Black or White. Hanspeter Künzler

Black or White - Hanspeter Künzler


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Dream“ auch für Schwarze eintreten konnte.

      Den Herbst 1968 verbrachte die Jackson 5 im Motown-Studio in Detroit. An der Seite ihres Entdeckers Bobby Taylor, der als Produzent agierte, nahmen sie die ersten Songs unter dem Banner von Motown auf. Während einer sensationellen Woche im Dezember belegten nicht weniger als fünf Motown-Singles einen Platz in den amerikanischen Pop-Top 10: An der Spitze stand Marvin Gaye mit seiner Version von „I Heard It Through The Grapevine“. Es folgten auf Platz 2 Stevie Wonder mit „For Once in My Life“, auf Platz 3 Diana Ross & The Supremes mit „Love Child“, auf Platz 7 Diana Ross & The Supremes and the Temptations mit „I’m Gonna Make You Love“, und auf Platz 10 The Temptations mit „Cloud Nine“.

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      Sidney und Harold Noveck waren die pedantischsten Buchhalter weit und breit. Berry Gordy Jr. war mit ihnen vollkommen einig: Es war wichtig, dass für den Fall eines Disputes oder eines Problems mit den Steuerbehörden jede Ausgabe, jede Einnahme und jeder Spesenabzug haargenau belegt war und erklärt werden konnte. Tatsächlich bekam Motown in der Folge und im krassen Gegensatz zu vielen Konkurrenzfirmen nie Probleme mit dem Fiskus. Die Bücher hielten jeder noch so genauen Untersuchung stand. Wenn dann und wann ein Künstler glaubte, ihn wegen unbezahlter Tantiemen vor Gericht zerren zu können, erlebte dieser zumeist sein blaues Wunder. Martha Reeves zum Beispiel: 1969 verlangte sie Einblick in die Bücher der Plattenfirma und glaubte, sie sei von dieser um einen beträchtlichen Tantiemenbetrag geprellt worden.

      Motown reichte Gegenklage ein, und es stellte sich heraus, dass Reeves keineswegs etwas guthatte, sondern dass sie im Gegenteil Motown $ 200 000 schuldete. Gordy hatte durchaus seine Methoden, wie er geschäftliche Vorgänge zu seinem Vorteil drehte. In dieses Kapitel gehört die bereits erwähnte Tatsache, dass der Name von Smokey Robinson als Ko-Komponist einfach vergessen wurde, als es darum ging, die Etiketten für dessen erste Single „Got a Job“ in den Druck zu geben (sowieso, hätte der Song jemals den Weg auf eine Platte gefunden ohne Berry Gordy?, fragte dieser mit Unschuldsmiene. Eben!). Dazu gehörte es auch, dass er nach dem ersten kleinen Erfolg Motowns und des damit verbundenen Musikverlags Jobete seine gerade hochschwangere Lebenspartnerin Raynoma als Fifty-fifty-Partnerin aus dem Handelsregister streichen ließ (es sehe sonst allzu sehr wie eine amateurhafte Mama-und-Papa-Organisation aus, argumentierte er). Raynoma revanchierte sich später übrigens, als sie den New Yorker Ableger von Jobete/Motown führte, indem sie insgeheim erhebliche Mengen von Motown-Produkten in den Schwarzmarkt umleitete. Als die Sache aufflog, ließ Gordy sie im Gefängnis schmoren, dann stellte er sie vor die Wahl: entweder werde er Anklage erheben, oder sie willige ein, alle ihre Interessen an der Firma bedingungslos aufzugeben. Die Episode führte dazu, dass sich Gerüchte, wonach Motown Verbindungen zur Mafia pflege, hartnäckig hielten.

      Ein anderer Trick von Berry Gordy Jr. bestand darin, dass Künstler angehalten wurden, den Vertrag, der ihnen im Motown-Büro zur Unterschrift vorgelegt wurde, nicht zur genaueren Prüfung mit nach Hause zu nehmen, geschweige denn ihn einem eigenen Rechtsanwalt vorzulegen. Wenn man Motown nicht vertraue, könne man genauso gut anderswohin gehen. Der Vertrag, den Joseph Jackson im Namen seiner Boys unterschrieb, ohne ihn offenbar genauer durchgelesen zu haben (er hätte allein schon merken müssen, dass ihm darin Schlagzeuger Johnny Porter Jackson als Sohn untergejubelt wurde) war ein Standard-Vertrag im Motown-Stil. Das heißt, er war nicht gerade zu Gunsten der Künstler abgefasst.

      Gemäß Vertrag betrugen die Tantiemen, welche die Jackson 5 für jede verkaufte Platte – Single oder LP – bekamen, 6% von 90% des Großhandelspreises (abzüglich Steuern und Verpackung). Wenn der Betrag auf die fünf Bandmitglieder verteilt wurde, blieben pro Nase und verkauftem Album noch zwei Cent. Gemäß Vertrag wurden die Kosten für Aufnahmesessions, inklusive Studiomusiker und Arrangeure, von Motown getragen – aber nur fürs Erste: Später wurden sie von den Tantiemen für die verkauften Platten abgezogen. Die Entscheidung, welche Songs die Jackson 5 einzuspielen hatten, lag ganz bei der Plattenfirma – und sie entschied auch darüber, ob die Resultate tatsächlich veröffentlicht wurden. Das bedeutete, dass der Künstler letztlich für alle Aufnahmen und Studiosessions aufkommen musste, auch die, die zu keiner Plattenveröffentlichung geführt hatten (das Geld floss in die Tasche von Motown, denn das Studio und alles Drumherum gehörte ja auch zum Betrieb). Der Vertrag hielt weiter fest, dass die Jacksons alle Rechte an den Namen Jackson 5 und Jackson Five an Motown abtraten. Motown hatte das Recht, jedes Mitglied der Jackson 5 nach Belieben auszuwechseln. Sollte einer der Boys die Gruppe verlassen (oder von Motown hinausgeworfen werden), durfte er den Namen seiner Ex-Gruppe in keinem zukünftigen PR-Text erwähnen. Selbst der scheinbare Erfolg Josephs, Gordy dazu zu überreden, die Vertragsdauer von sieben auf ein Jahr zu reduzieren, entpuppte sich als Pyrrhus-Sieg. Anderswo im Vertrag stand nämlich auch, dass die Band nach dem Ende ihres Motown-Vertrages fünf Jahre absitzen musste, ehe sie Platten unter einem anderen Label veröffentlichen durfte. Aber die Jacksons waren in der gleichen Lage wie tausend andere junge Bands vor ihnen und nach ihnen: In ihrer Begeisterung, der Erfüllung ihrer Träume durch die Unterschrift auf einem Plattenvertrag einen Schritt näher kommen zu können, wären sie nie auf die Idee gekommen, ihr Glück mit kritischen Fragen zu gefährden.

      Auch wenn die Jacksons die wahre Tragweite ihres Motown-Vertrages noch längere Zeit nicht zu spüren bekommen würden, waren die ersten Monate in der Obhut der Firma nicht nur aufregend, sondern auch frustrierend. Zum einen verzögerte sich das Inkrafttreten des Vertrages um Monate, weil es sich herausstellte, dass Joseph „vergessen“ hatte, dass seine Sprösslinge eigentlich schon bei Steeltown Records unter Vertrag standen. Zum anderen verbrachte die Band zwar die meiste Zeit im Studio in Detroit, aber keiner der Songs, die sie mit Bobby Taylor einspielte, drängte sich als Single auf. Und ohne hitverdächtige Single wollte Gordy natürlich keine neue Band lancieren. Außerdem rumorte es auch hinter den Kulissen von Motown.

      Im August 1968 entschied sich Gordy plötzlich, samt seinen Kindern – Hazel, Berry IV, Terry – nach Los Angeles zu ziehen, wo er einige Jahre zuvor schon den West Coast-Ableger von Motown eingerichtet hatte. Zwei Jahre vorher hatte er beteuert, sein Herz und seine Seele lägen in Detroit, aber bereits im Oktober zog er in ein hochmodernes Nobelhaus in den Hollywood Hills ein, ganz in der Nähe seiner Geliebten Diana Ross. Jetzt, da er mit Motown alle seine musikalischen – und finanziellen – Ziele erreicht hatte, suchte er im Filmgeschäft eine neue Herausforderung, zumal auch Diana Ross glaubte, das Zeug zur Zelluloid-Heldin zu haben. Bald darauf verlegte Gordy auch den Hauptsitz Motowns an den Sunset Boulevard. Im Staub und in der Kälte Detroits blieb nur eine Rumpforganisation zurück. Allerhand altgestandene Motown-Größen wie Smokey Robinson und The Four Tops hielten den Schritt für einen Fehler. Die Jacksons bangten um ihre Zukunft, ehe sie richtig begonnen hatte.

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