Zucchero. Massimo Cotto
Gestalt auf, versuchen, ihr wahres Gesicht zu verbergen, aber sie sind und bleiben Truthähne. Unkalkulierbar.
Nicht nur Personen können Truthähne sein, sondern auch Lebensumstände, Situationen, Geschichten. Ich dachte: Wenn ich so weitermache und nur die reale Welt sehe, geht es mir hundeelend. Deshalb habe ich mir meine kleine Liebeswolke erschaffen, die, wie ich hoffe, so wie Fantozzis Wolke, mir überallhin folgt und immer größer wird.
Die Texte scheinen mir direkter zu sein als früher. Natürlich gibt es Doppeldeutigkeiten, aber man kann sie rascher auflösen. Ist auch dies Teil des bewussten Strebens nach Vereinfachung?
Ja, ich wollte wieder nackt sein. Eine Zeitlang sind Drei- und Vierdeutigkeiten ja ganz schön, dann aber bekam ich Panik. Eines Tages erwachte ich und fragte mich: Was, wenn niemand mehr auch nur den blassesten Schimmer davon hat, was ich sagen will? Deshalb habe ich mich für das Einfache entschieden, wobei ich versuchte, das Banale zu vermeiden.
Auch der Konflikt zwischen Teufel und Weihwasser hat sich abgemildert. In meinen Texten nehme ich mich auch immer der Probleme in unser aller Leben an. Die Liebe – gut und schön. All you need is love gilt immer. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.
Wie war die Zusammenarbeit mit Don Was?
Wunderbar, weil er meine Musik verstanden hat. Er ist eine Rock-Legende, die Rock-Legenden produziert hat. Er räumt dem Gefühl gegenüber der Technik seinen Platz ein, und allein dafür schätze ich ihn sehr. Er lässt das Herz sprechen und lässt auch zu, dass die Herzen der anderen zu ihm sprechen. Er sorgt dafür, dass ein Instrument und der Gesang perfekt klingen, aber er lässt sich nicht abhängig machen. Er legt Wert auf Instinkt, auf Natürlichkeit, auf die Magie des Augenblicks. Und er hat ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt. Du musst wissen, ich bin jemand, der gleich mit der ersten Aufnahme zufrieden ist. Ich hasse es, zwanzig Mal dasselbe Stück wieder und wieder zu singen. Meine Seele ist Rock. Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass auch die Unvollkommenheit Kunst ist. Ich pfeife auf eine ansteigende oder fallende Note. Ich spiele auch gerne auf »Vintage«- oder maroden Instrumenten. Man büßt an Perfektion ein, gewinnt aber an Ursprünglichkeit. Don Was war es manchmal lieber, dass ich die Instrumente selbst spiele – für »Troppa fedeltà« habe ich sogar Gitarre, Bass, Schlagzeug und Klavier gespielt, statt anderer, die dies viel besser gekonnt hätten.
Fly ist ein ungeschliffenes, dreckiges, ehrliches, aber deswegen kein schlechtes Album.
Ich wollte keinen Sequenzer, keine Elektronik und keine Sampler. Wenig Kitsch, dafür umso mehr Soul, im Sinne von Seele. Das ist der Spiegel der Einfachheit. Ich wollte zur Unmittelbarkeit von Blue’s und Oro incenso & birra zurückkehren, also setzte ich mich unter einen Feigenbaum, mitten in der Natur, und schrieb. Von der Natur zur Natürlichkeit. Ich und die Gitarre, aus. Ich lauschte meiner Stimme und machte weiter, bis ich eine Gänsehaut bekam und die Erregung spürte. An der Stelle war mir klar, dass dies der richtige Weg war. Ich suchte die reine Melodie.
In der Vergangenheit war das nicht so?
Nein, bei den letzten Alben nicht. Ich ging ins Studio und versuchte bereits von den Probeaufnahmen an, die Lieder zu perfektionieren. Und es kamen schöne Songs dabei heraus, aber natürlich andere als nur mit Gesang und Gitarre. Ganz zu schweigen von den Anfängen, als mein Onkel mir eine Sony mit zwei Tonspuren schenkte und ich das Gefühl hatte, den Himmel mit den Fingern berühren zu können. Also habe ich mir gesagt: Wenn du damals schreiben konntest, kannst du es auch heute.
Hast du gewartet, bis die Inspiration dich überkam, oder hast du sie regelrecht gesucht?
Diese ganze Sache mit der Inspiration ist ein Märchen. Das heißt, es stimmt schon, dass es sie gibt, denn es ist mir schon passiert, dass ich um vier Uhr morgens mit einer Melodie oder einem Riff im Ohr aufgewacht bin; aber es trifft genauso zu, dass ich quasi im Laden stehen und hart arbeiten muss, sonst würden zwischen zwei Alben Jahrhunderte vergehen. Je mehr man arbeitet, desto näher kommt man der Kunst.
Nach Paoli und De Gregori nun ein weiterer Poet: Ivano Fossati.
Im Auto hörte ich sein neuestes Album L’arcangelo. Daraufhin rief ich ihn an. Zum Glück, denn ich bin schon immer ein Fan von ihm gewesen, aber ich hatte nicht gewusst, dass auch er ein Fan von mir ist. Ich sagte zu ihm: »Hör mal, ich muss elf Texte schreiben. Hast du zufällig etwas Zeit für mich?« Und er, ganz der Gentleman, der er ist, antwortete: »Zeit habe ich, aber ich möchte keinen Schaden anrichten. Ich probiere es einmal, und dann sehen wir, was dabei herauskommt.« Und nach zwei Wochen Zusammenarbeit war der Text von »E delicato« geboren.
»Let it shine« ist eine bewegende Hommage an New Orleans.
Ich habe in meinen Liedern nie gerne Bezug auf Medienberichte oder das Zeitgeschehen genommen. Dies war in der Vergangenheit nur selten der Fall, etwa bei »Solo una sana e consapevole libidine salva il giovane dallo stress e dall’ Azione Cattolica« und »X colpa di chi«. Etwas von New Orleans jedoch fließt in meinen Adern, ist Teil meines Lebens. »Ich habe gesehen, wie der Mississippi wie ein Meer zur Hölle gerauscht und wie ein Engel hineingesprungen ist und verschlungen wurde.« Ich empfand heftigste Bestürzung. Und am Schluss, wenn ich singe: »Die Liebe weiß es«, hätte ich eigentlich sagen wollen – und vielleicht sagen müssen: »Die Liebe, ach was.« Denn es ist sehr schwierig, in diesen Ereignissen einen Sinn zu erkennen. Doch dann war ich überzeugt: Ich wollte ein Gefühl der Hoffnung vermitteln, einem schönen »morgen« die Tür öffnen.
Wie könnte ich denn auch davon unbeeindruckt bleiben? Das Anwesen mit dem Studio von Daniel Lanois gibt es nicht mehr, das Französische Viertel liegt in Trümmern, die Studios, in denen ich Spirito DiVino aufgenommen habe, sind verschwunden. Ich hoffe, dass New Orleans rasch wieder aufersteht. Ich verliere den Glauben daran nicht. Ich möchte den Zug der Liebe nicht verpassen. Wenn er an mir vorüberfährt, wie Curtis Mayfield gesagt hat, springe ich sofort auf.
Es gibt noch ein weiteres Stück auf diesem Album, in dem ich auf die Realität und das Zeitgeschehen Bezug nehme, aber es ist nur eine Art und Weise von vielen, meine Befürchtung auszudrücken, dass die Seele verfault. Ich habe weder etwas gegen Moslems noch gegen Christen noch gegen irgendwelche anderen Religionen. Die Angst, die ich empfinde aufgrund dessen, was in der Welt um mich herum durch religiös begründete Intoleranz geschieht, ist keine physische Angst. Sie ist anderer Natur. Wenn ich singe: »Christus, wir sind in Deinen Händen, bitte klatsch nicht in die Hände«, meine ich, dass ich mir nicht sicher bin, ob es richtig ist, dass alle auf die Religion vertrauen, denn manch einen kann sie auch erdrücken. Ich empfinde es als wichtig, dass die zwischenmenschliche Chemie stimmt. In »Pronto« setze ich meine Angst vor allem und jedem, ohne Ausnahme, musikalisch um. Ich fürchte mich vor den Amerikanern, den Engländern, den Italienern, den Moslems und auch den Christen.
Kehrst du oft nach Roncocesi, deinem Geburtsort, zurück?
Leider nur selten, ich fürchte mich auch ein wenig davor, zur Genossenschaft zurückzukehren und dort auf die Erzkommunisten zu treffen. Ich behalte lieber meine Erinnerungen. Ich sehe noch die Busse vor mir, die nach Moskau aufbrechen.
»Cuba libre« bringt die Utopie der Blumenkinder von San Francisco mit einer weiteren großen Utopie, der von Che Guevara und Fidel, zusammen.
Das Lied habe ich schon vor Einsetzen der gesundheitlichen Probleme bei Castro geschrieben. Die Zeit der beiden Utopien war eine intensive, wichtige Zeit für mich. Die Flower-Power-Bewegung hat meine Jugend geprägt, und das taten auch die Ideen des Che, der an eine gerechtere Welt glaubte. Der erste Traum ging schon vor Jahren zu Ende, und im Moment ist auch der zweite dabei, es ihm gleichzutun. Bei den Mamas und Papas und Canned Heat hört man eine Flöte. Es steckt eine Idee dahinter, die auf »California dreaming« Bezug nimmt, ein auf den ersten Blick studentisches und einfaches Stück, das jedoch jene sehr ernsten Bestandteile enthält, die meine Träume genährt haben. Ich liebe Kuba schon seit jeher und auch den Respekt, den die Kubaner gegenüber Kultur und Musik an den Tag legen. Der Umstand, dass die spanische Plattenfirma dieses Lied nicht als Single wollte, mutet merkwürdig an. Sie dachten nämlich, es enthielte viele Doppeldeutigkeiten. Sie konnten nicht glauben, dass die Zeilen: »Ich mag Lasagne« und »Ich mag Bologna«, was für »Mortadella« steht, in keinster Weise irgendwelche Anspielungen enthalten.