Depeche Mode - Die Biografie. Steve Malins

Depeche Mode - Die Biografie - Steve  Malins


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Peter und Philip – nach Basildon: „Sie heiratete erneut, und ich hielt immer meinen Stiefvater für meinen leiblichen Vater. Und der starb, als ich sieben Jahre alt war.“

      Als Gahan zehn war, kam er von der Schule nach Hause und entdeckte „diesen Fremden im Haus meiner Mutter. Sie stellte ihn mir als meinen richtigen Vater vor. Ich weiß noch, dass ich weinend sagte, das sei doch unmöglich, denn mein Vater sei doch tot. Ich war zutiefst empört, und es gab einen riesigen Streit, weil ich fand, man hätte mir die Wahrheit sagen müssen. Erst später wurde mir klar, wie schwer es für Mum gewesen sein musste, uns großzuziehen. Und ich hatte es nur noch bitterer für sie gemacht, indem ich ständig in Schwierigkeiten geriet.“

      Gahan hatte angefangen, die Schule zu schwänzen, und war dreimal vor dem Jugendrichter gelandet: wegen Graffitischmierereien, Vandalismus und Autodiebstahls, wobei die Wagen später ausgebrannt irgendwo aufgefunden wurden. „Ich war ein ganz schön wilder Bengel. Ich genoss die Aufregung beim Klauen eines Wagens, beim Davonrasen und der Verfolgung durch die Polizei. Sich mit hämmerndem Herzen hinter irgendeiner Mauer zu verstecken, das gibt einen richtigen Kick – werden sie mich erwischen? Meine Mutter weinte meinetwegen oft bittere Tränen.“

      Ein frühes Zeichen seiner übertriebenen Aufsässigkeit war seine erste Tätowierung, die er sich mit vierzehn Jahren am Strand von Southend stechen ließ. Das machte „so ’n alter Seebär namens Clive“, der um seinen Hals eine gestrichelte Linie mit den Wörtern „Hier schneiden“ tätowiert hatte. Im krassen Gegensatz zur fleißigen Kirchgängerfraktion von Composition of Sound, hatte Gahan auch schon Drogen ausprobiert, als er noch zur Schule ging. „Ich hatte jede Menge Freunde, mit denen ich je nach Stimmung zusammen sein konnte. Das waren Gewalttätige, Drogensüchtige oder auch einfach nur Mädchen. In der Gang zogen wir los und kauften einen großen Beutel mit Amphetaminen. Dann fuhren wir die Nacht über nach London und landeten bei irgendeiner Party. Danach kriegten wir morgens den ‚Milk Train‘ von der Liverpool Street nach Billericay. Es war ein verdammt langer Weg nach Hause.“

      Gahan behauptet, er habe von den Freundinnen seiner älteren Schwester „ziemlich schnell“ gelernt, was es mit dem Sex auf sich hat, und als er dreizehn Jahre alt war, sei er ein Soulboy gewesen und habe „mit den Typen vom Global Village herumgehangen“, dem Schwulenclub unter dem Londoner Charing-Cross-Bahnhof. Die Schule verließ er im Juli 1978, nachdem er das letzte Schuljahr zum größten Teil geschwänzt hatte. In den folgenden Monaten versuchte sich der rotzfreche Exzentriker in diversen Jobs (er sagt: „so etwa zwanzig“), die alle „danebengingen“: Er füllte Regale in Supermärkten auf, arbeitete auf Baustellen als Hilfsarbeiter und als Packer in der Parfumfabrik Yardley: „Ich brachte gutes Geld nach Hause und gab Mum was davon ab. Dann ging ich runter in den Pub zum Anmachen, um als unternehmungslustiger Knabe mein Vergnügen zu haben.“

      Schließlich wurde ihm klar, „dass ich so keine Karriere machen konnte. Deshalb bemühte ich mich um eine Lehrstelle als Klempner bei den North-­Thames-Gaswerken. Mein Bewährungshelfer riet mir, beim Bewerbungsgespräch ehrlich zu sein und zu sagen, dass ich vorbestraft war, aber dass ich jetzt auf dem rechten Weg sei und all das Blabla. Natürlich bekam ich die Lehrstelle trotzdem nicht. Da bin ich zum Bewährungsbüro gegangen und habe es verwüstet.“

      In seinem letzten Jahr an der Gesamtschule entdeckte Gahan Punk und folgte The Damned und The Clash auf ihren Tourneen. „Eigentlich war ich kein richtiger Fan von The Clash, denn deren erstes Album hatte ich nicht wirklich verstanden. Aber ich ging immer zu ihren Auftritten, weil ich ihre Attitüde und ihre Energie toll fand.“ Seinen Hauptinteressen Punk und Kunst konnte er sich widmen, als er sich im Southend Art College einschreiben ließ, wo er „immer wieder zu Konzerten von Generation X und The Damned ging. Ich besaß echte Sexshopklamotten. Deren Etiketten steckten wir außen dran, und so besuchten wir die verruchten Londoner Clubs wie das Studio 21.“

      Gahan war durchaus nicht der einzige „Alternative“ in Basildon. Weil es dort aber keine florierende Szene gab, gingen Leute wie er nach London oder nach Southend, wo man toleranter war. „John Lydon und George O’Dowd – Boy George – kamen auch immer nach Southend“, erinnert er sich. „George kam als Dressman und klaute auch Sachen, weshalb er einen Haufen Ärger bekam. Das waren extravagante Leute wie Steven Linnard, jetzt ein erfolgreicher Designer, und sie stellten einen gewaltigen Unterschied zu meinen ungehobelten, grobschlächtigen Kumpels in Basildon dar. Sie waren zwar auch Rowdys, aber kunst­beflissen. Irgendwann wurde mir das aber auch langweilig, obwohl es mir eine Zeit lang ziemlich aufregend vorkam. Ich führte ein Doppelleben, mischte mich unter die Kunstschulleute und begab mich dann nach Hause nach Basildon. Dort ging ich auch mit Make-up in den Pub, aber weil ich die dortigen ‚Beer Boys‘, die Spanners, gut kannte, ließ man mich gewähren.“

      Daryl Bamonte, der als Schuljunge in den frühen Achtzigern als eine Art Roadie fungierte, erzählt: „Dave war irgendwie immer wie ein Fisch auf dem Trockenen in Basildon. In den Siebzigerjahren hatte der Ort eine ziemlich wüste Szene. Dave fuhr immer mit dem Zug zu all den Londoner Clubs, und die Kneipe gegenüber vom Bahnhof war der schlimmste Treffpunkt der Schlägertypen. Da stand er dann, ein fünfzehnjähriger Junge mit vollem Make-up. Klar, dass er so gewaltig unter Beschuss geriet. Das dürfte dann wohl seine bleibende Erinnerung an die Menschen in Essex sein, was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass er jetzt in Amerika lebt. Fletch und Martin hingegen waren weitaus unauffälliger. Die gingen oft ins Towngate Theatre, wo die Bar ein bisschen mehr im Bohemestil eingerichtet war, irgendwie hippieorientiert. Leute in Flickenjeans kamen dorthin und spielten auf ihren akustischen Gitarren. Logischerweise sahen Fletch und Martin die Stadt mit ganz anderen Augen als David, der sich immer gegen die Schläger wehren musste.“

      1979 lernte Gahan seine Freundin Joanne bei einem Konzert von The Damned kennen. „Sie gehörte zu den Billericay-Punks“, erinnert er sich. Seltsamerweise waren eine ihrer Lieblingsbands die ursprünglich punkorientierten Tubeway Army, weshalb sie immer zu den Auftritten von Gary Numan in und um London ging. Als sich Numan dann der elektronischen Musik zuwandte, wurde auch Gahan ein Fan, und deshalb fuhr das Paar während Numans großer Tournee Ende 1979 quer durchs Land, um seine Auftritte zu erleben.

      Kurz nachdem Dave Gahan zu Composition of Sound gestoßen war, schlug der modebesessene Sänger als neuen Bandnamen den Titel eines französischen Modemagazins vor: Depeche Mode, was sich frei mit „schnelle Mode“ übersetzen lässt. Clarke räumt ein: „Wir mochten einfach den Klang der beiden Wörter.“ Um noch exotischer und künstlicher zu wirken, sprachen die Bandmitglieder das erste Wort zunächst nicht wie „Dipäsch“, sondern wie „Dipäschej“ aus. Auf den neuen Namen einigten sie sich, wie Freunde der Band behaupten, nachdem Gahan bei sechs oder sieben Gigs mit Composition of Sound musiziert hatte, aber niemand kann sich an das genaue Datum des Namenswechsels erinnern. Sich Depeche Mode zu nennen war schon eine recht seltsame Affektiertheit für eine Gruppe von Arbeitersöhnen aus Basildon. Aber Gahan hatte nun einmal Gefallen an auffälligem und wichtigtuerischem Gehabe gefunden, als er sich 1980 in den entsprechenden Londoner Clubs herumtrieb.

      „Depeche Mode waren sehr naiv, wie nun einmal alle achtzehnjährigen Bengel sind“, sagt Daryl Bamonte. „Die vier waren wirklich eine recht bizarre Mischung. Dave kam eigentlich aus der Punkszene, Fletch schwärmte stets von Graham Parker. Martin stand auf Kraftwerk, Jonathan Richman und viele andere Idole. Dave erlebte The Clash, als er vierzehn war, und zischte gleich ab in Clubs wie Billy’s oder Studio 21. Ich glaube, Vince sah etwas Besonderes in Dave, der nun mal eine Menge Aufsehen erregte.“

      Die Welt der Underground-Clubs, die Gahan so genoss, gab ihm einen ziemlichen Vorsprung gegenüber seinen Freunden aus Basildon, obschon auch die Vorstädte bald aufholten, als sich der sogenannte Cult With No Name zu einem lächerlichen Mainstream-Kult wandelte, den New Romantics. Diese Szene entstand im Frühling 1978, als das Billy’s in der Nähe der Dean Street im West End eröffnet wurde. Zunächst hatte das Billy’s nur freitags geöffnet und wurde vor allem von einem schwulen, kunstbeflissenen Publikum besucht, aber dann machten sich die beiden Stammgäste Rusty Egan und Steve Strange daran, den Dienstagabend als „Club for Heroes“ zu etablieren. Auf Handzetteln warben sie für diese Bowie-Nacht. Auf den Flyern stand zu lesen: „Fame, Fame, Fame, What’s Your Name? A Club for Heroes.“

      Man spielte dort zwar Platten von David Bowie,


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