Geduld als Ressource. Bettina Siebert-Blaesing
verhält es sich mit dem theoretisch-konzeptionellen Teil, der im Hinblick auf die historischen, philosophischen und wissenschaftlichen Befunde ebenfalls umfassend erscheint, ohne dabei jedoch der Beliebigkeit zu verfallen. Auch hier wird deutlich erkennbar, dass Frau Siebert-Blaesing sich intensiv und aus unterschiedlichen Perspektiven, vor allem aber interdisziplinär, mit den unterschiedlichsten Aspekten von Geduld beschäftigt hat. Es gelingt ihr dabei auch, die facettenreichen Einzelbefunde zu verdichten und zu einer Synthese zusammenzuführen. An dieser Stelle wird besonders deutlich, dass die große Stärke der vorliegenden Arbeit in der breit angelegten, interdisziplinären Betrachtungsweise liegt. So viele Details und Einzelbefunde aus unterschiedlichen Disziplinen in einer gleichsam lesbaren wie verdaubaren Form darzustellen, stellt auf jeden Fall eine große Herausforderung dar. Frau Siebert-Blaesing ist dies in beindruckender Weise gelungen, wobei ihr Stil gleichsam präzise und konzise ist.
Frau Siebert-Blaesing legt mit der vorliegenden Abhandlung eine beachtliche Arbeit vor, die nicht nur inhaltlich-konzeptionell umfassend, methodologisch ausgefeilt und im Hinblick auf formale und stilistische Merkmale auf extrem hohem Niveau angesiedelt ist, sondern auch einen extrem hohen Reflexionsgrad erkennen lässt. Es ist auch für den informierten Leser sofort erkennbar, dass sich hier jemand über einen Zeitraum von sieben Jahren sehr intensiv und in kreativer Eigenleistung mit dem facettenreichen Konstrukt der Geduld befasst hat. Dieses ist zwar aus psychologischer Sicht wohl bekannt und beschrieben, durchaus auch im Sinne einer effektiven Selbstregulationskompetenz – man denke hier an die von Walter Mischel in den berühmten Marshmallowexperimenten untersuchte Fähigkeit von Kindern zum Belohnungsaufschub –, aber im Rahmen der deutschsprachigen Coaching- und Gesundheitsförderungsforschung bisher nicht umfassend rezipiert worden. Besonders deutlich wird das in der Diskussion mit den reflektierten Empfehlungen für die weitere Forschung und dem Fazit, das noch mit einer aktuellen Betrachtung der Rolle von Geduld auf dem Hintergrund der Coronakrise schließt.
Somit werden sowohl Theoretiker als auch Anwender von der Lektüre dieser Arbeit gleichermaßen profitieren können.
Coburg, den 27.12.2020 Prof. Dr. Niko Kohls
Einordnung und Danksagung
Als ‚Fachreferentin Jugend und Arbeit‘ in der Erzdiözese München und Freising begegne ich jungen Frauen und Männern in der Vielfalt ihrer Werdegänge und Fragestellungen. Das von mir und meinen (sozial-)pädagogischen Kolleg*innen genutzte Beratungsformat des Einzelcoachings gibt einen Rahmen vor, in dem junge Erwachsene mit einem bedeutsamen Anliegen zeitweise im Mittelpunkt stehen, in der Weite ihrer beruflichen und privaten Möglichkeiten gesehen werden können sowie in ihrem Lernprozess und ihrer Entwicklung beratend begleitet werden. Die exponierte Betrachtung der individuellen Berufs- und Lebenssituationen der jungen Erwachsenen zielt darauf ab, sie darin zu bestärken, die ihnen wichtigen Wünsche und Anliegen entdecken und umsetzen zu lernen.
Einige Einzelcoachingprozesse erweisen sich aber als schwierig und sind durch ein Gefühl von „Nichtvorankommen“ (Toussaint 2012, S. 36–37) geprägt. In der Reflexion zwischen dem professionellen Coach1 und dem/der Klient*in kann deutlich werden, dass ein angestrebtes Ziel aktuell schwer zu erreichen ist und erst einmal konkretisiert und in seiner Realisierbarkeit besprochen werden muss. Es gibt aber auch Coachingsituationen, in denen sich auf der Grundlage der Lebens- und Berufserfahrung erahnen lässt, dass sich ein Problem nicht sofort lösen wird, sondern Entwicklungszeit braucht und weit über die begrenzte Zeit eines Einzelcoachings hinausgeht. Für solche Fragestellungen bietet es sich an, Klient*innen im Einzelcoaching zur Geduld zu raten.
Die Fachliteratur greift die Geduld jedoch nur als ein wenig behandeltes Thema auf und bietet daher keine sichere Orientierung. Ungeklärt ist auch, ob die Geduld aktuell zum Erleben junger Erwachsener gehört und als Empfehlung im (sozial-)pädagogischen Coaching von ihnen als Hilfestellung in persönlichen und beruflichen Entwicklungsprozessen empfunden werden kann. Der Klärung der Ausgangslage stellt sich die vorliegende Untersuchung und lädt somit zu einer Entdeckung der Geduld als Ressource im Einzelcoaching junger Erwachsener ein.
Die in der vorliegenden Studie durchgeführte Befragung Geduld als Ressource wird über das Erzbischöfliche Jugendamt München und Freising als Promotionsprojekt, insbesondere in Absprache mit dem Fachreferat ‚Freiwillige Soziale Dienste‘, unterstützt. Hierbei sei besonders den beteiligten jungen Erwachsenen, den Mitarbeiter*innen sowie Kolleg*innen für ihr Engagement in diesem Projekt gedankt. Explizit danken möchte ich auch Prof. Dr. Bernd Birgmeier von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt für die Erstbetreuung des Promotionsprojektes sowie Prof. Dr. Niko Kohls von der Hochschule Coburg für die Zweitbetreuung. Sie sind mir beide durch ihre hervorragende Betreuung ein bestärkendes Vorbild darin, die Arbeit nach wissenschaftlichen Kriterien, mit gegenseitiger Wertschätzung und Respekt sowie in der Suche an einer eigenen vernetzt-forschenden Spur auszurichten.
Ein komplexes Vorhaben, wie eine Promotion, Dissertation und Disputation, braucht einen kritischen Blick von außen. Für die ‚geduldige‘ Textkorrektur danke ich besonders Elisabeth Raschke, Klaus Roepfl, Barbara Wiedner, Sebastian Petry, Sonja Blaesing sowie Martha Hellinger. Ergänzend gab es viele Personen, die durch ihr konstruktives Feedback, ihren technischen/methodischen Support oder eine Empfehlung einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der vorliegenden Untersuchung genommen haben. Ein herzlicher Dank gilt dabei dem Team des FSJ in der Erzdiözese München und Freising (Caritas und BDKJ), den Kolleg*innen und Kooperationspartner*innen des Erzbischöflichen Jugendamtes München und Freising, dem lebendigen Netzwerk der systemisch-synergetischen Prozessforschung (insbes. Prof. Dr. Dr. Günter Schiepek), dem Philosophisch-Pädagogischen Dekanat an der Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt mit seinem Lehrstuhl für Sozialpädagogik, der Hochschule Coburg, den Kolleg*innen der Coachingrunde, des Promotionszirkels und des FAM e.V., den Mitarbeiter*innen des Tectum Verlages sowie meiner Familie, meinen Freund*innen und Nachbar*innen für ihre Unterstützung.
Aus der Untersuchung sollen vertiefte Erkenntnisse zum ‚Einzelcoaching‘ ‚junger Erwachsener‘ gewonnen werden. Dies wird unter dem besonderen Fokus auf die ‚Geduld‘ und die Herausforderungen der ‚Gesundheitsförderung‘ reflektiert. Als Leser*in bringen Sie eine neue, wertvolle Perspektive in das Verständnis und Zusammenwirken dieser Begriffe in der Wissenschaft sowie der Anwendung/Praxis der Begleitung und Beratung junger Menschen ins Spiel. Wenn Sie Rückfragen, Anmerkungen und Ideen zu dieser Studie haben, erreichen Sie mich per E-Mail unter: [email protected]. Über diese Mailanschrift können Sie gerne auch die Auswertungslisten der qualitativen Inhaltsanalyse zur Befragung Geduld als Ressource von mir erhalten. Im Sinne der inter-, trans- und multidisziplinären Zusammenarbeit freue ich mich über weitere Kooperationen und Vernetzungen zur Geduld, die miteinander entstehen können.
Nun wünsche ich Ihnen eine gute Lesezeit mit neuen Sichtweisen, Fragen und Erkenntnissen. Ihre
Bettina Siebert-Blaesing
Poing, den 21.03.2021
1 Der Begriff Coach wird in Orientierung an der Praxis des Coachings in dieser Arbeit geschlechtsneutral verwendet. Wird von Coaching gesprochen, so ist in dieser Arbeit das Einzelcoaching gemeint. Die Zitation erfolgt im Text nach dem Harvard-System mit Autor und Jahr (z.B. Müller 2019) mit einer Kenntlichmachung der Vollbelege im Literaturverzeichnis. Für Anmerkungen, weiterführende Hinweise sowie Internetquellen wird das deutsche Fußnotensystem genutzt. Für gendergerechte Formulierungen wird entweder ein Begriff wie folgt in zwei Geschlechtern (z.B. Klient und Klientin), als Abkürzungsform (z.B. Mitarbeiter*in) oder als genderumfassende Formulierungen (z.B. Teilnehmende) beschrieben. Es werden durchgehend alle Geschlechter (m/w/d) angesprochen. Wird von der vorliegenden Studie, Untersuchung bzw. Arbeit gesprochen, so ist die gesamte wissenschaftliche Arbeit Geduld als Ressource gemeint. Wird von der Befragung Geduld als Ressource gesprochen, so ist nur der empirische Untersuchungsteil dieser Arbeit gemeint.
1 Einleitung
1.1 Forschungsthema und Ausgangslage
Das (sozial-)pädagogische