Deep Purple. Jürgen Roth

Deep Purple - Jürgen Roth


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den manischen Sammlern auf der Suche nach den verlorenen Momenten und den Fanklubmitgliedern in aller Welt, die jedes Tourprogrammheft besitzen, die jedem Bootleg hinterherforschen, jede Kolportage und jede Meldung inventarisieren, kommentieren und dergestalt ihr Bandbild komplettieren. Ihnen gegenüber dürfen wir um Nachsicht bitten.

      Wir mußten trotz des erheblichen Umfangs dieses Buchs destillieren und uns weitgehend auf diejenigen Informationen beschränken, die der Erklärung der Bandgeschicke dienlich sind und ihre Einordnung in die Musik-/Rock­geschichte erleichtern. Die Exegese der dreiundneunzigsten Live-Fassung von „Highway Star“ mit Steve Morse im Vergleich zu den Darbietungen von Ritchie Blackmore kann nicht Thema sein, und den wuchernden Irrungen der Spekulation und der unzähligen „What-ifs“ müssen wir genauso entsagen. Empathisch und auch mit der ab und an gebotenen Distanz zu einer Band, deren Geschichte neben vielen großen Momenten gleichfalls solche des Scheiterns, des lächerlichen, komischen und ärgerlichen Mißlingens, birgt, möchten wir ebendiese Geschichte einer innovativen, mitreißenden und zuzeiten kaputten und kreativ erloschenen Rockband erzählen.

      Fangen wir an, es wird ja Zeit.

      Intermezzo: Tränenton

      Tränen klingen nicht, selbst wenn es Tränen der Freude sind, einer Beethovenschen Odenfreude, bei der einem die inneren Glocken dröhnen, als wäre uns der Heiland geboren.

      Jedenfalls sagte Moser neulich: „‚Smoke On The Water‘ – das ist der Übersound! Ich hab’ Deep Purple gehört, und ich hab’ gesagt: Das sind meine Freunde.“

      So was sagen Kneipenfreunde. Es stehen einem die Tränen noch heute im Knopfloch, klingelnd wie nicht gescheit.

      „Die Band gibt es nur in meinem Kopf“

      Das erste Kapitel, in dem viele Leute viele Ideen haben und viel tun, aber nichts sich recht fügen will und in dem wir etwas über Jon Lord erfahren

      Wer eine wahre Idee hat, der weiß zugleich, daß er eine wahre Idee hat, und kann nicht an der Wahrheit der Sache zweifeln.

      Spinoza

      Für die Künste ist ein Zustand der Wildheit und der kämpfenden Individuen besser als die allzu große Sicherheit.

      Friedrich Nietzsche

      Ich bin ein Fan von Eros Ramazzotti, Deep Purple und Jethro Tull.

      Peter Neururer

      Es ist September 1966, wir sind in London, und Chris Curtis hat, wenn er phasenweise in verschiedener Hinsicht nüchtern ist, das bohrende Gefühl, daß ihm die Zeit davonläuft. Seit sieben Jahren ist sein Leben eine Art Wettrennen, in dem er immer höchstens an zweiter Stelle liegt. 1960, damals hieß er noch Chris Crummy, war er laut Aussagen halbverläßlicher Zeugen neben dem Jahrhundert­exzentriker und späteren Gründer der Official-Monster-Raving-Loony-Partei Screaming Lord Sutch der einzige Engländer mit langen Haaren („Ich war sogar ein paar Jahre früher dran als er – das weiß ich, weil wir mal im Star-Club drüber diskutiert haben. Meine waren lang, seit ich vierzehn war!“) und ist als Schlagzeuger mit dem zweitklassigen Country-Elvis-Darsteller Johnny Sandon durch die Liverpooler Clubs gezogen. Dann hatte Sandon während des für Mersey-Bands üblichen Gastspiels im Hamburger Star-Club beschlossen, künftig als Solist US-amerikanische Militärbasen in Frankreich zu beträllern. Die Band verkürzte ihren Namen auf The Searchers, erschuftete sich einen Job als Hausband von Les Ackerleys Iron Door Club – und Curtis mußte staunend mit ansehen, wie vier zuvor kaum als Gitarrenstimmer am Bühnenrand in Frage gekommene Rotzlöffel mit dem Witznamen The Beatles ernteten, was er und seine Kumpels gesät hatten.

      Immerhin: Musik aus der muffigen Industrieruine am Mersey-Fluß war nun gefragt, die Searchers waren im Hamburger Star-Club gut angekommen („Meine Lieblingsband!“ – John Lennon, 1963) und hatten mit „Sweets For My Sweet“ im August 1963 sogar zwei Wochen lang von ganz oben auf die britischen Single-Charts hinunterschauen dürfen. Während einer mittäglichen Pressekonferenz zu dieser Single hatte Bassist Tony Jackson, dem der Name Crummy („mollig“) zu peinlich zum Aussprechen war, Chris nach einem Plakat an der Wand („Lee Curtis & The Allstars“) in Curtis umbenannt. „Meine Mutter hatte nichts dagegen“, sagte der später. „Meine Oma hieß Curtin, das klang sehr ähnlich.“

      Die Beatles allerdings hatten im selben Jahr drei Nummer-1-Hits gehabt. 1964 folgten „Needles And Pins“ und „Don’t Throw Your Love Away“ (wie­derum gewannen die Beatles drei zu zwei), und dann ging dem Hitmotor der Searchers langsam der Sprit aus. Das US-Publikum verschmähte ihren zunehmend honigsüßen Trällerpop – obwohl sie ihr zweites Album Meet The Searchers genannt hatten, was bei den Beatles ja schließlich geklappt hatte. Ein erster Versuch mit einer Eigenkomposition („He’s Got No Love“) auf der A-Seite leitete den langen Marsch zurück in die Vorstadtclubs und Cabaret-Beizen ein.

      Curtis ist als musikalischer Kopf der Gruppe vorläufig brav mitmarschiert, hat dabei aber mit wachsender Verzweiflung nach einem Notausgang aus dem Treppenhaus Ausschau gehalten, das seine Band in Richtung Keller hinunterstolpert. Freie Tage, Abende und Nächte verbringt er vor allem damit, allen möglichen Leuten alles mögliche zu erzählen, alle möglichen Substanzen einzupfeifen und hilflos zuzusehen, wie alle möglichen Leute alle möglichen Träume verwirklichen. „Du kannst nicht auf Dauer Zeug nehmen und gut spielen, zumindest nicht auf lange Dauer“, hat er viele Jahre später erkannt, allerdings hinzugefügt: „Bewußtseins- oder körperverändernde Drogen zu nehmen ist mir nie eingefallen. Gott hat dir deinen Körper gegeben, und du solltest keinen Unfug damit treiben.“ Zu dem immensen Schwarm von zufällig und lose Bekannten, der sich mit der Zeit um ihn gesammelt hat, gehört auch Vicki Wickham, die Produktionsassistentin der Fernsehshow Top of the Pops – für jeden, der sich popmusikalisch betätigt, so etwas wie der Heilige Gral. Eines Tages, als er mal wieder in London rumhängt, ruft ihn Vicki an und fragt, ob er sie zu einem Abendessen bei einem Klamottenhändler begleitet. Sie ahnt, daß sie dort nur eingeladen ist, um sich von wirrköpfigen Jungmanagern anbetteln zu lassen, ihre neuesten hoffnungslosen Nachwuchspöplinge in die abverkaufsträchtige Show zu manövrieren.

      Da liegt sie nicht falsch. Ihr Gastgeber ist der vierunddreißigjährige Tony Edwards, Geschäftsführer des Familienunternehmens Alice Edwards Ltd., der mit seiner Modefirma im Herzen von Swinging London gute Geschäfte macht, damit aber laut eigener Aussage „nicht besonders glücklich“ ist und nun gern einen neuen Geschäftszweig zum Swingen bringen möchte. Vorläufig ist das ein dürrer Ast, auf dem ein allerdings hübsches Vögelchen sitzt: Ayshea Hague. Edwards hat dem Photomodell einen Plattenvertrag verschafft, bei dem Label BRP Records, das sein Kumpel Chris Peers eigens zu diesem Zweck mit Harry Robinson und dem späteren Island-Records-Chef Chris Blackwell gegründet hat. Vicki soll sie nun – na klar! – in ihrer Sendung unterbringen. Freundlich, skeptisch, zunehmend angeödet von Aysheas zementiertem Lächeln an Edwards’ Seite, lauscht sie dessen Vorträgen, während Curtis auf seinem Stuhl herumrutscht – Vickis Vorstellung, das sei „Chris, der Schlagzeuger der Searchers“, hat erwartungsgemäß wenig Eindruck gemacht – und das wirre Zeug in seinem Kopf ordnet, um es endlich loszuwerden. Dann hat Vicki genug, entschuldigt sich in Richtung Toilette und läßt Ayshea und Edwards mit Curtis zurück. Der hat jetzt freie Bahn, dem Quereinsteiger, der nicht mehr bürgerlich sein möchte, zu erläutern, wie das Popgeschäft läuft und daß es aber in Zukunft keinesfalls ohne ihn laufen wird, weil sein neues Projekt alles in den Schatten stellen wird, was es bislang gab: ein popmusikalisches Jahrmarktskarussell soll es werden, ein Cross-over-Multimedia-Spektakel aus Musik, Kunst, Film, Action, Performance brabbel brabbel – Vicki ist zurück und erleichtert und lauscht schweigend/ schmunzelnd.

      Vielleicht geht Edwards Curtis’ Gerede schließlich auf die Nerven, vielleicht hält er ihn auch wirklich, wie er später behauptet, „für eine Art John Lennon“ – jedenfalls unterbricht er den Redeschwall und schlägt vor, den Abend im Haus des Kommunisten, Musicalkomponisten und Entdeckers von Tommy Steele, Lionel Bart, fortzusetzen. Der habe zu einer Privatvorführung des Riesenameisen-Science-fiction-Klassikers Them von 1954 in seinem Haus in Chelsea geladen, und das möchte man doch nicht versäumen. So oder so – als man sich spätnachts


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