Mafiatochter - Aufgewachsen unter Gangstern. Karen Gravano

Mafiatochter - Aufgewachsen unter Gangstern - Karen Gravano


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mein Vater meine Großeltern, Sandra und John Scibetta, um die Hand ihrer Tochter anhielt, waren sie zunächst nicht gerade begeistert. Sammy hatte einen Ruf als Schläger. Er war ein paar Mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten und in zahlreiche Prügeleien verwickelt gewesen. Die Eltern meiner Mutter kannten die Eltern, Tanten und Onkel meines Vaters, und wussten, dass sie gute Leute waren. Sammy war damals jedoch ein Mitglied der Rampers, einer bekannten Straßenbande aus Brooklyn. Die Rampers begingen bewaffnete Raubüberfälle, Einbrüche, Autodiebstähle und Erpressungen. Kleine Ganoven, die eine lebenslange Verbrecherlaufbahn ansteuerten.

      Sie hatten mit »Kofferraumknacken« angefangen. Dazu brachen sie den Leuten den Kofferraum ihres Autos auf und klauten den Ersatzreifen. Was die künftigen Schwiegereltern meines Vaters nicht wussten, war, dass er seit Kurzem ein »Mitarbeiter« der Mafiafamilie Colombo war, an deren Spitze Joseph Colombo stand.

      Sammy hatte sich ihrer Tochter gegenüber jedoch stets respektvoll und charmant verhalten, also willigten sie zähneknirschend ein. Sie verlangten allerdings, dass die beiden Debras achtzehnten Geburtstag abwarteten. Sie glaubten ohnedies nicht, dass Sammy in der Lage wäre, ihre Tochter in absehbarer Zeit zu ehelichen, da die bewirtschafteten Säle für die Feier ein Jahr im Voraus reserviert werden mussten. Sie waren sicher, dass die Romanze bis dahin abgekühlt wäre.

      Sammy hatte jedoch gute Kontakte zum Colonial Mansion, einem schicken Gastronomiebetrieb an der Ecke Bath Avenue und 22. Straße mit Marmorfußböden und Kristallleuchtern. Es gelang ihm, den Saal mit weniger als einem Monat Vorlauf zu buchen. Die Hochzeit fand am Freitag, den 16. April 1971 statt, einen Monat vor Debbies achtzehntem Geburtstag. Über dreihundert Gäste kamen, die meisten davon aus der Nachbarschaft sowie ein paar Mafiosi, um der Vermählung beizuwohnen und anschließend im Colonial Mansion zu feiern.

      Alle hofften, dass Sammy, wenn er erst einmal Frau und Kinder hätte, seine kriminellen Machenschaften aufgeben würde. Damit lagen sie nicht einmal so falsch, denn nach meiner Geburt zog unsere Familie von Brooklyn in das Haus meiner Großeltern väterlicherseits in Ronkonkoma, einem Ort auf Long Island, etwa eine Stunde östlich von Bensonhurst gelegen. Als Kind hatte mein Vater die Sommerferien in dem winzigen Haus verbracht, das schließlich zum dauerhaften Wohnsitz meiner Großeltern geworden war. Als meine Familie dort einzog, bauten meine Großeltern mit Freuden den Dachstuhl zu einer Wohnung für uns aus. Mein Vater war fest entschlossen, sauber zu bleiben und eine ehrliche Arbeit zu finden. Sein endgültiges Aha-Erlebnis kam später, in einem Augenblick der Verzweiflung, als er und meine Mutter mein Sparschwein aufbrechen mussten, um genug Lebensmittel fürs Abendessen kaufen zu können.

      Sein Schwager Eddie Garafola, der Ehemann seiner Schwester Fran, bot ihm Arbeit an. Eddie war Teilhaber eines kleinen Bauunternehmens in Ronkonkoma, das sich auf Klempnerarbeiten spezialisiert hatte, und hatte eine Menge für ihn zu tun. Mein Vater begann, bis spätabends zu arbeiten, verdiente aber trotzdem weniger als hundert Dollar die Woche. Als er Eddie um eine Gehaltserhöhung bat, teilten ihm mein Onkel und dessen Partner mit, zehn Cent pro Stunde mehr sei alles, was sie erübrigen könnten. Verärgert trat Sammy eine Stelle bei einer anderen Baufirma an, die von einem Freund des Onkels meiner Mutter geleitet wurde. Dort fing er mit einhundertfünfundsiebzig Dollar wöchentlich an, aber schon nach zehn Monaten verdiente er zweihundertundfünfzig. Langsam fasste er neuen Optimismus, dass er seine Familie mit einer ehrlichen Arbeit im Baugewerbe ernähren könnte.

      Die Familie lebte noch kein Jahr auf Long Island, als mein Vater und ein anderer Typ namens Alley Boy Cuomo des Mordes an zwei Brüdern, Arthur und Joseph Dunn aus Coney Island, beschuldigt wurden. Die beiden hatten eine örtliche Autowerkstatt betrieben, die jedoch nicht besonders gut gelaufen war, bis sie 1969 niedergeschossen worden waren. Aufgrund der Aussage eines Ganoven, der bereits wegen einer anderen Sache im Knast saß, wurden mein Vater und Alley Boy verhaftet. Der Ganove wollte, dass man ihm einen Teil seiner Strafe erließ, und lieferte meinen Vater und Alley Boy ans Messer, um ein paar Jahre weniger sitzen zu müssen. Mein Vater wusste, dass er als Sündenbock missbraucht wurde, denn er hatte noch nie von den Gebrüdern Dunn gehört. An seiner Verhaftung änderte das jedoch nichts.

      Der Boss meines Vaters in der Familie Gambino, Toddo Aurello, lieh ihm zehntausend Dollar, um die Kaution zu bezahlen – unter der Bedingung, dass er sie mit Zinsen zurückzahlte. Weil mein Vater weiteres Geld brauchte, um seine Anwaltsrechnungen zu bezahlen und die Familie zu ernähren, mussten wir zurück nach Bensonhurst ziehen. Wir zogen in die Fünfzimmerwohnung der Eltern meiner Mutter an der 15th Avenue. Meine Tante Diane lebte noch zu Hause. Wir teilten uns ihr kleines Zimmer, während sie auf dem Sofa im Wohnzimmer schlief.

      Zurück im selben alten Viertel tat mein Vater jeden Abend dieselben schlechten Dinge. Er raubte und stahl, um genug Geld zur Finanzierung seiner Verteidigung zusammenzubringen. Er sagte, er habe die Morde zwar nicht begangen und dass es ein an den Haaren herbeigezogener Prozess sei, er jedoch trotzdem eine Verteidigung aufbauen müsse. Um die Anwaltsrechnungen und Gebühren bezahlen zu können, blieb ihm nichts übrig, als das Geld auf diese Weise zu verdienen. Damit machte er aber alles noch schlimmer, weil er dreimal verhaftet wurde, während er auf Kaution war. Die Anwalts- und Gerichtskosten stiegen also.

      Zwei Wochen vor der geplanten Verhandlung des Doppelmordes wurde der Fall abgewiesen, weil die Geschichte des Ganoven zu viele Ungereimtheiten aufwies. So hatte der Typ etwa behauptet, mein Vater habe einen weißen ’72er Lincoln gefahren, doch mein Vater kaufte sich diesen Wagen erst Jahre nach den Morden. Obwohl mein Vater nun von allen Vorwürfen freigesprochen war, gab es für ihn kein Zurück mehr aus seinem kriminellen Dasein. Durch die Anwaltsgebühren hatte er sich verschuldet. Wenn er sich schon für das Berufsverbrechertum entschied, wollte er dies aber auch zu hundertprozentig tun. So war mein Vater eben: Was immer er auch tat, machte er hundertprozentig, ob als Krimineller, als Vater oder jemand, der mit den Behörden kooperierte. Wenn er sich einmal für etwas entschieden hatte, zog er es durch, ohne sich noch einmal umzublicken.

      Bald »verdiente« er genügend Geld, um sich eine eigene Wohnung leisten zu können, und wir zogen aus der Wohnung meiner Großeltern in ein Apartment an der 61. Straße.

      Meine Mutter war eine jener loyalen Ehefrauen, die mit ihrem Mann durch Dick und Dünn gingen und keine Fragen stellten. Sie zweifelte nie wirklich an meinem Vater, weil sie tief im Herzen fest daran glaubte, dass er es gut meinte. Ich weiß, dass sie wünschte, sie hätten Long Island und ihren Traum vom einfachen Leben nie hinter sich gelassen. Als die Mutter seiner Kinder trug sie alle seine Entscheidungen mit, wofür auch immer er sich entschied.

      Ich bin sicher, dass sie bisweilen wünschte, alles wäre anders gelaufen, doch sie begriff eines: Wenn die Ernährer nach Hause kamen, erzählten sie den Frauen nicht, was sie taten, und die Frauen stellten keine Fragen. Also umgab sie sich mit ihren Kindern, ihrer Schwester, ihren Eltern und einigen Ehefrauen von Männern aus der Clique meines Vaters, die diesen Lebensstil verstanden.

      Alle meine Großeltern hatten nie etwas mit der Mafia zu tun gehabt. Meine Großmutter und mein Großvater mütterlicherseits arbeiteten beide, um ihre Familie zu ernähren. Mein Großvater arbeitete nachts bei der Western Electric Telephone Company, wo er Schaltplatten zusammensetzte, und meine Mutter hatte einen Job in einer chemischen Reinigung. Es gelang ihnen, genug Geld für ein Sommerhäuschen in Pennsylvania zusammenzusparen, wo sie der Stadt entfliehen konnten.

      Die Eltern meines Vaters waren aus Italien nach Amerika gekommen. Die Familie war sehr arm. Als erste hatten die Männer die Überfahrt unternommen, dann wurden die Frauen und Kinder nachgeholt. Mein Großvater – »Giorlando« in Italien, aber »Gerry« in den USA – war der jüngste Junge und der Letzte, der nach Amerika gelangte. Er war noch ein Teenager, als er ganz allein mit dem Frachter von Sizilien nach Kanada reiste. Als das Schiff in Kanada anlegte, ging er von Bord und musste nur anhand einer Telefonnummer seinen Weg nach New York finden. Weil er illegal in die Vereinigten Staaten einwanderte, blieb ihm eine Einbürgerung für immer versagt. Er war sehr italienisch, geleitet von seinen strengen italienischen Traditionen, und sprach entweder Italienisch oder sehr gebrochen Englisch mit starkem italienischen Akzent.

      Die Mutter meines Vaters hieß eigentlich Caterina, wurde aber von allen Kay genannt. Sie war in den Vereinigten Staaten zur Welt gekommen und zog ihre drei Kinder englischsprachig auf, weil sie wusste, dass sie es nur so zu etwas


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