New Order, Joy Division und ich. Bernard Sumner

New Order, Joy Division und ich - Bernard Sumner


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Punk war, sich nicht übermäßig ernst zu nehmen. Klar, kämpft gegen das System, aber habt auch euren Spaß dabei. Ihr seid jung, ihr solltet das Leben genießen, ganz unabhängig von all dem Scheiß, mit dem ihr euch sonst abquälen müsst. Die Musik strotzte nur so vor unglaublicher Energie. Sie war mit nichts, das ich je gehört hatte, vergleichbar. In diesem Alter, wenn man ein Teenager oder in seinen frühen Zwanzigern ist, ist man selbst randvoll mit Energie, und braucht ein Ventil dafür. Punk-Gigs waren dafür perfekt. Man konnte dort einfach durchdrehen. Es war gleichzeitig ein Konzert und eine Party. Es war ähnlich wie mit Acid House – nur ohne Drogen. Nun ja, zumindest anderen Drogen.

      Nach einer Kindheit, in der Musik nur eine minimale Rolle gespielt hatte, erhielt ich nun während meiner Flegeljahre einen hochintensiven Crashkurs. Es war, als ob ich mich rasch durch die verschiedenen Gänge eines musikalischen Getriebes nach oben arbeitete – und mit Punk schaltete ich dabei in den fünften. Eine der Nachwirkungen des Pistols-Gigs war, dass ich nun die E-Gitarre, die mir meine Mum Jahre zuvor gekauft hatte, in einem völlig neuen Licht betrachtete. Nachdem ich nun Punk kennengelernt hatte, sollte sie plötzlich mehr sein als ein Staubfänger oder Kleiderhaken. So verschloss ich eines Abends die Türe meines Schlafzimmers, setzte mich aufs Bett, blies den Staub fort, öffnete das Gitarrenbuch, das ich gekauft hatte, und fing an, das Instrument zu erlernen. Der Beginn war nicht gerade vielversprechend: Die ersten paar Seiten des Buches befassten sich damit, wie man die Klampfe stimmte, aber ich wusste nicht, in welche Richtung man die Wirbel drehen musste, um die Saiten hoch oder tief zu stimmen. Ich hatte damals nicht gerade das feinste Gehör, weshalb sich die Geräusche, die ich fabrizierte, wohl ziemlich abscheulich angehört haben müssen. Aber ich klemmte mich dahinter, weil Musik zur wichtigsten Sache in meinem Leben geworden war. Zuerst hatte ich sie mir angehört, dann hatte ich sie käuflich erworben, dann anderen dabei zugesehen, wie sie sie spielten – und nun war ich entschlossen, dasselbe zu tun.

      Nach dem Konzert der Pistols war Hooky nach Manchester gefahren und hatte sich eine Bassgitarre und ein Buch wie meines gekauft, um drauf spielen zu lernen. Ich glaube, er zahlte dafür 35 Pfund, was damals ein schöner Batzen Geld war. Das Problem mit unseren Büchern lag darin, dass sie auf dem 12-Takt-Schema, der Grundlage beinahe aller Blues- und Rock’n’Roll-Kompositionen, aufbauten. Alle Songbeispiele stammten aus den Fünfzigern und waren Schnee von gestern. Dafür fehlte uns das Interesse. Ich konnte mich weder für Blues noch für altbackenen Rock’n’Roll besonders erwärmen – was ich spielen können wollte, war Punk. Komischerweise gab es aber kein Buch, das mir das beibringen hätte können.

      Trotzdem ließ ich mich nicht davon abbringen, weiter vor mich hin zu schrammeln. Ich übte bis spät in die Nacht Akkorde, bis sich auf meinen Fingerkuppen Hornhaut bildete, wodurch der Schmerz, den man als Gitarrenanfänger spürt, endlich nachließ. Ich brauchte nicht lange, um zu begreifen, dass man, sobald man erst einmal ein paar simple Dur- und Moll-Akkorde gemeistert hat, im Prinzip schon 90 Prozent von allem spielen konnte. Für den Rest benötigte man noch seine Vorstellungskraft –

       und die konnte man definitiv nicht aus Büchern lernen. Hat man erst einmal die grundlegenden Bausteine angehäuft, kann man anfangen, daraus etwas zu bauen. Man muss weder „Rock Around The Clock“ noch „Heartbreak Hotel“ spielen können, um eigene Musik zu machen. Du suchst dir stattdessen einfach ein paar Akkorde zusammen, erstellst ein paar eigene Tonleitern – und ab geht die Post! Alles, was zählt, ist, dass es sich für das eigene Ohr gut anhört.

      Musik begann, den Großteil meiner Freizeit für sich in Anspruch zu nehmen. Während Hooky und ich früher bei meiner Großmutter abgehangen hatten, mit Hypnose experimentiert, uns gegenseitig verarscht und über Motorroller und Zündkerzen diskutiert hatten, begannen wir nun im Sommer 1976, jeden Sonntagabend ebendort in der Alfred Street zusammen Musik zu machen. Unsere eigene Musik. Meine Großmutter hatte ein Grammophon, auf dem sie ihre alten Schellacks abspielte, aber in meinen Augen war das nicht bloß ein Grammophon, sondern das, was in ihrem Haushalt einem Gitarrenverstärker am nächsten kam – und so machte ich mich daran, den Apparat in einen solchen zu verwandeln. Ich entfernte die Nadel und lötete stattdessen zwei Klinkenstecker fest, damit Hooky seinen Bass und ich meine Gitarre gleichzeitig über das Soundsystem spielen konnten. Es war vielleicht nicht die tollste Anlage, über die wir da spielten, aber das, was aus dem Lautsprecher kam, hatte ohne Zweifel Ähnlichkeit mit Musik. Es war auch nicht besonders laut, aber Teile von dem Ding glühten, wenn wir reinhauten!

      Wir waren alles andere als Virtuosen, aber unsere eigene Musik zu komponieren, während wir gleichzeitig lernten zu spielen, erwies sich als ideale Methode, um unseren eigenen Ansatz und Sound zu entwickeln. Wir hatten keine vorgefertigten Meinungen zu Akkordabfolgen oder Tonleitern, weshalb wir in der Lage waren, so lange einfach herumzuprobieren, bis wir auf etwas stießen, das uns zusagte. Ich sagte etwa: „Oh, der Akkord klingt aber gut an der Stelle. Wie wäre es, wenn du zwar noch länger die Note spielst, ich aber schon auf diesen Akkord umgreife?“ Wir experimentierten einfach herum wie zwei Schulkinder, die erst ihren Weg durchs erste Schuljahr finden müssen. Wir wussten nicht wirklich, was wir da taten, aber letzten Endes und nach viel Herumprobieren brachten wir doch mehr und mehr auf die Reihe.

      So ging das eine ganze Weile dahin. Wir verbrachten jedes Wochenende damit, fleißig zu üben, bis wir realisierten, dass der nächste logische Schritt wäre, eine Band zu gründen – und so begannen wir, uns nach einem Sänger umzusehen.

      Anfangs dachten wir darüber nach, ob es in unserem Bekanntenkreis eventuell geeignete Kandidaten gebe. Wenn wir eine Liste aufgestellt hätten, wäre sie eher kurz gewesen. Ich weiß zwar nicht mehr genau, wer da draufgestanden hätte, aber vor ein paar Monaten lief mir ein alter Freund aus dieser Zeit namens David Wroe über den Weg und sagte: „Ich wäre ja als Sänger bei euch eingestiegen, aber meine Mum ließ mich nicht.“ Ich bin mir sicher, dass wir den einen oder anderen Namen diskutiert haben, aber letztlich gab es keine ernsthaften Anwärter aus unserem Freundes- und Bekanntenkreis. Grundsätzlich wollten wir jemanden, der auf dieselbe Szene und Musik wie wir abfuhr, jemanden, der ein netter Kerl und kein Arschloch war. Jemand, mit dem wir gut auskommen konnten.

      Letzten Endes schrieben wir unser Anliegen auf ein Blatt Papier und hängten es in die Auslage des alten Plattenladens von Virgin Records in der Lever Street in Manchester. Das schien der richtige Ort zu sein, weil dort alle hingingen, um ihre Punk-Platten zu kaufen. Der Virgin-Laden war auch zu einem der Treffpunkte für Leute in Bands beziehungsweise für Leute, die Bands gründeten (oder es zumindest vorhatten), geworden. Quasi ein Knotenpunkt und Hauptumschlagplatz für Möchtegern-Musiker. In der Wohnung in Greengate hatte ich einen Telefonanschluss und so schrieb ich meine Nummer auf den Zettel, klebte ihn an die Fensterscheibe, ging heim und wartete auf einen Anruf.

      Ein paar Leute meldeten sich daraufhin tatsächlich – größtenteils totale Psychos. Ich erinnere mich noch an ein Treffen mit einem dieser Typen, der sich am Telefon noch wie ein einigermaßen aussichtsreicher Kandidat präsentiert hatte und in Didsbury wohnte. Ich nahm Terry mit und als wir an die Haustüre dieses Kerls klopften, erschien vor uns ein Hippie mit praktisch hüftlangen Haaren. Er trug ein massives Paar Schlaghosen und ein Oberteil, das aussah wie ein Kissenbezug, in den er Löcher geschnitten hatte, um seine Arme und seinen Kopf durchstecken zu können. Ich warf einen Blick auf ihn und dachte mir, dass er wohl nicht der richtige Sänger für uns sein würde. Er tat in weiterer Folge wenig, um meinen ersten Eindruck zu entkräften, nein, vielmehr warf er ein paar Kissen auf den Boden und lud uns ein, uns zu ihm zu setzen. Terry und ich warfen uns verstohlene Blicke zu, als er schließlich ankündigte, ein paar seiner Gedichte hervorzukramen und sie uns vorzusingen. Gedichte? Das klang nicht gerade nach dem, was mir vorschwebte. Bevor wir uns jedoch versahen, hatte der Typ ein paar zerknitterte Blätter Papier vor uns auf dem Fußboden ausgebreitet. Dann griff er hinter sich aufs Sofa, um sich eine Balalaika zu schnappen. Umgehend begann er darauf herumzuschlagen und uns seine wehleidig-poetischen Ergüsse vorzusingen. Was die Situation sogar noch unbehaglicher machte, war, dass er uns dabei aus einer Entfernung von nicht einmal einem Meter direkt in die Augen starrte. Ich wagte es nicht, erneut Augenkontakt mit Terry aufzunehmen, aber ich konnte ihn leise kichern hören. Ich tat alles, was in meiner Macht stand, um nicht selbst vor Lachen explodieren zu müssen, als Terry plötzlich schnauben musste. Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und wir fingen beide an, uns schlapp zu lachen. Schlussendlich sagten wir zu unserem


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