Vagos, Mongols und Outlaws. Kerrie Droban
Zeugenschutzprogramm
Kapitel 18: Der Prozess
TEIL II: Operation Black Diamond: Schwarz auf Schwarz
Kapitel 19: Wieder dabei
Kapitel 20: Outlaw
Kapitel 21: Kriegsspiele
Kapitel 22: David und Goliath
Kapitel 23: Würde
Kapitel 24: In der Arena
Kapitel 25: Der Tod fährt mit
Kapitel 26: Fratzen im Dunkel
Kapitel 27: Hose runter!
Kapitel 28: Jagd auf Engel
Kapitel 29: Das Ende der Straße
23. Juli 2004, Manzana Road, Apple Valley, Kalifornien
Die Cops fanden den ausgestreckten leblosen Körper des Mannes auf einem Schotterweg. Unter ihm hatte sich eine Blutlache gebildet. Der grauhaarige Mann musste Anfang vierzig gewesen sein, ein Meth-Junkie, den die Daily Press später als James Gavin (alias Little Jimmy) identifizierte, einer, der „zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war“ und über den Haufen geschossen wurde. Eine Kugel hatte Jimmy in den Rücken getroffen und sein Herz durchbohrt, während er panisch versuchte, über die Straße zu entkommen. Eine Frau mit dunklen Ringen unter den Augen, die ins Nichts starrte, hatte die Schießerei überlebt; sie erzählte in aller Ausführlichkeit, wie die beiden Männer in ihrem Wohnzimmer das Feuer eröffnet hatten. Blut floss aus einer Wunde in ihrem Arm und formte ein bizarres Muster auf den nackten Fliesen.
Nach Aussage der Frau lief alles rasend schnell ab, ähnlich Blitzen auf einem schwarzen Bildschirm. Ohrenbetäubender Lärm, lautes Knallen, unterdrückte Schreie, gefolgt vom dumpfen Zuschlagen der Tür, das dem unterdrückten Husten einer Sommergrippe glich. Das Opfer hatte das Haus merkwürdigerweise nur wenige Minuten vor dem Eindringen der Schützen verlassen. Er war „auf einem Horror“ gewesen und versuchte sich durch einen kurzen Spaziergang zu beruhigen.
Niemand hätte ahnen können, dass der Mord im Milieu die Unterschrift der Vagos trug.
Niemand wusste etwas über die Killer.
Niemand – außer mir, und ich existierte praktisch nicht!
Acht Monate zuvor, November 2003, beim Victor-Valley-Chapter
Das San Bernardino County in Kalifornien – mit seinen dünn besiedelten Wüsten und den hoch aufragenden Bergmassiven – war die Heimat des Vagos Motorcycle Club, einer Outlaw-Biker-Gang, die größtenteils aus ehemaligen Militärangehörigen bestand. Die Vagos wurden vom Bezirksstaatsanwalt Michael A. Ramos als „brutale Raubtiere“ und „größte urbane Terrororganisation“ in den USA bezeichnet. Nach Insider-Quellen stellten die Biker, auch bekannt als „Green Nation“, eine „unmittelbare Bedrohung“ für die Polizeibehörden dar. Mitglieder der Vagos hatten verschiedene Dienststellen geschickt infiltriert und diverse Posten besetzt, darunter sogar Positionen, die der Geheimhaltung unterlagen. Als Maulwürfe konnten sie polizeiliche Ermittlungen behindern oder in ihren Kreisen publik machen.
„Können Sie da reinkommen?“, fragte mich Detective Samantha Kiles1 vom San Bernardino Sheriff’s Department (SBSD) an einem kühlen Morgen vor Thanksgiving 2003, auf die Biker anspielend, mit herausfordernder Stimme. Sie saß mir in einem Büro der Criminal Intelligence Division direkt gegenüber und wärmte ihre Hände an einem Kaffeebecher. Die hübsche Blondine konnte einen mit ihrem sympathischen Lächeln leicht entwaffnen. Sie war durchtrainiert und fit und wirkte wie eine Marathonläuferin. Aufs Äußerste entschlossen, musterte sie mich mit dem durchdringenden Blick einer Raubkatze, die ihrer Beute auflauert. Mit einer Körpergröße von über 1,90 Meter überragte ich sie sogar im Sitzen. Ich hatte bis dahin keine Erfahrungen mit der Biker-Subkultur gesammelt, niemals eine Harley besessen oder gefahren. Hinzu kam noch, dass ich überhaupt nicht wie ein Biker aussah: Als ich für die bulgarische Mafia Betäubungsmittel schmuggelte, konnte ich mich als glatt rasierter, immer erstklassig gekleideter Geschäftsmann ideal verkaufen. Zudem trug ich keine Tattoos. Doch nun drohte mir eine mindestens 22-jährige Gefängnisstrafe wegen Verabredung zur Herstellung von und zum Handel mit mehreren hundert Pfund Methamphetamin. Eine Zusammenarbeit mit der Behörde lag eindeutig in meinem Interesse, denn meine angeblich loyalen Kumpels hatten mich verraten – diese widerlichen Speichellecker!
„Sie sind hier aufgewachsen.“ Kiles nahm einen Schluck Kaffee. Das stimmte. Und ich hatte meine Zuverlässigkeit als Geheiminformant der U.S. Customs and Drug Enforcement Administration2 (DEA) längst bewiesen. Zwar stand mein Prozess noch bevor, doch erst kürzlich hatte man die Gerichtsauflagen gelockert und mir die Fußfessel abgenommen, sodass ich an komplexeren Fällen arbeiten konnte. Statt Drogengeschäfte auffliegen zu lassen oder Kartelle auszuspionieren, kümmerte ich mich jetzt um waschechte Gangs. Ich hatte meinem Verbindungsmann bei der DEA davon berichtet, woraufhin er den Kontakt zu Kiles herstellte.
„Ich kenne einige Skinheads“, berichtete ich und zählte Gangs auf, in die ich mich als Weißer problemlos einfügen konnte. Kiles erklärte mir, dass es keine andere Gruppierung gab, die Südkalifornien so erbarmungslos terrorisierte wie die Vagos.
Vor meinem geistigen Auge tauchten Szenen meiner von bitterer Armut geprägten Kindheit in einem hauptsächlich von Latinos bewohnten Stadtteil auf. Für mich als Außenseiter und „White Trash“ gab es nur einen Weg in die Freiheit, den ich dann auch einschlug: Ich wurde Drogendealer und verbrachte mein Leben damit, große Mengen Kokain von Südamerika nach Europa zu schmuggeln. Das Geld motivierte mich, und ich hatte Talent. Zu der damaligen Zeit rechtfertigte ich mein Handeln mit einer Art „ehrenwertem“ Verbrechenskodex, denn ich konnte mir zumindest vormachen, kein hinterhältiger Dieb oder Kinderschänder zu sein. Als sich der Markt veränderte und Methamphetamin die Stelle von Koks einnahm, wurde ich Drogenkoch und verdiente eine halbe Million Dollar jährlich. Während ich in meiner geräumigen Villa mit den schönen weißen Wänden und den schicken Ledergarnituren von Zimmer zu Zimmer schlurfte, kämpfte ich mit der Illusion, nicht zu den Junkies zu gehören, obwohl mich die Sucht schon fest in den Klauen hatte. Ich warf das Geld in den Deckenventilator, machte daraus Konfetti für die Straße, ich hatte ja genug Kohle. Doch plötzlich verschwanden die teuren Sportflitzer, wurden einfach wieder abgeholt. Meine Frau verließ mich. Ich geriet in Panik. Hastig durchquerte ich die Eingangshalle und schloss sämtliche Türen mit einem gehörigen Knall. Mich überkam