The Who - Maximum Rock III. Christoph Geisselhart
haben immer eine Bedeutung, selbst wenn es eine verfälschte, geklaute oder missverstandene Symbolik ist; besonders Letzteres verstärkt ihre Wirkung oft sogar noch. Ich habe während der Arbeit an dieser Biografie mit vielen Who-Fans in Deutschland gesprochen und immer wieder überrascht erfahren, dass viele der zwischen 1960 und 1970 geborenen Anhänger erst über den Quadrophenia-Film Zugang zu The Who gefunden hatten, als sie genau im richtigen Alter waren, um sich mit Hilfe der Kernbotschaft hinter dem Mod-Epos selbst zu ergründen. Der Modkult stellte für diese Generation eine Art von Matrix dar, die gerade deswegen so geeignet schien, weil sie vergangen war und keinerlei sonderlich tiefgründigen Ziele oder Inhalte verfolgte.
Unter diesem Gesichtspunkt ist natürlich fraglich, ob der ursprüngliche Modkult von 1962 bis 1964 wirklich „authentischer“ war als seine Neuauflage fünfzehn Jahre später, wie Pete es beklagte. Eine Kultur, die so stilfixiert war, dass ihr jede innere Bedeutung im Grunde abging, besitzt in sich wenig nachvollziehbare Echtheit. Irish Jack, der in dieser Zeit am Ort des Geschehens aufwuchs, und frühe Who-Fans wie Christian Suchatzki werden dieser Aussage vermutlich nicht zustimmen, doch ich meine festgestellt zu haben, dass die in sich eher sinnleere Ausrichtung der Modkultur 1979 keine Wandlung erfahren hatte – nur die historischen Rahmenbedingungen waren andere, die Gesichter, und natürlich auch Petes eigene Haltung.
Die nächste wichtige Personalentscheidung, die für The Who anstand, war die Besetzung der Hauptrolle von Jimmy dem Mod im Film. Interessanterweise boten sich dafür reihenweise junge Punk- und New-Wave-Musiker an. Auch der Sänger der Sex Pistols, Johnny Rotten, fragte persönlich bei Pete nach, ob er die Rolle haben könne. Die Branche schien förmlich darauf zu warten, dass die Who als Paten sowohl der wiederauflebenden Modbewegung als auch des allmählich schon wieder verebbenden Punkrocks erneut eine Vorreiterrolle einnahmen. Keine andere Band besaß diese auf den Zeitpunkt so perfekt zugeschnittene Vergangenheit und Reputation für beide vorherrschenden Musiktrends des Jahres 1979, Modkult und Punkrock. Die Rockdinosaurier The Who standen damit vor einer erstaunlichen Wiedergeburt.
Jimmys Rolle wurde schließlich mit dem weithin unbekannten Schauspieler Phil Daniels besetzt, der bis dahin nur eine Statistenrolle in Bugsy Malone und einige Fernsehauftritte vorweisen konnte. The Who suchten wohl mit Absicht nach unverbrauchten Gesichtern. „Die meisten Jugendlichen in dem Film waren tatsächlich Mods aus Sheffield, aus Stafford und aus ähnlichen Ortschaften“, sagt Pete. „Und sie trugen wirklich Parkas und fuhren Motorroller. Wir hatten einfach Glück, dass in den achtzehn Monaten, in denen wir den Film machten, diese Modgeschichte wieder losging, wobei einige von den Jungs uns erklärten, dass die Geschichte des Modkults nie aufgehört hatte.“
Kenney Jones, der ehemalige Drummer einer der bekanntesten Modgruppen überhaupt, bedeutete für The Who, die mit ihrer Modtradition nach „My Generation“ sehr bewusst und aus strategischen Gründen gebrochen hatten, sicher mehr als nur „eine enorme Blutauffrischung“, wie Pete meinte. Die Wahl auf Kenney fiel wie bei den meisten wichtigen Who-Entscheidungen in einer demokratischen Abstimmung. Alle Gruppenmitglieder sowie Manager Curbishley besaßen je eine Stimme. Pete und John sprachen sich ohne Zögern für den schulmäßig trommelnden Ex-Mod Kenney aus, Roger stimmte gegen ihn. „Ich wollte künftige Pattsituationen verhindern“, erläutert Curbishley seine ausschlaggebende Zustimmung für Kenney. „Wir hatten keine Zeit für so etwas.“
Der Erwählte bat sich zur Überraschung aller eine kurze Bedenkzeit aus. Der berühmte britische Tonmeister Glyn Johns hatte gerade eine neue Band zusammengestellt, bei der Kenney das Schlagzeug übernehmen sollte. Diese Gruppe war ein anglo-amerikanisches Sextett namens Lazy Racer. Es gab bereits einen Plattenvertrag, und die Band wollte in den nächsten Tagen nach Nassau fliegen, um dort das erste Album aufzunehmen – als Bill Curbishley anrief. „Am nächsten Tag trafen wir uns zum Mittagessen, Pete, Bill und ich“, erzählt Kenney. „Ich sagte nicht sofort zu, sondern redete erst zwei Stunden lang mit Pete, ehe ich schließlich doch einschlug. The Who waren einfach näher an meinen Ursprüngen dran als eine Gruppe mit drei Amerikanern und drei Engländern.“
Was Kenney zu erwähnen vergaß: The Who boten ihm zudem vor allem die Aussicht auf eine schnelle Konsolidierung seiner zumindest wackligen Finanzen. Nach allem, was man hörte, war der zuvor wenig beschäftigte Ex-Faces-Drummer hoch verschuldet. Den Eintritt in eine der erfolgreichsten Rockgruppen der Musikgeschichte dürfte deswegen auch er selbst als seinen persönlichen Glücksfall betrachtet haben. „Ich war mein Leben lang immer in Bands gewesen, die sich auflösten“, meinte Kenney. „Und deswegen glaubte ich, dass ich mit The Who eine gute Wahl getroffen hatte.“
Tja, was soll man dazu sagen? Vier Jahre später war es wieder soweit: The Who lösten sich auf, und Kenney Jones wurde von seinem Trauma abermals eingeholt. Aber zuvor konnte er sich eine Basis schaffen, die ihn für alle Zeiten von seinen Schulden befreite.
2.: Wie der Hase so läuft: Der Wandel vom Quartett zur Fünf-Mann-Band
„Jungs, ich weiß ja nicht, was ihr so vorhabt, aber ich werde bei The Who mitmachen.“
Rabbit verkündet seiner Band Crawler den Ausstieg
„Sobald ich wütend werde, höre ich sofort auf. Schlagzeugspielen ist nichts, worüber man seinen Zorn auslässt.“
Kenney Jones über sein Selbstverständnis als Schlagzeuger
„Bringt Pete Townshend zurück auf die Straße mit The Who, tot oder lebendig!“
Johns Neujahrsmotto 1979
„Es kam mir vor wie das deutsche Woodstock.“
Who-Fan Andreas Mock über das Open-Air-Konzert in Nürnberg, den ersten Who-Auftritt ohne Keith Moon in Deutschland
Kenney Jones wurde im Dezember 1978 als gleichberechtigter Partner bei The Who offiziell vorgestellt. Roger hatte wieder einmal bewiesen, dass er Niederlagen schnell schlucken konnte, wenn es dem Wohl der Gruppe diente. Er stellte sich sogar entschiedener als Pete und John hinter den neuen Schlagzeuger und teilte jedem Journalisten mit: „Kenney ist jetzt ein Teil von uns, und wenn einer von euch sagt, dass wir ohne Keith nicht mehr dieselben sind, werde ich ihm persönlich die Beine brechen.“ Rogers vollmundige Kampfansage konnte freilich nicht über die Tatsache hinweg täuschen, dass The Who, abgesehen von ihm selbst, gar nicht mehr dieselben sein wollten.
„Ehrlich gestanden öffnete uns Keiths Tod ja eine Menge Türen“, befand Pete. „Kenney spielt nicht nur ganz anders als Keith – er ist auch ein viel bodenständigerer Drummer, der einer Band Rückhalt gibt. Er ist eine vollkommen andere Persönlichkeit. Keith war ein unglaublich positiver Musiker und Interpret, aber persönlich eine Bestie an Negativität. Er brauchte dich für seine Selbstdarstellung, auf und neben der Bühne. Kenney ist ein sehr viel positiverer Mensch; er passt auch gut zu den anderen Jungs in der Band.“
Kurz nach der Zusage von Kenney Jones hatten die Who auch den bereits vertrauten Keyboarder John „Rabbit“ Bundrick in die Ramport Studios eingeladen. „Ich denke, das war nur eine Art Vorwand, damit sie testen konnten, was ich im Studio drauf hatte“, erzählt der 1946 in Texas geborene Tastenspieler, der hauptsächlich mit dem Trio Free bekannt geworden war und den Spitznamen seinen prominenten Schneidezähnen verdankte:
„Wir arbeiteten vom 6. bis 10. November miteinander, und am letzten Tag bat mich Bill Curbishley zu einem Plausch mit Pete. Sie fragten mich offiziell, ob ich bei den Who mitmachen wollte. Ich sagte, ich müsse mit meiner Band Crawler noch eine Amerikatour machen. Sie akzeptierten meine Verpflichtung und meinten, wenn ich den Job haben wollte, sollte ich nach Abschluss der Tournee nach England zurückkommen und meinen Platz bei ihnen einnehmen. Mann, was für ein Leben! Allerdings wusste ich noch nicht, wie ich das den Jungs von Crawler beibringen sollte. Am 13. brachen wir nach Amerika auf. Nach einem Monat hatte ich immer noch nichts gesagt und stand so unter Druck, dass ich nach unserem letzten Auftritt fast platzte. Ende Dezember 1978 führte uns unser Manager zu einem Abschlussdinner aus. Wir tranken, aßen, redeten, und die anderen machten Pläne, wie es weitergehen sollte. An mir lief alles vorbei. Sie fragten mich, was los sei, und plötzlich explodierte ich wie ein Vulkan: ‚Okay, Jungs, das war’s. Ich steig’ aus, ich bin