in 31 Songs (Köln 2003), im Kapitel zu „Heartbreaker“ von Led Zeppelin, es gebe „eine nicht pathologische, sondern musikalische Erklärung für mein kindliches Liebäugeln mit Zeppelin und Sabbath und Deep Purple, nämlich, daß ich meinem Urteil über einen Song nicht traute. Wie ein prätentiöser, aber begriffsstutziger Erwachsener, der sich einen Film nur ansieht, wenn er Untertitel hat, hörte ich mir nichts an, das nicht unter lauten, kreischenden E-Gitarren begraben war. Woran hätte ich sonst erkennen sollen, ob das Stück irgendwas taugt?“

      Schon wieder eine Frage. Und noch eine: Ist sie, die Frage, unter den Jahren der Jugend begraben worden? Wer weiß. Eventuell nicht. Wer im Jahr 2004 den wiederauferstandenen Eddie Van Halen hört, könnte sie ernst nehmen und ohne Achselzucken beantworten. Oder wer, wie der sehr saubere Herr Michael Rudolf und dessen Frau, Steve Vai, Frank Zappas ehemaligen Angestellten für „guitar abuse“, leibhaftig erlebt. Oder wer eine Platte von Deep Purple auflegt, Bananas nämlich, auf der Steve Morse endlich wie ein Gitarrist, der in einer Band spielt, zu agieren und zu klingen beginnt. Oder wer diesen einen Solotonausreißer auf Ritchie Blackmores Rainbow-LP Stranger In Us All (1995) vernimmt, versteckt in einem perlenden Zufallslauf im zwischen wärmender Melodieführung und „Burn“/„Can’t Happen Here“-Riffgebretter changierenden „Too Late For Tears“ – der könnte Nick Hornby noch heute unvermindert folgen. Er muß ja deshalb nicht gleich eine Revolution anzetteln. Oder seinen Plattenschrank nach selbiger Maßgabe sortieren. Aufräumen. Bereinigen.

      Daß sich mit der Musik von Deep Purple etwas Humanes, im guten Sinne ungetrübt Naives zu verbinden vermag, meldet Richard Linklaters großartiger Kinofilm School of Rock an. Jack Black, der in der Hornby-Verfilmung High Fidelity einen Plattenverkäufer mimte, wie Christian Gasser, der einer war, wahrscheinlich gern einer gewesen wäre, gibt da einen Spinal Tap-verdächtigen Rock­gitarristen, der auf der ganzen koksfreien Linie gescheitert ist und sich einen Job als Aushilfslehrer an einer Upper-class-Schule erschleicht. Und dann passiert etwas, das unerwartet zu Tränen rührt: Jack Black – warum eigentlich nicht Jack Blackmore? – bringt die verkniffenen, knieseligen und spießigen Racker zum Rocken, er führt sie ins Leben, und er tut dies auch mit dem Initialriff von „Smoke On The Water“. Grundton, Quinte, und endlich wissen wir, was es heißt, als Klein- oder Großbürger noch heute an der Revolution teilnehmen zu dürfen: „Wir haben zu rocken.“ (Jack Black) Weil wir hier rückblickend neuerlich „den noch in den Anfängen steckenden Hard Rock revolutionieren“ (Rock Hard), aber mindestens.

      Das alles hat weder etwas mit mühsamer Ehrenrettung noch mit Romantizismus zu tun. Daß „Smoke On The Water“ einiges mit „My Generation“ am Hut hat, läßt sich belegen. Und gleichzeitig läßt sich begründet darüber schreiben, warum „Smoke On The Water“ weiß Gott nicht alles ist, was Deep Purple waren und sind. „Das ‚Smoke On The Water‘-Riff“, legte die taz zu School of Rock nieder, „dürfte an keinem noch so dilettantischen Gitarrenschüler vorbeigegangen sein“, und das ist so wahr wie in seiner Stoßrichtung falsch. Denn kein Gitarrist hat die abgehackte Folge gezupfter Zweisaitenchords jemals so intoniert wie der böse schwarze Mann an der weißen Strat (Steve Morse versucht es, aber sein Sound ist einfach zu fett). Darin liegt der Hund von Deep Purple begraben. Unter anderem. Und darin zeigt sich, daß es nicht – nur – um Riffs geht, die wir alle weg- und herunterrocken, als wären sie für die Konfektionsstange fabriziert worden. Deep Purple, für manch einen der Inbegriff des schäbig Kalkulierten und Konterrevolutionären, standen in ihren besten Zeiten ein für das Inkalkulable. Für Freiheit. Streit. Chaos. Ungeschützt dargebotene Dummheit. Und unerwartete musikalische Schönheit und Komik – man entsinne sich bloß der Live-Kapriolen in „Wring That Neck“.

      „Ich finde es schön“, ist in Nick Hornbys High Fidelity (Köln 1996) zu lesen, „sehen zu können, wie ich in fünfundzwanzig Schritten von Deep Purple zu Howlin’ Wolf gelangt bin.“ Hornby sortiert seine Plattensammlung, und er erachtet Deep Purple für erwähnenswert. Über Fortschritt, welcher Art er sein möge, befinden wir anläßlich dessen nicht. Über Rückschritt, über Regression indes doch. Denn wir sind ein paar Jahre weiter fortgeschritten. Während Deep Purple nach der Demission von Ritchie Blackmore 1993 versuchen, ein Leben nach den Launen – temporal und nicht länger kausal nach den Launen des „banjo player“ (Ian Gillan) – zu führen, gründet der grummelige Godfather des „Dampframmen-Stils“ (H. P. Hofmann: Beat-Lexikon – Interpreten, Autoren, Sachbegriffe, Berlin 1980, VEB Lied der Zeit Musikverlag) und des Bendings Rainbow neu; spielt auf, als existierte nichts außer ihm; und startet dann im Sommer 1997 – ein Projekt. Blackmore’s Night. So heißt das. Und so heißt das bis heute, das „gar seltsame Projekt“ (Tagesspiegel, 2001).

      Mit Blackmore-Fans im speziellen ist es so eine Sache, sie sind womöglich die zähesten, die gläubigsten Deep-Purple-, die vornehmlich Mark-II-Verehrer, die Anhänger der reinen Lehre. Einer der Autoren ist auch so einer, es ist der­jenige, der gerade das Vorwort zusammentippt. Und jetzt hat er richtig zu schaffen. Denn was geschieht seit 1993?

      Deep Purple touren unverdrossen weiter, obwohl im Herbst 1993, im Jahr ihres fünfundzwanzigjährigen Bestehens, das Ende der Band besiegelt zu sein scheint. Die Band tourt und arbeitet weiter, erst mit Blackmore-Ersatz Joe ­Satriani, seit November 1994 mit Steve Morse (Ex-Dixie-Dregs, Ex-Kansas), und Ritchie Blackmore, der „letzte Aristokrat“ und „Ästhet“ (Rock Hard), dessen „Anschlag absolut intakt geblieben ist“, erreicht, wie erwähnt, mit Rainbow in – wieder einmal – kompletter Neubesetzung ein spieltechnisches und expressives Niveau wie lange nicht mehr. Ihm, der „Demokratie in einer Band“ für „reine Zeitverschwendung“ hält und der sich in der Rolle des „Diktators“ „äußerst wohl“ fühlt, „lag es schon immer, jungen, talentierten Musikern eine Chance zu geben, sie quasi zu entdecken“: „Der Vorteil von neuen, unbekannten Musikern ist, daß sie anpassungsfähig sind. Hätte ich dagegen ehemalige Bandmitglieder engagiert, so hätten die sofort angefangen rumzulabern.“

      Hat man ihn zu dieser Zeit auf der Bühne gesehen, wurde man nicht selten von einer Melange aus melodischen Feinheiten, dynamischer Diskretion und ausgedehnter Akrobatik überwältigt. Blackmore verfügte über einen klirrenden, beißenden und zugleich warmen, weichen, obertonreichen Sound, weil er die Mar­shall-Stacks, diese „schwer kontrollierbaren Elefanten“ (Blackmore), 1995 durch Engl-Amps, die mehr Sustain produzieren, ersetzt hatte (schon 1973 hatte er geäußert: „Ich würde lieber über einen kleinen Amp spielen“); und er besaß vor allem die alleinige Befugnis darüber, was musikalisch, oft unvorhergesehen, geschehen durfte und konnte, vorausgesetzt, Schlagzeuger Chuck Bürgi (vormals, neben diversen anderen Engagements, Al-di-Meola-Kompagnon


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