Depeche Mode - Die Biografie. Steve Malins

Depeche Mode - Die Biografie - Steve  Malins


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Image zu vermitteln, meist misslang es ihm schmählich, aber das war ihm völlig egal. Und weil er ein richtiger Popstar war, konnte er dem Versagen sogar Glanz verleihen. Das Video zum Song ‚Bedsitter‘ kombinierte Bilder von zerknitterten Klamotten auf dem Fußboden, Schalen mit Cornflakes und schmutzigen Teetassen mit der romantischen Vorstellung, zum Tanzen auszugehen und alles andere zu vergessen: Die Wirklichkeit einer einsamen und schmuddeligen Jugend und der Mythos der Clubszene verbanden sich, sodass es wie ein leicht erreichbarer Traum wirkte.“

      Die niedliche, jugendliche Perversität von Soft Cell, die smarte Aufnahme von zwei ganz normalen Sheffield-Mädels als Backgroundsängerinnen bei Human League, Strickpullis und ernste Stimmen von OMD und der engelhafte Synthie-Pop von Depeche Mode, das alles stand in einem krassen Gegensatz zu den hochnäsigen und anspruchsvollen New Romantics – angefangen von Steve Stranges Spruch, er habe schon immer „anders und Avantgarde“ sein wollen, bis zum „Bonmot“ von Simon Le Bon von Duran Duran, das Beste am Berühmtsein sei doch, dass man „vierundzwanzig Stunden am Tag Räucherlachs essen“ könne.

      Die vom Pop angetriebene Atmosphäre war ideal für die ganz normalen Teenagerambitionen von Depeche Mode. Im Juni 1981 spielten sie ihre nächste Single ein, „Just Can’t Get Enough“, ein neuer ansteckender Ohrwurm. Es gab dabei eine Verzögerung, weil sie vergessen hatten, vor der Aufnahme ihre Instrumente zu stimmen, und erst später merkten, dass auf dem Tape nichts richtig zueinanderpasste. Aber das schadete nichts, denn solange „New Life“ noch in den Charts war, mussten sie ohnehin noch bis zum Herbst warten, ehe sie die neue Single herausbringen konnten.

      Als das neue Stück fertig war, brach die Gruppe zu einer kurzen Tournee auf, um in Clubs in Brighton, Manchester, Leeds und Edinburgh zu spielen, wo ihr Publikum aus einer Mischung von New Romantics und ein paar Pop-fans bestand. Daryl Bamonte erinnert sich: „Erst als ihr Album Speak And Spell herauskam, hatten sie ein regelrechtes Teenagerpublikum. 1981 galten sie noch als ziemlich hip. Daniel Miller übernahm weitere Jobs bei Depeche Mode: Nun war er nicht nur Chef der Plattenfirma, A&R-Mann, Produzent und Freund – er ging auch mit ihnen auf Tournee. „Damals war ich auch Fahrer, Tour­manager und Toningenieur.“

      Im August kam der NME mit einem Titelbild von Depeche Mode, fotogra­fiert von Anton Corbijn, heraus, auf dem Dave Gahan verschwommen und die anderen hinter ihm scharf zu sehen waren. „Ich war sehr enttäuscht“, sagt Gahan. „Ich stand zwar ganz vorn, aber nur unscharf. Das fand ich ziemlich gemein. Ich war ganz außer mir wegen des Fotos. Ich weiß noch, dass ich dachte: ‚So ein Bastard! Hat mich extra undeutlich geknipst!‘“ Das Interview im Blatt hatte Paul Morley geführt. Er zeichnete die Band positiv als intellektuelle Note des New-Pop-Phänomens, wobei er allerdings Vince Clarke, der nicht dabei war, als „deprimiert“ bezeichnete. Der stille und etwas seltsame Songwriter der Band äußerte sich damals nicht dazu, aber später gestand er, dass er sich durch die Routine einer erfolgreichen Popband eingeengt fühlte. „So, wie das Ganze lief, führte es dazu, dass ich meinen Enthusiasmus verlor. Es war wie eine Fließbandproduktion geworden, und das gefiel mir gar nicht. Die Technik und unser Spiel waren zwar viel besser, aber trotzdem war ich nicht zufrieden und fand, dass uns viele Dinge am Experimentieren hinderten. Wir hatten zu viel zu tun, jeden Tag gab es irgendwas Neues, Wichtiges, sodass wir keine Zeit mehr hatten, einfach rumzuspielen.“

      Die Jungs aus Basildon standen jetzt an einem gefährlichen Punkt ihrer Karriere, denn die gesamte Musikindustrie behandelte sie wie nette kleine Spinner und ihre Musik wie eine Marotte. Ihr Radiopromoter Neil Ferris war zwar ungeheuer erfolgreich, indem er der Band tagsüber zu immer mehr Airplay verhalf, aber er hatte kein Interesse daran, der Gruppe mehr Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Die Musikpresse freute sich über ihre unschuldige Naivität, die natürlich nur sehr kurzlebig sein konnte, und Daniel Miller war entschlossen, zu beweisen, dass Mute eine Popband unter Vertrag haben konnten, die ständig Hits herausbrachte. „Vielleicht haben sie damals zu viel mit der Presse und dem Fernsehen gemacht“, räumt der Mute-Chef ein, „aber das lässt sich nur schwer entscheiden. Mute waren ein junges Label, und sie waren noch Teenager. Unglücklicherweise wurde ihnen damals der Stempel des Teeniepop aufgedrückt, ein Image, das sie in Großbritannien nie ganz abschütteln konnten.“

      Am 7. September kam die dritte Single, „Just Can’t Get Enough“, heraus und landete auf dem bislang höchsten Platz in den Charts – auf 8. Der ultrapoppige Song, von der Band und Daniel Miller in hellen und vielschichtigen Analogsounds ausgearbeitet, war immer ein Favorit der Fans gewesen. Das Urteil der Kritiker fiel unterschiedlich aus. Manche fanden, dass die Singles von Depeche Mode mit der Zeit allzu übermütig und kindhaft wurden. Der Record Mirror brachte die negativen Urteile über „Just Can’t Get Enough“ auf den Punkt: „Höchst vergnüglich, lustig und frisch – und fast schon ärgerlich.“

      Am 19. September spielten Depeche Mode im Londoner Venue ein Bene­fizkonzert für amnesty international, danach brach man zur ersten Tournee auf dem Kontinent auf. Es war nur eine kurze Tour mit vier Auftritten in Hamburg, Amsterdam, Brüssel und Paris. Die europäische Presse steckte sie wegen ihrer Rüschenhemden und ihres Make-ups in die Schublade der New Romantics. Gahan erinnert sich: „Wir haben so an die dreißig Interviews gegeben, und jedes Mal wurden wir gefragt, ob wir Blitz Kids seien, und dann druckten sie unsere Dementis gleich neben den schlimmen Fotos ab, die uns in Rüschenhemden und mit Lidschatten zeigten.“ Die wichtigste Entwicklung während dieser Auslandsreise war aber, wie sich Daniel Miller entsinnt, „eine beginnende Entfremdung zwischen Vince Clarke und dem Rest der Band. Es wurde so schlimm, dass sie nicht einmal mehr miteinander sprachen.“

      Clarke hatte die alltägliche Promotionroutine so satt, dass er dem ganzen Rummel geradezu feindselig gegenüberstand. Er kam sich so sehr in die Ecke gedrängt und überflüssig bei alledem vor, dass er sich sogar von seinen Freunden zurückzog. So war es keineswegs mehr eine Überraschung für die anderen, als er ihnen ankündigte, er wolle sich von ihnen trennen. „Sie hatten es erwartet“, sagt Clarke. „Ich war damals sehr deprimiert, und daher ahnten sie schon, wie ich mich entscheiden würde. Aber ich teilte es dennoch jedem Einzelnen von ihnen mit.“

      Daryl Bamonte erinnert sich noch genau, dass der eigensinnige, stille Songwriter der Band ihm am ersten Tag der beginnenden Großbritannientour seine Entscheidung mitteilte. „Ich glaube, niemand war überrascht, dass Vince gehen wollte“, sagt Bamonte. „Vince war schon seit mehreren Monaten eigentümlich schweigsam geworden, ehe er sich entschloss, der Gruppe den Rücken zu kehren. Das Magazin Smash Hits wollte damals eine Flexidisc mit Depeche Mode beilegen, und weil Andy und Martin gerade auf Urlaub waren, machte Vince die Aufnahme dafür nur mit Dave als Sänger. Fletch meinte dann: ‚Ich glaube, Vince braucht uns gar nicht.‘ Vince machte einfach lieber alles allein, während die anderen sich als Teil einer Gruppe verstanden. Vince ist nun mal sehr unzugänglich. Seltsamerweise hatte man früher immer die drei anderen Mitglieder von Composition of Sound für verschlossen und unzugänglich gehalten.“

      Andrew Fletcher blickt zurück: „Vince war für das gesamte Konzept der Band wichtig. Ohne ihn hätten wir gar nicht gewusst, wohin unser Weg ging. Er war der Motor. Es mag seltsam scheinen, aber ich glaube nicht, dass er seinen Abgang jemals bereut hat. Wahrscheinlich war er überzeugt, dass er alles allein machen konnte, und irgendwie stimmte das ja auch.“

      Daniel Miller betont, dass beim Abschied von Vince Clarke niemand daran dachte, die Band aufzulösen: „Jeder wusste, dass Martin ein guter Songwriter war. Selbst zu den Stücken von Vince waren ihm noch gute Melodien eingefallen. Sie hatten alle gerade erst ihre Jobs aufgegeben und zwei Hitsingles – also war es klar, dass sie nicht daran dachten, aufzugeben. Martin schrieb fortan die Songs, und Fletch übernahm viele andere Aufgaben von Vince – vor allem die organisatorische Seite. Man darf nicht vergessen, dass sie bei Mute waren, wo wir nur drei oder vier Bands hatten. Sie waren für uns wirklich sehr wichtig. Und sie wussten genau, was sie wollten, und vor allem wollten sie auch ohne Vince durchhalten.“

      Die Entschlossenheit von Miller und Depeche Mode, weiterzumachen, obwohl der Musiker wegging, der doch alle Hits geschrieben hatte, war schon erstaunlich. Der Britpop erlebte damals eine Phase schärfster Konkurrenz, als aufsehenerregende neue Bands beinahe allwöchentlich ihren Durchbruch schafften, Gruppen wie Teardrop Explodes, ABC, Culture Club, The Associates, Simple Minds, Japan, The Cure, Ultravox,


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