Depeche Mode - Die Biografie. Steve Malins

Depeche Mode - Die Biografie - Steve  Malins


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zu Beginn, nachdem er oft genug die schauerlich kitschigen Songs „Boys Say Go!“ oder „What’s Your Name?“ gehört hatte: „Bestimmte Tracks aus Speak And Spell sind mir heute peinlich, obwohl ich die Platte damals großartig fand.“

      Im Dezember 1981 gaben Mute offiziell bekannt, dass Clarke die Band verlassen habe. Nach der Tour wurde die Stimmung erst richtig schlimm, angeheizt durch die aggressiven und ehrgeizigen Veranlagungen von Gahan und Fletcher. „Die Trennung war alles andere als freundschaftlich“, sagt der hyperaktive, emotionale Gahan. „Auf beiden Seiten herrschten recht böse Gefühle. Es dauerte fast ein Jahr, ehe sich das legte, aber bis dahin war es ziemlich bissig.“

      Zur gleichen Zeit schaltete die Gruppe eine Anzeige im Melody Maker: „Bekannte Band sucht Synthesizerspieler unter einundzwanzig Jahren.“ Ihre erste USA-Tournee war für den Januar 1982 gebucht, weil die Single „Just Can’t Get Enough“ in den US-Clubs so erfolgreich war, und dafür brauchte die Band jemanden, der die Melodien von Clarke live spielte. Depeche Mode wollten nicht etwa einen ständigen Ersatz für den abtrünnigen Songwriter einstellen. Unter den Keyboardern, die zum Vorspielen kamen, war auch der zweiundzwanzigjährige Alan Wilder aus Hammersmith, Westlondon.

      Wilder, am 1. Juni 1959 geboren, war älter als die Mitglieder von Depeche Mode, und er stammte außerdem aus einer liberaleren Mittelschichtfamilie. „Die Jugend von Hammersmith ist nicht so rebellisch wie die Teenager von Basildon, obwohl meine Eltern weder reich noch arm waren. In der Schule hielt ich mich meist sehr im Hintergrund. Das Einzige, was mich interessierte, waren Musik und Sprachen.“ Als Wilder mit elf Jahren auf die Saint Clement’s Danes Grammar School kam, spielte er bereits Klavier und Flöte, und so wurde er bald Mitglied des Schulorchesters und einer Blaskapelle.

      „Meine Eltern wollten, dass ihre Kinder musikalisch erzogen werden“, erzählt Wilder. „Einer meiner Brüder ist Pianist und begleitet alle möglichen Sänger, der andere gibt Musikunterricht in Finnland. Nachdem ich 1975 die Schule verlassen hatte, war ich die ganze Zeit arbeitslos gewesen. Meine Eltern rieten mir, mich bei Tonstudios zu bewerben. Ich wurde, glaube ich, rund vierzigmal abgewiesen. Schließlich wurde ich zum Teekochen in den DJM-Studios im Londoner West End angestellt, wo ich meinen damaligen Idolen, den Rubettes, begegnete. Außerdem spielte ich in einer kleinen Soft-Rock-Band mit, die sich The Dragons nannte. Dann zog ich nach Bristol, um mehr Gelegenheit zum Üben zu haben. Danach spielte ich in mehreren Jazz- und Bluesbands mit, darunter auch in einer Pub-Band namens Real To Real.“ Für kurze Zeit spielte Wilder in der New-Wave-Band Daphne and The Tenderspots, die eine Single, „Disco Hell“, herausbrachte und wo er sich Alan Normal nannte. Später schloss er sich den Hitmen an, deren Sänger Ben Watkins Juno Reactor gründete. Er spielte bei einigen Liveauftritten mit und entdeckte dann die Anzeige im Melody Maker.

      Der witzige, schlagfertige Wilder erinnert sich: „Bevor ich zu Depeche Mode kam, hatte ich, ehrlich gesagt, keine Ahnung von elektronischer Musik. Zum Vorspielen hatten sich fast nur Fans der Band eingefunden, und ich glaube, es gefiel Dave, Andrew und Martin einfach, dass ich im Gegensatz zu denen ziemlich unbeeindruckt blieb. Außerdem konnte ich gleich von Anfang an bei ihnen problemlos mitspielen. Was mir noch auffiel bei dieser ersten Probe: Sie hatten alle Pullover der britischen Warenhauskette Marks & Spencer an und waren unglaublich schüchtern. Das ist Martin zwar immer noch, aber damals war seine Schüchternheit fast unerträglich. Man kam sich bei ihm richtig beklommen vor, eben weil er selbst so verklemmt war.“

      Die Probe war für Alan Wilder gar nicht so einfach, wie sich das vielleicht im Nachhinein anhört: „Ich komme ja eher aus einer Mittelschichtfamilie, doch die anderen waren typische Bengel aus der Arbeiterklasse. Musikalisch fand ich ihre Klänge ein bisschen naiv, aber trotzdem nicht uninteressant. Außerdem war ich damals in einer so verzweifelten Lage, dass ich einfach jeden Gig zum Mitspielen angenommen hätte.“

      Wilder fiel auch damals schon die Rolle von Daniel Miller als Inspirator und Mentor auf: „Daniel war damals sehr sorgfältig bei jeder Entscheidung, die mit Depeche Mode zu tun hatte. Ich musste mich vor der Probe zuerst bei Daniel vorstellen; alle mussten das. Er verhörte erst einmal die Leute, danach durften sie zum Vorspielen. Etwa zwanzig Leute spielten vor, danach bat Daniel zwei erneut zur Probe. Ich war einer dieser letzten beiden Aspiranten, und ich war wohl kaum nach Daniels Geschmack. Der andere hatte zwei Songs, die Daniel gefielen, und ich glaube, seiner Ansicht nach passte er besser zur Band. Daniel hatte wohl gemerkt, dass ich einen ganz anderen Hintergrund und außerdem eine musikalische Ausbildung hatte. Aber ich glaube, der Band war das ziemlich egal – sie fanden wohl einfach, dass ich die Songs spielen konnte und dar­über hinaus auch noch äußerlich zu ihnen passte, also entschlossen sie sich für mich. Daniel rief mich kurz danach an und sagte mir, dass ich den Job bekäme. Aber er ließ keinen Zweifel daran, dass es nur für diese eine Tournee war.“

      Miller bestätigt: „Ich glaube, ich hätte dem anderen Kandidaten den Vorzug gegeben, aber sie wollten Alan haben. Also gab ich meinen Segen dazu. Es ging ja auch nur darum, einen Livemusiker zu haben, und nicht etwa ein ständiges neues Bandmitglied einzustellen. Alan fühlte sich wohl ziemlich über­legen, denn er konnte ihre Songs einhändig spielen. Aber es klappte eben gut, und man brauchte ihm nichts beizubringen.“

      „Als ich zu Depeche Mode kam, gefiel mir ihre Musik überhaupt nicht“, gesteht Wilder. „Martin, Dave und Andy waren aber nette Kerle, und so beschloss ich, ein paar Monate bei ihnen mitzumachen. Ich habe das nie bereut“, sagt er ganz ernst.

      Ende 1981 gingen die drei Gründungsmitglieder – ohne Clarke und Wilder – wieder ins Blackwing-Studio, um eine neue Single einzuspielen, „See You“. Daniel Miller erzählt: „Es war der erste Track, den wir ohne Vince aufnahmen. Martin hatte sich den Song ausgedacht, und der war ganz einfach: nur eine Melodie auf dem Casio, und Martin tappte dazu den Beat mit dem Fuß. Der Song war insoweit bereit, aber es war nicht zu erkennen, in welche Richtung Arrangement und Sound gehen sollten. Es war ganz anders als mit Vince, der ja immer genau wusste, was er wollte, aber die Atmosphäre im Studio war dennoch recht hoffnungsvoll und positiv. Keiner hatte irgendwelche Zweifel, dass es weitergehen würde.“

      — 3 —

      Leave In Silence

      1982

      Alan Wilder spielte seinen ersten Gig mit Depeche Mode im Januar 1982 im Crocs in Rayleigh, kurz bevor die Band zu ihrer US-Tournee aufbrach. „Daryl Bamonte war immer dabei“, erzählt der Keyboardspieler, „seit die Band in ihren frühen Tagen im Crocs in Hausschuhen und mit gepuderten Haaren aufgetreten war. Und er sah immer noch so aus, als sei er gerade zwölf Jahre alt. Damals waren er und Dave einfach unzertrennlich.“

      Inzwischen hatte Daniel Miller amerikanische Visa für die Band beantragt und war dabei auf ein Problem gestoßen – Dave Gahans Jugendstrafregister war es wider Erwarten nicht, aber nun kam heraus, dass Alan Wilder wegen Ladendiebstahl vorbestraft war, wovon er bei seiner Einstellung nichts gesagt hatte. „Als ich siebzehn oder achtzehn war, stahl ich mit meiner Freundin ein paar Lebensmittel, weil wir völlig pleite waren, und dabei wurden wir erwischt“, gestand er zwanzig Jahre später.

      Das Problem ließ sich aber ausräumen, und so spielte die Band am 22. und 23. Januar zwei Gigs im New Yorker Ritz. Beide Auftritte waren gut besucht dank des Underground-Erfolgs von „Just Can’t Get Enough“ und nicht zuletzt auch wegen des Enthusiasmus von Seymour Stein. Speak And Spell kam in den USA offiziell im Frühling 1982 heraus und schaffte es, in den Top 200 auf Platz 192 zu „kriechen“. Das Album erntete jedoch gemischte Kritiken, weil die Amerikaner „Rockdynamik“ vermissten. Die an Kraftwerk erinnernde Kombination von synthetischer Reinheit und eingängigen Popmelodien gefiel zum Beispiel nicht der Trouser Press: „Depeche Mode benutzen kommerzielle Songrezepte mit fast unfehlbarer Präzision. Drei Minuten davon können ganz vergnüglich sein, mehr jedoch zwingt einem die Erkenntnis von deren Begrenztheit auf. Die simple und voraussagbare Tonpalette (nur Synthesizer) erhöht die Schwierigkeiten.“

      Die Gruppe kehrte genau zum Zeitpunkt des Erscheinens ihrer vierten ­Single am 29. Januar 1982 nach England zurück. „Das ist ein richtig schöner, schmusiger Song“, fand Gahan. „Es war das erste rein elektronische Stück.“ Obwohl „See You“ nicht gerade einer ihrer besten Songs


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