Black or White. Hanspeter Künzler

Black or White - Hanspeter Künzler


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Discografie

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      25. Juni 2009, auf einer Bank vor der Xenix-Bar in Zürich. Ein lauer Abend, man denkt sich nichts Böses, labt sich am Bier und plaudert mit Kumpel Rogenmoser. Etwa eine halbe Stunde ist verstrichen seit Mitternacht, da gesellt sich ein junger Mann zu uns, der ein bisschen ausschaut wie Pete Doherty. Während dieser so über dies und das redet mit dem Kumpel, fällt mir auf, dass auf seinem weißen T-Shirt mit Kugelschreiber ein paar Worte hingekritzelt stehen. Ich beuge mich vor und lese: „Michael Jackson, der King of Pop, ist tot“. Erste Reaktion: schlechter Scherz! Der junge Herr beteuert, es sei keiner. Rundum zücken nun alle ihre Blackberrys und Handys – und, verdammt noch mal – die Meldung wird von den seriösen News-Sites tatsächlich bestätigt. Wir stehen alle unter Schock. Sind auf der Stelle wieder nüchtern. Es ist ohne jeden Zweifel ein Schreckensmoment, an den man sich bis ans eigene Ende erinnern wird. Es folgt eine schlaflose Nacht.

      Mit dem Tod Michael Jacksons ist eine Epoche zu Ende gegangen. Das umjubelte Wunderkind der späten 60er Jahre wandelte sich in den 80er Jahren zur Ikone. Wie kein anderer Künstler verkörperte er den hedonistischen (bezeichnenderweise beschränkte sich die Genusssucht in seinem Fall auf die Anschaffung von Luxusgütern) und ehrgeizigen Lebensgeist der 80er Jahre, der durch das Auftreten von AIDS gleichzeitig eine große Angst zu verarbeiten hatte. Gerade dadurch, dass er sich so total den Werten der 80er Jahre verschrieb, verurteilte er sich selber zum Scheitern. Er zerbrach am selbstauferlegten Druck, den Fans eine immer noch spektakulärere Show zu bieten, mit dem neuesten Album noch mehr Menschen anzusprechen als mit dem letzten. Am 25. Juni 2009 um 14.26 Uhr Ortszeit in Los Angeles hielt das überstrapazierte Herz Michael Jacksons diesem Druck nicht mehr stand. Sein Leibarzt bemühte sich vergeblich, ihn zu retten. Er stand zu der Zeit mitten in den letzten Vorbereitungen für die gewaltige Comeback-Show, die er vom 14. Juli an fünfzig Mal in der Londoner O2-Arena aufführen wollte. Es wären, abgesehen von gelegentlichen Auftritten bei Benefizkonzerten, seine ersten abendfüllenden Konzerte gewesen seit der History-Tour von 1996/97. Von dieser Warte aus betrachtet nimmt sein kurzer Auftritt am 5. März in London, bei dem ich dabei war, eine ganz andere Bedeutung an. Man weiß jetzt, dass es sein letzter Auftritt vor Publikum war. Er wirkte damals fast schon sportlich, so geschmeidig hüpfte er auf die Bühne. Seine Stimme war fest und eine Spur tiefer, als man sie vielleicht in Erinnerung hatte. Aber im Nachhinein tragen die so frohen Worte, mit denen er vorerst zehn Comeback-Konzerte ankündigte, einen unheilvollen prophetischen Unterton …

      Michael Jackson während der Pressekonferenz in der O2-Arena, London, am 5. März 2009.

      © Steve Gilett/LIVEPIX/Dalle APRF/picturedesk.com

      Die Einladung klingt reizvoll. „KING OF POP MICHAEL JACKSON TO MAKE A SPECIAL ANNOUNCEMENT IN LONDON AT THE O2“, heißt es in der E-Mail mit lauter Großbuchstaben. Wann: Donnerstag, 5. März 2009. Wo: The O2, Grand Concourse, Peninsula Square, London SE10 ODX. Die Fotografen hätten sich um 13 Uhr einzufinden, die restlichen Medien um 14 Uhr, mit dem „Announcement“ gehe es pünktlich um 16 Uhr los. Und siehe da, zu Hunderten erscheinen die Vertreter der Weltmedien. Zuerst stehen sie in der beißenden Kälte Schlange vor der Dame mit der Namensliste. Danach stehen sie Schlange vor der Dame, die ihnen einen Plastikstreifen ums Handgelenk heftet, der je nach Farbe Zugang zu den verschiedenen Lounges, „Kommunikationszentren“ und Radio- und TV-Absperrungen gewährt. Zuletzt stehen sie Schlange vor der Röntgenanlage für die Taschen, gefolgt vom persönlichen Security-Check. Ein Heer von bis an die Zähne mit Clipboards und Handys bewaffneten PR-Damen sorgt dafür, dass sich in den labyrinthartigen Gängen der Halle niemand verirren kann, selbst wenn er dies im Dienste seiner professionellen Schnüffelnase gern tun möchte. Keine der PR-Damen scheint allerdings so richtig zu wissen, was als nächstes passieren soll. Wird der King of Pop eine Ansprache halten? Wird er gar Fragen beantworten? Was wird überhaupt er noch zu erzählen haben? Die großen News waren ja schon am Morgen in der Boulevardpresse nachzulesen. Nämlich: Michael Jackson will endlich wieder Konzerte geben. Angefangen am 8. Juli, sollen es zehn Auftritte werden, hier in der O2-Halle. Das ist eine verblüffende und sensationelle Nachricht. Denn abgesehen von einer Handvoll von Charity-Shows um die Jahrtausendwende herum sowie einem desaströsen Mini-Auftritt im November 2006 bei den World Music Awards in London hat man den Superstar seit der „History“-Tour von 1996/97 nie mehr live erlebt. Und hatte es nicht erst vor ein paar Monaten noch geheißen, sein Gesundheitszustand sei so fragil, dass er sich kaum noch aus dem Haus traue? Punkt 16 Uhr holen uns die PR-Damen in der Lounge ab. Genau in dem Moment, als uns die BBC live vom Hyde Park Corner informiert, dass Jackson soeben sein Hotel verlassen habe, um einen Mini-Bus zu besteigen, kommen wir im Foyer des O2-Zentrums an. Dort sind nebst einer Bühne, die von einer gewaltigen Videowand umrahmt ist, mehrere Gehege für die diversen Kategorien von Journalisten eingerichtet worden. An die tausend Fans haben sich ebenfalls eingefunden. Sie singen, johlen, jubeln, werfen sich fürs Souvenir-Foto in Pose und spüren offensichtlich nichts von der sibirischen Kälte. Im Auto von Knightsbridge in die Docklands – beim spätnachmittäglichen Stoßverkehr kann das gut und gern seine zwei Stunden dauern! Warum müssen Popstars immer zu spät sein? Die Fotografen sind bereits ganz schön grummelig. Seit drei Stunden stehen sie auf einer winzigen Tribüne hinter ihren Stativen. Es ist so eng, dass sie kaum die Schultern bewegen können. Und weil sie alle auf einem Haufen hocken, werden sie nachher auch noch alle den gleichen Shot haben. Michael Jackson. Wird er ein neues Album ankündigen? Vielleicht gar den Rücktritt? Wird er im Pyjama auftreten und ein taufrisches Baby genannt Blanket II. über dem Bühnenrand zappeln lassen? Wird er überhaupt erscheinen?

      So oder so, die Massenversammlung von Fans, Reportern und sonstigen Schlachtenbummlern beweist eindrücklich, dass Jackson auch heute noch „News“ ist. Heute – das heißt: etwas weniger als acht Jahre seit seinem letzten Studioalbum „Invincible“ und gute fünf Jahre seit dem bescheidenen letzten Hit mit der R. Kelly-Komposition „One More Chance“. Andererseits sind auch bereits wieder vier Jahre verstrichen seit dem Schauprozess von Santa Maria, wo Jackson unter Anklage stand, Unzucht mit einem Kind begangen zu haben. 2 200 akkreditierte Journalisten prophezeiten damals zuversichtlich einen Schuldspruch und damit das supernovahafte Verglühen des größten Superstars aller Zeiten. Aber Jackson wurde vom Geschworenengericht in allen Punkten freigesprochen. Seither hat er ein für seine Verhältnisse diskretes Leben geführt – ein Nomadenleben. Ein paar Monate wohnte er in Bahrain, ein paar in Dubai, ein paar weitere in Irland. Er trug sich mit dem Gedanken, ein Haus in der Schweiz zu kaufen, ging dann aber doch lieber nach Las Vegas. Im Juli 2008 machte ein Foto die Runde, das ihn im Pyjama und Pantoffeln zeigte, wie er im Rollstuhl durch die Straßen der Casino-Metropole gestoßen wurde. Bei dem Anblick konnte man die brutale Schlagzeile der britischen Boulevardzeitung The Sun nachvollziehen: „Demise of the King of Pop“ stand da geschrieben. Dann und wann hörte man indessen auch Gerüchte anderer Art. Jackson plane ein neues Album, hieß es. Nebst Akon und Will.i.am bestätigte auch Ne-Yo, dass er Jackson neue Songs auf den Leib geschrieben habe. Die Frage, was aus diesen Liedern werden sollte, wusste allerdings niemand zu beantworten.

      Eine Stunde und fünfundvierzig Minuten dauert das Warten. Pech für die Medienvertreter, welche sich vorher allzu oft bei den Freidrinks bedient haben: Wer die Toiletten aufsucht, wird nicht wieder eingelassen. Endlich Bewegung auf der Bühne. „Ready for this? You have waited long enough!“, hebt Big Brother-Moderator Dermot O’Leary an. „750 Millionen verkaufte Alben, 13 Grammys. London heißt ihn willkommen, den King of Pop, Mister Michael Jackson!“ Auf der Videowand sehen wir, wie ein Mini-Bus vor dem O2-Center anhält.


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