Der Trick mit der Konventionalstrafe: 320 PS - JIM 104. Glenn Stirling
dass er wieder mal da ist. Dieser Idiot erzählt allen Truckern, die herkommen, Schauergeschichten, damit sie nicht für den Boss fahren sollen.“
„Mit dem Boss meint ihr Erwingson?“
Der Kleiderschrank nickte. „Stimmt. Vergesst den Quatsch. Der ist bescheuert, dieser Ole Pettersen. Ein giftiger Stinker. Wir hätten ihm Janine nachschicken sollen.“
„Janine?“ Jim sah die beiden erstaunt an.
Der Kleiderschrank deutete auf den Fleischwolf. „Sie ist auf solche Stinker abgerichtet.“ Er grinste wieder wie ein Honigkuchenpferd. „Na ja, heute haben wir mal unseren sozialen Tag. Übrigens kommen die Jungs in einer halben Stunde, da kriegt ihr euren Zug geladen. Wenn ihr einen Kaffee wollt, holt ihn euch, der Alte drinnen hat frisch aufgebrüht.“ Dann zogen sie mit ihrem niedlichen Hündchen weiter.
„Ganz schöne Catchertypen, was? Und der Köter erst!“, meinte Chris. „Ob was an dem dran ist, was Ole gesagt hat?“
Jim zuckte die Schultern. „Vielleicht wirklich nur Missgunst. Wenn er beim Klauen erwischt wurde …“
„Ole und klauen? Kann ich mir nicht denken.“ Chris schüttelte den Kopf.
„Jeder zweite Trucker klaut wie ein Rabe, nur erwischt werden eben die wenigsten.“ Jim lachte. „Na ja, hat eben Pech gehabt, unser Ole, da hat dieser Typ schon recht. – Holen wir uns also frischen Kaffee. Kommst du mit?“
Das Thema schien, was Ole und seine Anschuldigungen betraf, vom Tisch. Auch Chris war nun der Ansicht, dass Ole alles nur aus Wut über seinen Rausschmiss gesagt hatte. Sie dachten deshalb weiter nicht mehr darüber nach. Und genau eine halbe Stunde später, wie von dem Gorilla angekündigt, kamen die Lagerarbeiter, um ihnen den Auflieger zu beladen.
Im Büro traf Jim dann auf Erwingson. Er hatte die Agentur Whitehouse und Sons vor zwei Jahren gekauft. Als sie damals vor zwei Monaten das erste Mal nach langer Zeit wieder in diese Gegend gekommen waren und zu W. u. S. fuhren, um eine Rückladung in die Staaten zu erhalten, saß da dieser neue Agent. Es war nur noch der Name der alten Frachtagentur und eines der vier Gebäude geblieben. Sonst war alles neu, und Erwingson stellte sich Jim als der neue Besitzer vor.
Früher hatten zwei Angestellte hier alles erledigt. Fracht wurde hier nur als Stückgut direkt geladen, oft nicht einmal das. Aber jetzt gab es neue Lagerhallen. Sehr viel Fracht ging direkt weg. So auch die Kartons mit den Fernsehergehäusen und denen für Videos. Das war eine gutbezahlte Fracht, dazu federleicht. Jim und Chris hätten sich etwas Besseres gar nicht wünschen können. Auch die Rückfracht nach den riesigen Farmen in Saskatchewan mit Elite und Hochzuchtsaatgut, meist Weizen, brachte hohe Frachtraten ein. Die Provision für den Agenten fiel da nicht mehr ins Gewicht. Es gab immer nur sehr wenig Abladestellen. Das war von Erwingsons Angestellten erstklassig organisiert. Es gab also keine sinnlosen Leerfahrten oder eine über viele Meilen gehende Herumkutscherei. Die Leute im Büro arbeiteten mit Computern und organisierten alles auf die Minute durch.
Erwingson empfing Jim mit einem selbstsicheren Lächeln. Die Goldrandbrille vor den stahlblauen Augen, das sorgsam gekämmte blonde Haar, ziemlich kurz geschnitten, der moderne und lässig wirkende graue Anzug mit dem hellblauen Binder gaben diesem Mann ein nicht nur gepflegtes Aussehen, sondern er wirkte auch sehr seriös. Sympathisch hatte Jim ihn allerdings nie gefunden, aber wenn er nur für Leute fahren wollte, die er nett fand …
Erwingson begrüßte Jim mit Handschlag, deutete auf den Sessel auf der anderen Seite des Schreibtisches. Er ließ sich selbst wieder in seinen gepolsterten Chefstuhl sinken und tippte auf eine Taste seines Sprechgerätes.
„Miss Julie, ist der Scheck für Mr. Stonewall fertig?“ Er sah nun wieder auf Jim, und als diese Miss Julie ihre piepsige Stimme aus dem Lautsprecher ertönen ließ und die Abfertigung des Schecks bestätigte, lehnte sich Erwingson zufrieden zurück und sagte mit gedämpfter Stimme: „Dann bringen Sie ihn bitte herein. Mr. Stonewall ist bei mir.“
Ein dürres Gestell mit blondem Haar trippelte herein. Jim sah nur das kostbare Stück Papier zwischen ihren rot lackierten Fingern. Als er es hatte, widmete er Miss Julie dann ein dankbares Lächeln, was sie dankbar zur Kenntnis nahm. Sie hätte Jim vielleicht noch gerne viel.länger betrachtet und Basismaterial für heimliche Träume in sich aufgesaugt, aber ein Räuspern von Erwingson scheuchte sie wieder hinaus.
Jim steckte den Scheck ein. So schnell und so gut bezahlten nur wenige, das war leider eine Tatsache, die Jim nicht leugnen konnte. Nein, sagte er sich, die ganzen Redereien von Ole sind einfach Quatsch.
Erwingson hatte die Papiere für die neue Ladung bereit und schob sie zum Unterschreiben über den Tisch. „Wie immer. Pünktlichkeit ist Trumpf, Mr. Stonewall, aber bis jetzt konnten wir ja die Uhr nach Ihren Ankünften stellen.“ Er lächelte sehr ermunternd, und Jim unterschrieb.
Der Text war derselbe wie immer. Der Hinweis auf eine saftige Konventionalstrafe bei verspäteter Anlieferung schien eine reine Formalität: Die Termine hatten genug Luft, um unterwegs fünfmal alle Reifen des Zuges zu wechseln. Bislang waren sie stets mindestens zehn Stunden früher angekommen, als es terminlich nötig gewesen wäre. Nein, da machte sich Jim absolut keine Sorgen.
Erwingson bot ihm noch einen Whisky an, den Jim ablehnte. Sie redeten noch über dies und das und tranken jeder eine Tasse Kaffee. Dann war draußen die Ladung klar. Wie gute alte Bekannte verabschiedeten sich Jim und Erwingson. Das Pokerface, das Erwingson machte, als Jim zur Tür ging, das sah der nicht. Er hörte auch nicht, dass er über sein Sprechgerät sagte: „Mr. Wight, Stonewall fährt jetzt ab. Rufen Sie schon mal in Winders an. Damit die dort Bescheid wissen. Ich schätze, dass die beiden etwa in sieben Stunden da sind.“
2
„Jetzt haben wir gleich die halbe Strecke“, sagte Chris, „da vorn ist schon Winders. Diesmal sind wir eine halbe Stunde schneller als bei der letzten Tour.“
Winders, das war nichts weiter als ein Dutzend Häuser, Polizeistation, Friedhof, eine verwitterte Holzkirche, drei Tankstellen, zwei Drive-in Restaurants, ein Supermarkt. Ende.
Die Sonne stand schon tief, der Himmel war strahlend blau. Rund um Winders endlose Felder, wo sich das Getreide im sanften Wind wiegte.
Und unmittelbar vor dem verblassten Ortsschild „Winders, Alberta District, Population 5600“ stand der Streifenwagen. Daneben die beiden Polizisten. So richtige Bullen. Die Daumen in die Gürtel gehakt, satt und selbstzufrieden und mit einem dreckigen Grinsen im Gesicht. So lauerten sie auf den RED BARON und seine Männer.
Erst dachte Chris noch, der fuhr, die warteten auf sonst wen. Aber als er nahe genug heran war, hob der eine den rechten Arm und machte die Hand flach. Der andere nahm seine Rechte aus dem Gürtel und legte sie wie zufällig auf den Kolben seines an der Hüfte baumelnden Dienstrevolvers. Das war auch so eine typische Art, Macht zu zeigen.
„Halt an“, sagte Jim, „die beiden Stinker wittern Beute, aber da haben sie Pech. Ich habe gesehen, dass du nicht einmal zu schnell gefahren bist.“
„Bin ich ja auch gar nicht“, meinte Chris verdrossen und stoppte ab.
Die Polizisten sahen das anders. Der sie angehalten hatte, ein Bursche mit dunklem Haar, braungebranntem Gesicht und einer dunklen Sonnenbrille vor den Augen, bellte zu Chris empor:
„Wenn du den großen Preis von Indianapolis gewinnen wolltest, ist das ganz einfach die falsche Strecke. Die Papiere!“
„Aussteigen, alle beide!“, rief der andere.
„Wollt ihr uns etwa eine Geschwindigkeitsüberschreitung verkaufen?“, erkundigte sich Chris, ohne die geringsten Anstalten zum Aussteigen zu machen. Er reichte nur die Fahrlizenz und die Zulassungen hinaus.
„Und ob!“, sagte der mit der Sonnenbrille.
Chris blickte den anderen ungläubig an. Der hatte immer noch die Hand am Revolver und schaute grimmig drein. Wie eine gereizte Bulldogge. Er war dick, und der Bauch quoll ihm über den Gürtel. An der linken Wange hatte er eine Narbe, die sich vom Mund bis zum Ohr hinzog. Der Haaransatz