Mein Leben mit den Eagles. Wendy Holden
es eine Oktave tiefer, aber immer noch in derselben Tonart, nur halb so schnell. Auf diese Weise konnte ich jede einzelne Saite, jeden Anschlag und jeden Fingerwechsel heraushören. Ich versuchte, meine Geschwindigkeit so weit zu steigern, dass ich unisono mit Chet spielen konnte. Mit diesem „Yankee Doodle/Dixie“-Stück muss ich mich etwa ein Jahr lang abgemüht haben. Jeden Tag arbeitete ich mehrere Stunden lang daran, doch ich fand immer noch nicht ganz heraus, wie es ging. Eines Abends hatte ich die Nase voll und warf angewidert meine Gitarre vom Bett. Ich schlief ein, und irgendwie ging mein Gehirn im Lauf der Nacht alles noch einmal durch und fand die Lösung. Am nächsten Morgen nahm ich meine Gitarre und konnte das Stück zu meinem großen Erstaunen Ton für Ton spielen.
Nicht dass sich mein gesamtes Leben nur noch um Musik gedreht hätte. Für einen Jungen, der an der Schwelle zum Mannsein stand, gab es noch jede Menge weiterer Ablenkungen. Zunächst einmal aber musste ich etwas Geld verdienen, um Saiten und Tonbänder bezahlen zu können. Ich nahm ein paar Gelegenheitsjobs in der Nachbarschaft an und arbeitete jeden Samstag im Schuhgeschäft von Sharon Pringles Vater, das gegenüber vom Billigkaufhaus an der Ecke Main Street lag. Es war ein absolut schlimmer Job für einen notgeilen jungen Kerl wie mich – zu Füßen dieser ganzen hübschen jungen Mädchen zu knien und ihren Geruch zu inhalieren, während sie Schuhe anprobierten. Jedes Mal, wenn sie mich anredeten, wurde ich knallrot. Ich hielt es nicht lange dort aus. Es war einfach unerträglich.
Mein nächster Job war eine Arbeit in dem neuen Musikgeschäft in der Stadt. Lipham Music eröffnete im Einkaufszentrum, das gleich nach dem alten Gemischtwarenhändler kam, dem einzigen Laden, wo ich zuvor Saiten hatte kaufen können. Das neue Geschäft wurde von dem alten Lipham und seinem Sohn Buster betrieben und war für Gainesville und seine Big-Band-Fans revolutionär. Es gab dort weit und breit kein einziges Saxofon, keine einzige Posaune und kein Klavier – nur Gitarren und Noten. Es war ein deutliches Symbol für die neue Rock-’n’-Roll-Ära.
Als ich eines Tages vorbeischlenderte, blieb ich wie angewurzelt stehen und starrte ins Schaufenster. Dort, beinahe als hätte sie nur auf mich gewartet, stand eine Fender Stratocaster, genau so eine, wie Buddy Holly sie spielte. Direkt vor meinen Augen. In Gainesville. Ich war ziemlich pleite und hätte ein wenig Arbeit gut gebrauchen können, aber die Gitarre war zu verkaufen, und ich musste sie einfach haben. Ich öffnete die Tür und drückte mich so lange im Laden herum, bis Mister Lipham schließlich auftauchte.
„Kann ich dir helfen, mein Sohn?“, fragte er mit einem belustigten Lächeln auf dem Gesicht.
„Ich möchte gern die Fender Stratocaster im Schaufenster kaufen“, platzte ich heraus. „Ich habe eine Fender Musicmaker mit Originalkoffer, die ich in Zahlung geben kann. Ich habe das Geld jetzt noch nicht, aber ich könnte Ihnen jede Woche etwas abzahlen.“
Mister Lipham strich sich mit der Hand übers Kinn und musterte mich von oben bis unten. „Kannst du spielen?“, fragte er misstrauisch.
„Ja, Sir“, erwiderte ich selbstbewusst.
„Zeig’s mir“, antwortete er und angelte eine gebrauchte Gitarre aus dem Regal. Ich legte mir den Gurt um den Hals und gab ihm wunschgemäß eine Kostprobe meines rasch anwachsenden Repertoires.
„Hmmm. Wie wäre es mit einer monatlichen Ratenzahlung von zehn Dollar?“, fragte er, als ich fertig war. Als er sah, dass ich zauderte, fügte er hinzu: „Du kannst hier arbeiten, wenn du Zeit hast, die Gitarren stimmen und putzen und den Leuten zeigen, wie man spielt. Ich zahle dir einen Dollar fünfzig die Stunde.“
„Klar“, strahlte ich. Innerhalb einer Stunde war ich zu Hause in meinem Zimmer und spielte auf dieser alten Stratocaster, was das Zeug hielt.
Mein Job in dem Musikgeschäft weitete sich bald zu dem eines Musiklehrers aus. Mister Lipham empfahl mich einigen seiner Kunden, und eh ich mich’s versah, unterrichtete ich zehnjährige rotznäsige Kinder, welche die ganze Zeit jammerten, weil ihnen die Finger wehtaten und sie glaubten, sie könnten in dem Augenblick wie Elvis spielen, wo sie die Gitarre in die Hand nahmen, die ihnen ihre Eltern gerade gekauft hatten. Mein Gehalt verdoppelte sich, und bald hatte ich die Stratocaster abbezahlt, obwohl der Preis dafür – die Arbeit mit den Kindern – oft zu hoch erschien.
Einer meine Schüler jedoch erwies sich als sehr vielversprechend. Sein Name war Tommy Petty, und er war mein Musterschüler. Tommy war drei Jahre jünger als ich, dürr, mit Hasenzähnen und einer grässlichen Gitarre. Ich ging zum Unterricht zu ihm nach Hause. Dort hatte er ein Mikrofon aufgestellt und sang aus voller Kehle. Er stand im Wohnzimmer, sang, spielte und gab alles. Ich war beeindruckt.
Tommy war kein herausragender Gitarrist, aber er hatte eine Stimme irgendwo zwischen Mick Jagger und Bob Dylan und ziemlich starke Nerven. Wenig später wurde er Leadsänger in einer Band namens Rucker Brothers. Ich kann mich noch erinnern, dass ich zu Tommy sagte, vielleicht könnte er es eines Tages sogar schaffen. Ich riet seiner Band, ihre Gitarrentechniken zu verbessern, und half ihnen auch bei einigen Arrangements. Manchmal begleitete ich sie sogar zu einem Auftritt und stand im Publikum, um sie spielen zu hören. Tommy sah sehr gut aus und hatte langes, seidenes Haar, das er immer in den Nacken warf, was die Mädchen sehr anziehend fanden. Als ich ihm eines Abends bei einem Auftritt in einem Gasthaus zusah, kam ein echt scharfes Mädchen auf mich zu und sprach mich an. Sie hatte gesehen, wie ich der Band beim Ausladen der Instrumente geholfen hatte, und wusste, dass ich zu ihnen gehörte. Zu meiner Überraschung und meinem Entzücken lud sie mich in der Pause zu einer Spazierfahrt in ihrem Auto ein. Ich war natürlich einverstanden. Sie fuhr ein bisschen die Straße entlang, parkte dann, und wir begannen uns zu küssen. Bevor jedoch noch irgendetwas Ernsthaftes passierte, hielt ein Wagen neben ihrem, und ein sturzbetrunkener junger Mann begann, uns anzuschreien.
„O mein Gott, das ist mein Freund!“, kreischte sie und schob mich von sich fort.
Ich wurde leichenblass, als ich sah, wie dieser Brecher direkt vor uns parkte, ausstieg und hier, mitten im Nichts, mit einem mordlustigen Gesichtsausdruck die Asphaltstraße zurück auf uns zukam. Zum Glück für mich war er so betrunken, dass er plötzlich stolperte und mit dem Gesicht voran auf der Straße zusammenbrach.
„Schnell, starte den Wagen“, schrie ich das Mädchen an. „Machen wir, dass wir von hier wegkommen.“
„Wir können ihn doch nicht einfach da liegen lassen“, jammerte sie. „Er liegt mitten auf der Straße. Irgendwer wird ihn überfahren. Wir müssen ihn an den Straßenrand ziehen.“
Mit ernsthaften Zweifeln an meiner geistigen Gesundheit stieg ich aus dem Wagen und half ihr, ihren Freund auf die Beine zu stellen. Als wir ihn aufrichteten, rülpste er, und es stank nach abgestandenem Bier. Widerwillig legte ich einen seiner Arme um meine Schultern und den anderen um ihre, und so schleppten wir ihn langsam zurück zu seinem Auto. Wir hatten es schon beinahe geschafft, als er zu sich kam.
„Nimm deine dreckigen Hände von mir“, sagte er und warf plötzlich seine Arme mit einer gewaltsamen Bewegung zurück, wodurch er mir die Schulter komplett auskugelte. Ich stieß einen Urschrei aus, griff meinen Arm und drückte ihn in die Gelenkpfanne zurück.
„Bring mich zurück zu dem Konzert“, keuchte ich dem Mädchen zu. Sie warf einen Blick auf ihren Freund, der inzwischen auf der Motorhaube seines Wagens zusammengesunken war, dann sah sie mich an. Ich hatte riesige Schmerzen, und sie stimmte zu.
Ich taumelte in den Saal zurück. Der zweite Konzertteil war bereits halb vorbei. Ich hielt mir die Schulter, die sehr schmerzte, und versuchte, zur Bühne durchzukommen. Ich wollte einen der Jungs bitten, mich ins Krankenhaus zu bringen. Ein paar Schritte hinter mir war der betrunkene Freund des Mädchens, der wieder zu Bewusstsein gekommen war und sich an meine Fersen geheftet hatte. „Hey, du kleiner Wichser!“, schrie er und stieß mich hart in den Rücken. „Was zum Teufel machst du da mit meiner Freundin?“ Ich konnte mich nicht zur Wehr setzen. Meine Schulter war total angeschwollen, und ich hatte so große Schmerzen, dass ich hätte weinen können. Die Gebrüder Rucker hingegen waren große, böse, gemeine, hartgesottene Rednecks aus Florida, deren Vater ein Autohaus besaß. Sie sahen, dass ich bedrängt wurde, warfen ihre Instrumente zu Boden, schnappten sich den Kerl und zerrten ihn hinaus, wo sie ihm eine ordentliche Tracht Prügel