Das Wetter ist doch das Letzte. Corinna Stegemann
Das Wetter: Der dreiste Geist
Schon seit 500 Jahren ging der Geist des ehrlosen Lord Estebylt auf Schloss Snupflestone um, und die Bewohner hatten sich weitgehend an das umtriebige, jammernde und kettenrasselnde Gespenst gewöhnt. Was aber tatsächlich jede Generation der Schlossbewohner zur Weißglut brachte, das war die unfassbare Dreistigkeit von Lord Estebylt. Ständig verschwanden Dinge im Schloss: Bücher, Geld, Elektrogeräte, Socken – kurz: Nichts war vor ihm sicher. Und immer fanden sich die Sachen in Lord Estebylts Verlies wieder, in das er damals lebendig eingemauert worden war. Zur Rede gestellt antwortete das Gespenst dann ein ums andere Mal: »Das ist meins! Das hab ich gefunden!« Es war einfach nur zum Haareausraufen.
Das Wetter: Der Hausgeist
Tiefe Sorgenfalten hatten sich in die Stirn von Sir Eustaches Estebylt gegraben. Er konnte das Gejammer und Geheule von Ritter Cornelius dem Blauen, seinem Hausgeist, nicht mehr ertragen. Cornelius war vor genau 673 Jahren betrunken von den Zinnen gestürzt und spukte seither als Gespenst durch Burg Schiefundkrumm. Und er konnte die eiskalten Hände einfach nicht vom Weinkeller lassen. Deshalb war Cornelius ständig verkatert und beklagte lauthals sein Kopfweh. Sir Eustaches Estebylt verabreichte ihm gerade die dreißigste Aspirin-Tablette. Nach und nach ging es Cornelius ein wenig besser. »Na, da bin ich ja ein richtiger Geistheiler«, schmunzelte Sir Eustaches. Ein übler Kalauer, den ihm seine Gattin, Lady Minerva, niemals verzeihen würde.
Tierisches
Das Wetter: Der Kryptidenkongress
Nessi, Mottenmann, Bigfoot und Yeti trafen sich zum jährlichen Kryptidenkongress in Reutlingen. Wie immer kam es zum Streit darüber, wer von ihnen echter und berühmter war. Es dauerte nur knappe dreißig Minuten, bis alle vier beleidigt und zutiefst erzürnt in ihre jeweiligen Löcher, Bäume, Wälder und Gletscher zurückkehrten und sich schworen, nächstes Jahr nicht mehr zum Kongress nach Reutlingen zu fahren. Doch es kam, wie es immer kam: Im folgenden Jahr trafen sich Nessi, Mottenmann, Bigfoot und Yeti abermals in Reutlingen. Im Gepäck hatten sie neue Zeitungsberichte und verschwommene Fotos, die sie einander stolz präsentierten. Es dauerte diesmal nur knappe fünfundzwanzig Minuten, bis es zum Streit kam ...
Das Wetter: Schweinepriester
Der Schweinepriester besah sich voller Stolz seine prächtige Gemeinde. Er hatte sie um sich versammelt, um eine sensationelle Neuigkeit zu verkünden: Der Schweinepapst hatte das Dogma der Enthaltsamkeit für Schweinepriester aufgehoben, und nun wollte der Schweinepriester so richtig die Sau rauslassen und einmal quer durch die Gemeinde ferkeln. »Säue, Eber, angestellt«, rief er, »nur nicht drängeln, jeder kommt mal dran!« Na, das gab ein Gegrunze und ein Gejauchze. Das Fest währte sieben Tage und sieben Nächte, und noch Jahre später erzählten die Schweine ihren Ferkeln und Ferkelferkeln davon. Der Schweinepriester aber war zufrieden und huldigte inbrünstig dem Schweinepapst.
Das Wetter: Gnu greift an
Das Gnu zog seine Augen zu gefährlichen Schlitzen zusammen, hinter denen es böse funkelte. Es hatte sich hinter einen Busch gekauert und beobachtete das Löwenrudel, das sich in den Schatten einer Platane gelegt hatte und träge vor sich hin döste. Wie unachtsam von ihnen. Eine vortreffliche Gelegenheit zum Überraschungsangriff. Das Gnu duckte sich zum Sprung. Es wollte versuchen, einen der Löwen vom Rudel zu trennen und ihn dann in die Enge treiben, damit es ihn – ja was denn eigentlich? Irgendetwas stimmte hier nicht, und das Gnu beschloss, seinen Angriff noch einmal zu verschieben und vorher gründlich über die Jagd nachzudenken. Und das war allerdings wirklich besser so.
Das Wetter: Hannover
Die Leute schauten etwas merkwürdig, als das Gnu eintrat. Sie waren Gnus in der Betriebskantine nicht gewohnt. Hier war noch nie ein Gnu gewesen. Das Gnu ignorierte die neugierigen Blicke und bestellte einen Eiersalat. Unglücklicherweise hantierte es etwas ungeschickt mit Messer und Gabel – kein Wunder, bei den Hufen. Und schwups!, hatte es sich bekleckert. Mit Eiersalat. Was nun? Das Gnu beschloss, aus der Not eine Tugend zu machen. Den Nächsten, der es wegen des Eiersalatfleckens dumm anstarren würde, wollte es einfach fragen: »Was? Sie tragen keinen Eiersalat? Das ist doch der neuste Schrei.« Schließlich lebte das Gnu in Hannover. Dort würde es damit immer durchkommen.
Das Wetter: Giraffe und Kondor
Der Kondor flog eine elegante Kurve über der Steppe und landete mit sanftem Schwung in der Akazie. Er guckte, ob die Giraffe ihm zugesehen hatte, die jedoch tat, als sei sie völlig uninteressiert. Hochnäsig knabberte sie an der Baumkrone und beachtete den Kondor scheinbar nicht weiter. Doch aus den Augenwinkeln versuchte sie zu erhaschen, ob der Kondor zu ihr rüberguckte. Der war nun jedoch beleidigt und zeigte seinerseits der Giraffe die kalte Schulter. So ging das jahrelang. Keiner von beiden wollte den ersten Schritt machen, keiner wollte sich eine Blöße geben. Und so kam die Welt leider um die erste geflügelte Giraffe. Auch nicht schlimm. Wer braucht schon geflügelte Giraffen?
Das Wetter: Das Rennen
Das Rennen geht in die entscheidende Phase! Nur noch 40.000 Kilometer bis zum Sieg. Die Weinbergschnecken geben ihr Letztes. Für einen Kilometer brauchen sie im Schnitt neun Tage, das bedeutet, dass das Rennen in nur ungefähr 986 Jahren vorbei sein und ein Sieger feststehen wird. Die Zuschauer toben bereits auf den Rängen und feuern ihre Favoriten an. Der Geruch von schwitzenden Schneckenleibern liegt in der Luft und der Glanz der großen Häuschen vervollkommend ... vervollkomment ... vervollkommnet – optimiert die erregende Szenerie. Noch ist das Feld beinahe geschlossen! Die letzten Wetten werden angenommen … Der Sieger wird in 986 Jahren verkündet!
Das Wetter: Der Rabe
Der junge schwarze Rabe saß hoch oben auf einer Zinne der alten Burg und dachte angestrengt nach. Es war ihm noch nie im Leben gelungen, jemandem auf den Kopf zu kacken – immer ging es ganz knapp daneben. Obwohl er doch immer sehr genau zielte. Was machte er nur falsch? Die anderen Rabenkinder aus seiner Klasse hänselten ihn schon deswegen, und seine Eltern hatten sogar schon einen blauen Brief bekommen, weil er in »Auf-den-Kopf-Kacken« eine Fünf minus im Zeugnis bekommen würde. Dafür stand er in »Krähen« bei sehr gut. Aber das zählte ja nicht. »Davon kannst du später nicht leben«, sagten die Eltern, und »Krähen ist eine brotlose Kunst«. Und nun musste der kleine Rabe sogar an den Nachmittagen und in den Ferien mit den Eltern »Auf-den-Kopf-Kacken« üben. Dabei planschte er viel lieber im Bach. Außerdem war er unglücklich verliebt in eine Dohle aus gutem Hause. Aber dieses hübsche Vögelchen wollte rein gar nichts von ihm wissen, es flog lieber mit der Elster zum Klauen. Ach, so ein Rabenkind hatte es wirklich nicht leicht.
Das Wetter: Wasserscheu
Der Wal klammerte sich mit all seinen Kräften am Strand fest. Er hasste Wasser wie die Pest, er war das wasserscheueste Wesen auf der ganzen, weiten Welt. Aber wie sehr liebte er den Strand und die Trockenheit. Wie herrlich war es doch, einfach im Sand zu liegen und sich von der Sonne wärmen zu lassen. Wären da nicht diese gemeinen, lästigen kleinen Viecher, die mit all ihren Kräften versuchten, ihn in das abscheuliche, nasse Wasser zurückzuschieben ... Der Wal hasste diese Wesen fast noch mehr als Wasser. Und es wurden immer mehr und immer mehr. Bald würden sie gewinnen, der Wal spürte schon, dass er zu rutschen begann. Er würde sich einen anderen Strand suchen müssen. Was für eine Plage!
Das Wetter: Das grüne Pferd
Als der berühmte Pferdezüchter Hartmut Sandbaumhüter einmal ein neues Füllen betrachtete, kippte er fast aus den Latschen. So etwas Hässliches hatte er noch nie gesehen. Das Tier war quietschgrün,