Depeche Mode - Die Biografie. Steve Malins

Depeche Mode - Die Biografie - Steve  Malins


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Paris wartete. Der Bowie-Look war zu einem Lebensstil geworden.“ Das Billy’s etablierte schon durch die sehr exklusive Einlasskontrolle einen besonderen Way of Life. Die Ethik aus der Mod-Zeit der Sechzigerjahre wurde nun zur neuen Voraussetzung dandyhafter Extravaganz aufpoliert, und deren Erfüllung setzte der selbst ernannte Modepolizist Steve Strange – mit bürgerlichem Namen Steve Harrington, einst Sänger bei den Moor Murderers – als Türsteher gnadenlos durch. Bowie kam auch tatsächlich eines Nachts in den Club, und er übernahm eine Art Schirmherrschaft, indem er das Transvestiten-Promotionvideo für seine Single „Boys Keep Swinging“ 1979 im Billy’s drehen ließ. Ein Jahr später erwies sich Bowies Pierrot-Clownoutfit im Promotionvideo für „Ashes To Ashes“ als deutlich von den seltsamen Erscheinungen im Billy’s beeinflusst, wobei Bowie allerdings seine überlegene Position dadurch demonstrierte, dass er Steve Strange als Komparsen einsetzte.

      Inzwischen hatte sich Strange zum „Face“ des Cult With No Name ent­wickelt, worüber Molly Parkin in der Sunday Times schrieb: „Seine überlebensgroße Attitüde war sein Erfolgsgeheimnis. Während die britische Wirtschaft um ihr Überleben kämpft, feuert Steve Strange aus allen Rohren – und liefert ein ­Exempel glänzender Selbstpromotion.“ Im New Musical Express schrieb die Punkjournalistin Julie Burchill weniger enthusiastisch: „Diese neue Masche, Steve Strange et cetera, ist mehr oder minder nichts anderes als Glam-Rock, der zufällig das Lexikon bei ‚romantisch‘ statt bei ‚bisexuell‘ aufgeschlagen hat.“

      Aus dem Billy’s wanderte Strange ab ins Blitz, wo eine neue Gruppierung entstand: die Blitz Kids. Boy George war Mittelpunkt dieses nur aus Oberfläche bestehenden Lebensstils, dessen Klamotten und elitäres Gehabe nach Mod-Vorbild eine Flucht aus dem Stempelgelddasein der Arbeitslosen ermöglichten. „Punk bedeutete Sicherheit – wir lebten in einem Wirbel von Augenschatten und Rüschen“, sagt der zu Erfolg gekommene Popstar. „Letztlich war das Ziel, eine Reaktion zu provozieren. Solange ich fotografiert und zur Kenntnis genommen wurde, hatte ich einen Lebenszweck, einen Grund, auszugehen und mich aufzudonnern. Zunächst Tönung und Puder aufs Gesicht, dann eine Tasse Tee trinken, um das einziehen zu lassen. Augen- und Lidschatten wurden mit den Fingern aufgetragen, denn eine Wimpernbürste konnte ich mir nicht leisten. Zuletzt kamen Toupet, Hut und Ohrringe. Danach drehte ich mich eine Ewigkeit vor dem Spiegel hin und her.“

      In krassem Gegensatz dazu zeigte sich Georges Liebhaber und Bandkollege in der Gruppe Culture Club, John Moss, entsetzt über die geschwätzige Leere hinter den kokett flatternden Augenwimpern der Clubgäste. „Hübsches Exterieur, tolle Outfits – aber darunter nichts als Schmutz. Da waren kein Esprit, keine gefestigten Überzeugungen und keine Religiosität zu finden. Es war einfach verrucht. Dieses Blitz war wie ein Marsch in die Hölle, es war wie im Berlin der Dreißigerjahre.“ Auch John Foxx, ein ehemaliger Kunststudent und Gründer der britischen Gruppe Ultravox, war nicht beeindruckt: „Zum Rock ’n’ Roll gehört der Geist der Music Hall. Am besten ist in dieser Hinsicht Ray Davies und am schlimmsten die Komödienclownerie der New Romantics. Einmal ging ich selbst ins Blitz, und irgendwie fand ich es auch interessant. Aber weiter ging meine Anteilnahme nicht. Natürlich hieß es hinterher, ich sei auch ein Teil dieser Szene.“

      Tony Hadley von Spandau Ballet, eine Zeit lang die Hausband des Blitz, sieht es aus einer anderen Perspektive: „Die Szene im Blitz bestand eben nicht aus einem Rudel hübscher, weibischer Typen, die sich in Pose setzten und über Kunst und Literatur sprachen. Solche Klischees waren doch nur Quatsch. Ins Blitz kamen nur junge Bengels, die total ihren Verstand verloren hatten und nichts anderes wollten, als Tussis abzuschleppen. Wir zogen uns halt zufällig anders an als die Leute in der normalen Popdisco.“

      Rotzfrech, gassenschlau, bisexuell, extravagant und realitätsfremd – für eine kurze Zeit war diese namenlose Clubszene eine Art kreativer Absprung aus der zerbröckelnden, stagnierenden Punkszene. Als die Medien erst einmal begannen, die Protagonisten als „New Romantics“ zu etikettieren, blieb für diejenigen, die sich ein bisschen „seltsam“ und „anders“ darzustellen wünschten, als einziger Anreiz dieser Szene nur noch ein Besuch im Boots-Kosmetikladen. Fletcher, Gore und Clarke brachten zwar eine gewisse Toleranz für die aufgedonnerte, populär gewordene Klamottenshow auf – mehr nicht –, aber sie waren doch immerhin so beeindruckt vom kalten, exklusiven Glamour der damaligen Londoner Szene, dass sie Gahan erlaubten, die gemeinsame Band auf einen neuen, pseudoexotischen Namen zu taufen.

      Inzwischen probten Composition of Sound schon fast jeden Abend in Vince Clarkes Garage, wobei dessen Mutter sich über das „verdammte Klappern“ der Finger auf den Keyboards beschwerte, an denen sie nur mit Kopf­hörern übten, um niemanden mit der Lautstärke zu belästigen. Gahan kam stets dazu, um mit den anderen zu proben und immer wieder auf dem gemein­samen Skateboard herumzualbern, dazwischen aber auch ernsthaft mit ihnen zu arbeiten. Später durfte die Band in einem Lagerraum der Kirche proben. Fletcher erinnert sich: „Der Vikar erlaubte uns das einfach. Man brauchte nur nett und höflich darum zu bitten und durfte nicht zu laut spielen.“

      Der nächste Auftritt der Band nach Gahans höchst nervösem Debüt in der Saint-Nicholas-Schule fand bei einem Bikertreffen im Alexandra Pub in South­end statt. Sie waren schon ein bizarrer Anblick, als sie mit ihren Synthesizern und ihren Futuristenfreunden dort eintrafen, aber sie lösten Begeisterungsstürme aus – sogar die Biker waren hingerissen. Zum frühen Programm von Composition of Sound gehörten viele Songs, die nie auf Platten erschienen, wie „Reason Man“, „Price Of Love“ von den Everly Brothers, „Tomorrow’s Dance“, „Television Set“, „I Like It“ und „Closer All The Time“ (später oft wegen des ähnlichen Klangs fälschlicherweise „Ghost Of Modern Time“ genannt; Anm. d. Lektors). Ein Highlight war „Photographic“, ein Song von seltsamer Atmosphäre, den Gahan merkwürdig und roboterhaft monoton brachte, was seinen früheren Enthusiasmus für Tubeway Army verriet. Gerade dieser Track war ein Favorit des jungen Fans Daryl Bamonte, der für seine Arbeit als Roadie nach einem ausverkauften Abend im Londoner The Venue erstmals Geld bekam: „‚Photographic‘ wirkte ziemlich düster. Und dann gab es noch harte Electro-Stücke wie ‚Television Set‘, ‚Reason Man‘ und ‚Addiction‘.“

      Die Band der aufstrebenden jungen Musiker aus Basildon war gerade drei Monate alt, als sie ihre ersten drei Stücke von Vince Clarke, darunter „Photographic“, im Studio aufnahm. Sie beschlossen, mit diesen Songs ihr erstes Demo-Tape zu bestücken. Nachdem sie das Tape verschickt hatten, meldeten sich die Booking-Agenten von zwei winzigen, aber wichtigen Musikclubs bei ihnen. Einer war das Bridgehouse in Canning Town, ein Treffpunkt der Punks. „An den ersten Abenden im Bridgehouse war die Bude fast leer“, sagt Daryl Bamonte. „Mittwochabend waren Depeche Mode die Hausband dort, aber da spielte die Band buchstäblich vor nur einem halben Dutzend Leuten.“

      Das andere Angebot kam vom Crocs in Rayleigh. Dort begannen Depeche Mode am 16. August 1980 als Hausband jeweils am Samstagabend die „Synthie-Disco“ zu bestreiten, die sich Glamour Club nannte. Dem Schuljungen Daryl Bamonte kam das Publikum „ziemlich alt vor, es waren Leute so Anfang zwanzig, alle ziemlich im Underground verhaftet und modebewusst. Manchmal kreuzten auch die Gebrüder Kemp von Spandau Ballet auf.“ Mikey Craig von ­Culture Club, ein Stammgast unter den sorgfältig mit Max-Factor-Puder geschminkten und posierenden Trinkern, entsinnt sich der dortigen Gäste als „Rockabillys, Skinheads, New Romantics und Kid-Creole-Imitatoren“.

      Craig arrangierte dann auch am 24. Oktober 1981 das erste Livekonzert von Culture Club im Crocs, das sich einige Mitglieder von Depeche Mode anhörten. In seiner Autobiografie Take It Like a Man schreibt Boy George: „Das Crocs war der erste Freakclub von Southend, den die örtlichen Charts-Stars von Depeche Mode berühmt gemacht hatten. Ein recht gemischtes Publikum frequentierte den Club: Büroangestellte und Sekretärinnen, weiß geschminkte Futuristen in Latexkleidung und mit Hundehalsbändern, elegante Typen mit Westwood-Piratenhüten und Rockabillys in entsprechender Aufmachung. Wir waren froh, als wir dort unseren ersten Auftritt hinter uns gebracht hatten. Und das auch noch vor einem prominenten Publikum – Dave Gahan von Depeche Mode war da.“

      Stevo, ein junger DJ, der sich schon 1980 in der Electronic-Szene einen Namen als ausgefallener, unberechenbarer, aber einflussreicher Enthusiast gemacht hatte, erlebte Depeche Mode live im Crocs in Rayleigh. „In diesen großen, weitläufigen und gänzlich schmucklosen


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