New Order, Joy Division und ich. Bernard Sumner

New Order, Joy Division und ich - Bernard Sumner


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      Trotz all dieser kosmischen Feuerwerke, schlecht durchdachten Massenmeditations-Workshops und präzisen Flaschenwürfe gab es jedoch ein Konzerterlebnis, das alle anderen in den Schatten stellte. Es handelte sich um eine Show, die wahrscheinlich intensiver analysiert und verklärt wurde als irgendein anderes Konzert in der Musikgeschichte. Viele behaupten, dass dieser Auftritt in weiterer Folge alles veränderte.

      Und ich war mit dabei.

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      An einem Tag im Frühsommer 1976 zeigte uns Terry Mason eine Ausgabe des New Musical Express und begann über eine Band, über die er darin gelesen hatte und die Sex Pistols hieß, zu schwärmen: „Sie prügeln sich ständig und sind andauernd dicht.“ Er ergänzte: „Sie klingen großartig, genau so, wie es uns gefällt.“ Er hatte auch in Erfahrung gebracht, dass sie am 4. Juni in der Lesser Free Trade Hall in Manchester spielen würden – Hooky, Terry, noch ein paar andere und ich wollten uns das nicht entgehen lassen. Es war nicht gerade gut besucht. Ich habe gehört, dass vielleicht 40 Leute da waren. Das Konzert sollte jedenfalls ein Meilenstein in der musikalischen Historie von Manchester werden, aber falls wirklich alle, die später behaupteten, dort gewesen zu sein, es tatsächlich gewesen wären, hätte womöglich sogar das Old-Trafford-Stadion noch zu wenig Fassungsvermögen für den Gig geboten.

      Die Pistols befanden sich noch in ihren Anfangstagen. Ihr Durchbruch stand noch bevor und niemand in Manchester hatte wirklich eine Ahnung, wer sie überhaupt waren. Der Name allein klang allerdings schon verheißungsvoll und so drückten wir Malcolm McLaren, der an der Kasse saß, 50 Pence in die Hand und spazierten hinein, ohne wirklich zu wissen, was uns erwarten würde.

      Es war ein Ereignis, das in die Geschichte eingehen sollte – nicht nur wegen des Konzerts an sich, sondern auch wegen all der Leute, die im Publikum standen: Mark E. Smith war da, Morrissey ebenso, Tony Wilson und Paul Morley auch. Organisiert hatten den Auftritt Pete Shelley und Howard Devoto von den Buzzcocks. Aber allzu sehr kümmerte es mich nicht, wer sonst noch da war, denn sobald die Band erst losgelegt hatte, war alles andere nebensächlich. Von dem Moment an, als sie auf die Bühne stolzierten, sich ihre Instrumente schnappten und „Did You No Wrong“ vom Stapel ließen, wusste ich, dass das hier anders war. Es war ihre Attitüde, die mich beeindruckte. Ihre Performance strotzte nur so vor lauter Boshaftigkeit. Es war pure Aggression kombiniert mit einer Gleichgültigkeit gegenüber dem Publikum, die fast schon an Verachtung grenzte. Es war wie nichts, das ich jemals zuvor gesehen hatte – vielleicht erinnerte es vage an Lou Reeds anarchischen Auftritt, mit Santanas Aufruf zur Meditation hatte dies hier allerdings nicht das Geringste gemeinsam. Das hier war etwas Besonderes.

      Zum ersten Mal hatte ich bei einem Live-Konzert das Gefühl, mich wirklich mit den Leuten auf der Bühne identifizieren zu können. Wir hatten bereits seit Schulzeiten dieselbe Einstellung, dieses „Scheiß auf die Obrigkeit“, diese grundlegende Ablehnung gegenüber dem, was einem die ganze verdammte Zeit eingetrichtert wurde und wie man sich zu benehmen hätte. In der Schule waren es die Lehrer und nach der Schule war es die Anforderung, einem vorbestimmten Rollenbild in einer Gesellschaft, der ich mich nicht zugehörig fühlte, gerecht werden zu müssen. An jeder Straßenecke schienen ältere Menschen zu stehen, die uns daran erinnern wollten, wie beschissen wir doch seien. Dann kamen die Sex Pistols und gaben uns das Gefühl, dass wir es waren, die richtig lagen. Sie zeigten uns nicht nur das, sondern auch, dass wir überhaupt schon die ganze Zeit lang Recht gehabt hatten. Punk verlieh uns zum ersten Mal eine Stimme – und diese Stimme schrie dort direkt vor mir und aus voller Lunge. Es war eine Rechtfertigung für unsere Haltung und vermittelte uns gleichzeitig, dass wir doch etwas wert waren.

      Um diese Nacht hat sich im Verlauf von über 30 Jahren, die seither vergangen sind, eine eigene Mythologie entwickelt. Rock’n’Roll hatte einst als etwas Rohes und Simples begonnen, aber zur Mitte der Siebzigerjahre war er vorrangig von Angebern geprägt. Bevor die Pistols und andere Punkbands auftauchten, schien Musik ein privater Club zu sein, zu dem in zunehmendem Maße nur mehr Virtuosen Zutritt erhielten. Ein großer Teil der damaligen Musik – wenn auch nicht alles – war abgehobener, selbstverliebter, aufgeblasener Blödsinn. Der Hauptschuldige hieß Prog-Rock – er schien die Musik gelähmt und unter einer dicken Schicht von Konzepten erstickt zu haben.

      In den Sixties war ich noch sehr jung und hörte Bands wie die Stones, die Beatles, die Animals, die Kinks und viele andere mehr. Das waren Bands mit großartigen Songs und tollen Gitarrensounds. Für diese Bands war das große Ganze stets wichtiger gewesen als das Individuum, aber gegen Mitte der Siebzigerjahre hatte sich die Musik zu großen Teilen dem Pompösen zugewandt. Raffinesse wurde zum Kult überhöht: Bands wie etwa Emerson, Lake and Palmer und Yes produzierten unüberschaubare Konzeptalben, die so ziemlich das Gegenteil von dem waren, was mir an Musik gefiel. Punk und die Pistols schlugen höhnisch grinsend eine Schneise durch all die aufgeblasene Pompösität. Sie kreuzten genau zur richtigen Zeit auf und hatten die exakt richtige Gesinnung. Als wir da auf dem klebrigen Boden der Lesser Free Trade Hall standen und ein paar Jungs, die ein wenig wie wir selbst wirkten, aber eine wahre Flutwelle von Attitüde entfesselten, zusahen, erhielten wir die Bestätigung, dass wir nicht alleine waren. Es gab noch andere, die so fühlten, wie wir das taten. Ich muss es irgendwie geahnt haben, dass dies nicht bloß einfach ein Konzert wie jedes andere werden würde, denn ich hatte einen Kassettenrekorder bei mir, um es mitzuschneiden. Leider war die Aufnahme, als ich sie zuhause anhörte, völlig verzerrt, was an meinem beschissenen Rekorder gelegen haben könnte – oder daran, dass die Pistols nun mal so klangen. Egal, irgendetwas an dem Erlebnis fand Widerhall bei uns. Ob es nun eine völlig neue Offenbarung war oder einfach eine Saat, die schon zuvor in uns geschlummert hatte, zum Keimen gebracht wurde, lässt sich nur schwer sagen. Allerdings lässt sich nicht von der Hand weisen, dass in diesem Sommer etwas in der Luft lag – wir hatten die Witterung aufgenommen und folgten diesem feurigen, verschwitzten Aroma.

      Manchmal habe ich trotzdem das Gefühl, dass die Leute ein bisschen mehr aus diesem Abend machen, als er tatsächlich war. Ich sehe das so: Zu dieser Zeit kam eine Bewegung namens Punk auf, die bei vielen Leuten einen Nerv traf – ganz so, wie das später auch auf Acid House zutreffen sollte. Wir gingen auf Punk-Gigs, weil sie eben gerade stattfanden. Später war es dasselbe mit Acid-House-Events. Es war eine tolle Erfahrung, gar keine Frage, und die Pistols sollten sich ja auch wirklich als einflussreich herausstellen. Der Umstand, dass gewisse Leute an diesem Abend im Publikum waren, die später selbst gewisse Dinge vollbrachten, macht natürlich eine gute Story daraus. Doch ist in späteren Jahren nicht der Bogen in puncto Reichweite dieses Konzerts von Leuten, die gar nicht dabei waren, ein wenig überspannt worden? Für mich war es jetzt nicht so, als hätte ein göttlicher Lichtstrahl direkt aus dem Himmel uns gestreift. Es war zweifellos sehr inspirierend – aber darin liegt ein subtiler Unterschied. Ich glaube, dass der Mythos, der sich um diesen Gig herum entwickelt hat, ein wenig geradegerückt werden muss. Punk war eine interessante, aufregende neue Bewegung, von der nur wenige Leute in Manchester durch die Musikpresse erfahren hatten, weshalb sich eben nur ein bestimmtes Publikum beim Konzert einfand. Ich hatte die Buzzcocks vor den Sex Pistols gesehen. Sie hatten ein paar tolle Lieder und waren ebenfalls einer unserer Einflüsse – und bloß weil um dieses eine Konzert der Pistols so ein Kult entstanden ist, sollte das nicht unerwähnt bleiben.

      Meiner Meinung nach gelingt es manchen Leuten, einen gewissen Zeitgeist aufzuschnappen, den sie dann als Ventil für ihre eigene Kreativität oder Ausdrucksform zu nutzen wissen. Ich glaube nicht, dass dies bewusst geschieht. Es ist kein erlerntes Verhalten, sondern etwas anderes, eine Art Instinkt. Eine Person kann, um sich Wissen anzueignen, auf unterschiedliche Methoden zurückgreifen. Zur Schule zu gehen, den Lehrern zuzuhören, alles mitzuschreiben, auswendig zu lernen, wäre etwa ein traditionelles Modell. Doch gibt es auch einen anderen Ansatz, der voraussetzt, dass man die Welt beobachtet und seine eigenen Schlüsse, basierend auf den eigenen Erfahrungen, zieht. Dabei absorbierst du die Dinge, die dir richtig erscheinen, und interpretierst sie, filterst sie durch deine eigene Wahrnehmung und lernst, wann und wie du deinen Instinkten vertrauen kannst. Genau so entdeckte und erforschte ich die Musik und suchte mir meine Einflüsse so aus, damit ich schließlich selbst Musik erschaffen konnte.

      Punk rückte während des Sommers 1976


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