Van Halen. Joe Layden
Lubbock auf Island, du Arsch.“
„Nö, da waren wir vorvorgestern“, steigt Alex ein.
David krakeelt währenddessen einem vorbeiziehenden Groupie hinterher: „Hey, Sahneschnitte! Wirst du dem lieben Dave nach der Show Gesellschaft leisten? Hä? Vielleicht sollten wir uns zu einem Rendezvous verabreden?“
Das Girl lacht auf und grinst ihm zu. Auch das scheint keine ungewollte Avance darzustellen.
Bald schon finden sich die Jungs hinter verschlossenen Türen wieder, ziehen sich um und bereiten sich auf ihren abendlichen Job vor. Die lockere Kameraderie und die spielerischen Sticheleien weichen den Geräuschen von vier jungen Musikern, die sich startklar fürs Match machen. Eine durchaus treffende Metapher, da die Garderobe nichts anderes ist als eine Umkleidekabine, in der ein paar zusätzliche Vorhänge angebracht wurden. Am einen Abend Eishockey, am nächsten dann Van Halen. Aus der Nähe kann man sie rufen und fluchen hören.
„Wo ist mein verflixtes Shirt?!“
Das Aroma der Arena vermischt sich mit ihren Stimmen, und man kann spüren, wie die Vorfreude auf die Show wächst und wächst.
Und ich? Auch mir geht es so, obwohl ich mich nicht nur auf den Gig freue, sondern auch den Adrenalinkick spüre, der sich angesichts der Aussicht auf etwas Brutalität bei mir einstellt: Dinge wie – den Schädel eines Merchandise-Fälschers gegen eine Autotür donnern. Ein Teil meines Abends ist stets solcherlei Aktivitäten gewidmet (mit zwei, drei Roadies und einem Leibwächter im Schlepptau, schließlich bin ich nicht dämlich). Das gehört alles zu meiner Aufgabe, die Marke Van Halen zu fördern und zu schützen.
Dann spaziert der Veranstalter zur Türe herein. Er bleibt namenlos, da an ihm nichts ist, das einzigartig wäre. Der Mann riecht nach Vitalis oder Brylcreem – in einer so reichlichen Dosis aufgetragen, dass ihn sein Geruch bereits 30 Sekunden vor seinem tatsächlichen Eintreffen ankündigt. In der Garderobe schmachtet er nun die Jungs an, insbesondere David und Edward, während er mir nicht einmal in die Augen sieht. Der Kerl verarscht uns nach Strich und Faden – er verrechnet Bühnenhelfer, die nicht existieren, Arbeiten, die nie ausgeführt wurden, und verdreifacht die Kosten des Caterings. Er schwitzt und schnieft, als er seine nikotingelbe Hand zuerst den Jungs und dann mir reicht. Ich verwehre ihm unhöflich den Handschlag. Warum scheint jeder einzelne Veranstalter in jedem Winkel dieses verdammten Landes Schnupfen zu haben? Und warum wollen sie mich alle anstecken? Allerdings ist es vielleicht gar kein Schnupfen. Möglicherweise fährt der Veranstalter auch bloß auf Koks ab, wer weiß? Viele dieser Typen bieten einem neben sparsamen Rationen besagten Kokains auch ihre persönliche, oftmals blutige Hundert-Dollar-Note zum Rüsseln an – oft mitsamt dem gerade aktuellen Hepatitis-Erreger.
Sie sind nur allzu zuvorkommend dabei, sicherzustellen, dass die Band gut geölt und glücklich ist. Alkohol, Gras, Koks – das ist doch alles da, um wegkonsumiert zu werden. Teufel, die würden uns sogar mit Heroin versorgen, wenn wir wollten. Aber so sind wir nicht drauf. Waren wir auch nie.
Kurz vor Beginn der Show begebe ich mich zur Bühne und schaue zwischen den Vorhängen hindurch ins Publikum. Ach, du heilige Scheiße! Eine Arena, die wenige Stunden vorher noch leer und ruhig war, ist nun bis unters Dach gefüllt – mit 15.000 Kids, von denen die meisten Joints rauchen, Bierchen kippen, mit den Füßen stampfen und gemeinsam in die Hände klatschen. Das Licht wird gedimmt. Es braut sich ein erwartungsfrohes Getöse zusammen, während die Band sich der Bühne nähert. Ein einzelner Scheinwerfer ist auf Rudy Leiren gerichtet, dessen Job darin besteht, die Band anzukündigen.
„Ladies and gentlemen … hier sind sie … die großartigen VAN HALEN!!“
Gerade als ich mir denke, dass es gar nicht noch lauter werden kann, betritt die Band die Bühne – und es wird tatsächlich noch lauter. Viel lauter. Die Meute stürmt nach vorne, füllt jede erdenkliche Lücke vor der Bühne und stellt sowohl die Geduld als auch die körperliche Verfassung der Sicherheitskräfte auf die Probe. Und dann geht die Show endlich los. David stolziert auf den vier Meter langen Laufsteg hinaus, der sich von der Bühne ins Publikum erstreckt. Diese Dinger werden auch „Ego-Rampen“ genannt, da man, nun ja, schon ein Mords-Ego benötigt, um sie vor 15.000 enthusiastischen Rockfans entlangzuschreiten.
Ein zu kleines Ego ist Davids Problem nicht. An Selbstvertrauen mangelte es ihm nie. Nicht einmal, als Van Halen noch ausschließlich auf Gartenpartys auftraten. Und jetzt, als Frontmann einer der größten Bands des Planeten? Nun, David fühlt sich wie zu Hause.
„Ich will hören, wie ihr ordentlich Krach macht!“, schreit er und hält das Mikro zum Publikum hin. Die Reaktion folgt auf dem Fuß, und ein überwältigender, ohrenbetäubender Sturm erhebt sich. David lächelt und wirft seinen Kopf nach hinten, wobei seine Mähne einen kurzen Augenblick lang sein Antlitz bedeckt. Innerhalb weniger Jahre wird unaufhaltsamer Haarausfall Dave seines Markenzeichens und zugleich seiner Jugendlichkeit berauben. Wenn man genau hinsieht, kann man sogar jetzt schon erkennen, was Sache ist, doch leistet er ganze Arbeit, die Auswirkungen zu verbergen. Er blickt über das Meer von Fans hinweg, von denen rund 60 Prozent Frauen sind. Ein paar von ihnen haben sich bereits ihrer Oberteile entledigt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Erneut lächelt David.
„Wie ich sehe, ist nicht nur der Rock ’n’ Roll richtig groß in diesem Teil des Landes!“
Er beginnt, auf und ab zu hüpfen, dann schlendert er von einer Seite der Bühne zur anderen – wie ein König, bevor er sich an seine Untertanen wendet.
„Niemand beherrscht die nächtlichen Straßen so wie ich!“, ruft er. „Der Atomic Punk! Ich bin der, den ihr sucht!“
Und dann, wenn die Band den Knüppel aus dem Sack lässt, geht so richtig die Post ab. Edward steht am einen Ende der Bühne, seine Finger rasen mit blitzartiger Geschwindigkeit über das Griffbrett, und sein schmales Lächeln bringt zum Ausdruck, wie sehr er liebt, was er da tut, und wie wohl er sich mit einer Gitarre in der Hand fühlt.
Das andere Ende der Bühne ist für Michael Anthony reserviert – ein verlässlicher Bassist und lieber Kerl, dessen größtes Plus darin besteht, wunderbare Backing Vocals und schöne Harmonien beisteuern zu können. Sein beschränktes Können an seinem Instrument ist dank Edwards Virtuosität und Davids Talent als Entertainer praktisch nicht zu bemerken.
Alles konzentriert sich auf Dave. Er trägt schwarze Lederhosen und eine Weste, hinter der ein Büschel Brusthaare hervorquillt, während er zum Beat von Alex’ Drums herumspringt. Er zieht die Aufmerksamkeit jeder einzelnen hier versammelten Person auf sich.
Mitten während eines von Eddies weißglühenden Solos hüpft David vom Schlagzeugpodest und erreicht dabei einen Luftstand von gut drei Metern. Er hat sich den Hintern abgearbeitet, um diese Einlage zu perfektionieren, wobei er sich sogar einige Verletzungen zuzog – doch mittlerweile ist ihm der Sprung in Fleisch und Blut übergegangen. Er befindet sich in spitzenmäßiger körperlicher Verfassung. Er ist 27 Jahre alt und noch nicht gezeichnet vom Zahn der Zeit, den Drogen oder dem Alkohol. Ich hatte damals bereits schlechte Erfahrungen mit Dave gemacht und würde auch in Zukunft noch welche mit ihm machen, aber wenn ich ihn so dabei beobachte, wie er über die Bühne tanzt, ja wirbelt, muss ich einräumen, dass der Typ eine teuflisch gute Show abliefert. Dave wusste immer schon, was er wollte. Und mehr als irgendetwas sonst im Leben wollte er: berühmt sein.
Mission erfüllt.
Er lässt noch mehr improvisierte Sprüche vom Stapel, allerhand verrückten Scheiß, der ihm im Augenblick einfällt. Dave ist ein bunter Mix aus popkulturellen Archetypen: teils Stand-up-Komiker, teils Vegas-Troubadour, teils Heavy-Metal-Samurai. Die anderen Jungs lachen über seine Faxen. Mir scheint, dass zumindest, solange sie auf der Bühne stehen, alles in Ordnung ist in der Welt von Van Halen.
Während Michael die ersten Töne von „Runnin’ with the Devil“ anspielt, beginnt das Publikum zu headbangen. Dieses Riff wird als eines der eingängigsten in die Annalen des Rocks eingehen. Ich muss lächeln. Das ist jener Augenblick, der mir zeigt, dass es die Mühe wert ist. Ein Augenblick, so rein und voller Freude – so von Rock ’n’ Roll erfüllt –, dass ich mich glücklich schätze, ein Teil davon sein zu dürfen. Doch dieser