Hölle auf zwei Rädern. Kerrie Droban
mit einem spielerischen Unterton.
„Ich hasse dich auch.“
Das Licht hüllte das Apartment in einen grauen Schleier. Es wirkte wie in einem Grab. Die Vorhänge blockierten die Außenwelt. Blutige Bilder flackerten über den Bildschirm. Cheese stellte den Fernseher leiser. Er winkte mir zu, zuckte mit den Schultern und zog an seiner Kippe. Crackers setzte sich auf seinen Schoß und hielt seine Hand. Rauch stieg ihr in die Augen. Sie begannen zu tränen. Ich rutschte von der Couch, wodurch einige Kissen auf den Boden fielen. Cheese und Crackers verzogen keine Miene. Ich öffnete die Vordertür. Die beiden wurden von dem Licht wie ein Foto von einem Rahmen eingefasst. Ich schlüpfte in die Gasse zwischen den Reihenhäusern, fand einen Stock und einige Steine. Ein dünner und krank wirkender Hund schleppte sich gequält auf die Straße. Verfilzte Fellstücke bedeckten seinen Körper, der übersät war mit kahlen Stellen. Aus seinen unförmigen Pfoten drang Eiter. Das Tier starrte in meine Richtung, wobei mich die blauen, wissenden Augen scheinbar anstarrten. Ein eiskalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Ich hatte das Gefühl mein eigenes Spiegelbild zu sehen.
Ich warf den Stock in die Nähe einer Reihe von Mülleimern, aus denen verdorbenes Obst, halb aufgegessene Hamburger und leere Bierdosen quollen. Der Hund verfolgte den Stock mit seinen Augen, bewegte sich aber nicht. Eine Sirene durchschnitt die Stille der Nacht. Wie in Zeitlupe setzte ich mich in Bewegung, um das Stöckchen wiederzuholen. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie mich das Tier angriff. Es knallte mit solch einer Wucht auf mich, dass ich umfiel. Ich schlug mit dem Kopf auf dem Beton auf. Grelle Sterne tanzten vor meinen Augen. Ein wahnsinnig lautes Knurren hallte in den Ohren, begleitet von einem stechenden Schmerz, der mir bis in die rechte Schläfe drang. Blut lief mir in die Augen. Sie brannten.
Ich spürte das Gewicht des Viehs auf mir, seine Pfoten, die mein Gesicht aufrissen, den feuchten, fleischigen Atem an meinem Ohr. Und dann hörte ich dieses komische, kauende Geräusch. Ich muss geschrien haben, denn Cheese und Crackers tauchten plötzlich in der Gasse auf, rannten auf mich zu und beugten sich über mich. Ich sah wie sich ihre Münder in den angespannten Gesichtern bewegten, doch ich konnte kein Wort verstehen. Meine Hände fühlten sich warm und klebrig an, als sie es mir vom Kopf wegzogen. Blut. Crackers riss den Hund mit aller Gewalt von mir und warf das Vieh gegen einen Mülleimer. Verdutzt, aber immer noch am Leben, humpelte es aus der Gasse. Wie vom Teufel geritten, kroch Crackers auf Händen und Knien auf dem Boden und durchsuchte den Schutt und die Müllberge. Sie schienen etwas zu suchen.
Cheese hielt mich ganz fest in den Armen, wobei seine Brille zur Nasenspitze runterglitt. Er drückte so fest, dass ich fast ohnmächtig wurde.
„Das Ohrläppchen. Finde das Ohrläppchen.“
In seinem Gesicht zeigten sich Mitleid und eine flehentliche Bitte um Entschuldigung. Bislang hatte ich mir niemals vorstellen können, dass ich Körperteile verliere, dass die Ärzte mich nicht mehr zusammenflicken können. Panik stieg in mir hoch. Musste ich jetzt mein ganzes Leben als Tauber verbringen, gefangen in einer unerträglichen Stille? Nichts ist beängstigender, als die sich steigernde Panik in den Augen eines anderen Menschen zu sehen. In dieser Nacht lernte ich eine bedeutende Lektion von Cheese – dass er mich nicht beschützen konnte, egal mit welcher ungebändigten Kraft er um mich kämpfte, dass mich niemand beschützen kann, dass es in letzter Konsequenz nur mich und die anderen gab, deren Liebe oft genug in Gefahr umschlug.
Am Anfang hatte ich keine andere Wahl. Ich trieb zwischen zwei Welten – der meiner Pagan-Familie und der meiner Freunde in der Stadt. Die beiden Lager wussten nichts voneinander, was mir auch ganz recht war. Durch die Distanz konnte ich Nähe erleben. Mit zwölf Jahren war ich schon zu einem regelmäßigen Partygänger der Freundesfeste der Pagans geworden, knallharten Festivitäten, die oft mehrere Tage hintereinander in einer zerfallenen Scheune stattfanden, die auf fünf Quadratkilometer bergigen Landes außerhalb von Allentown lag. Mein Job bei den Events bestand darin, nach Bullen Ausschau zu halten, die sich gelegentlich durchs Gras anschlichen, um Namen und Nummernschildern zu notieren. Es kam auch vor, dass sie Straßensperren vor den Einfahrten zum „Zeltlager“ der Pagans errichteten.
Meist versuchten die Bullen, alle nur erdenklichen Informationen über die Pagans zu sammeln, und hofften, ihnen nachzuweisen, dass sie im großen Stil am organisierten Verbrechen beteiligt waren. Natürlich ließen sie sich nicht die Chance entgehen, einen Biker wegen Trunkenheit, ungehörigen Benehmens oder Besitzes von illegalen Drogen zu verhaften.
Aber die Pagans waren auf der Hut und verwischten ihre Spuren. Manchmal provozierten sie die Bullen, indem sie beim Pizzaservice anriefen und Bestellungen aufgaben, die dann an die Streifenwagen ausgeliefert wurden. Oft besprühten sie auch die Schilder der Freeway-Ausfahrten mit dem Hinweis: POP – THIS WAY. Die Pagans benutzten mich als ihren Scout, Sündenbock und Lockvogel.
Nachts erklang überall das Geräusch von tuckernden Harleys, heulenden Frauen, zerbrechendem Glas und umfallenden Bierkästen. Auf der Bühne wurde Wein verschüttet, der die Bretter blutrot färbte. Lagerfeuer erleuchteten die Dunkelheit. Die Flammen umspielten die oberen Äste der umsäumenden Bäume. Es bot sich ein Bild von dreckigen Bärten, schmierigen Pferdeschwänzen, ärmellosen Jeans-Kutten und Hakenkreuzen. Auf den dicken Armen der Biker konnte man die Tätowierung „Pagans“ erkennen. Von einer notdürftig zusammengeschusterten Bühne schoss ein goldenes Stroboskoplicht in den Dreck. Rock Star und seine Band Classic drückten einen pulsierenden Beat durch die Boxen, der so laut war, dass mein Trommelfell schmerzte.
Anwärter für die Pagans drückten ihre Zigarettenstummel durch die ausgeschnittenen Augen des Feuergottes Dark Zurt, den man auf ein großes Pappschild gemalt hatte. Bier, Cola, Marihuana, LSD, Ecstasy und Benzedrin gab es im Überfluss. Unbekannte Frauen marschierten an mir vorbei, mit der Aufschrift „Besitz von Mangy“ auf dem T-Shirt. Es schien egal zu sein, ob mein Vater im Knast hockte. Er hatte seine Arbeitstiere, je attraktiver, desto nützlicher und profitabler.
Mitten auf der Bühne räkelte sich eine spindeldürre blonde Mieze provokativ zur Musik und begann einen Striptease hinzulegen. Die ausgezogenen Klamotten warf sie in die Meute geifernder Wölfe. Es war Salt Lick Cherie. Gerüchten zufolge lag ihr persönlicher Rekord bei 50 Männern an einem Abend. Plötzlich stand sie völlig nackt da. Der G-String war vor wenigen Sekunden gefallen, und jetzt schob sie sich eine Maglite-Taschenlampe zwischen die Beine. Dann kroch sie wie eine Albino-Spinne auf dem Rücken über das splitterige Holz, spreizte die Schenkel und ließ die Taschenlampe wie ein zwinkerndes Auge aufblinken. Die Biker drängelten sich um sie, vergossen Bier, tobten vor Begeisterung und klatschten Beifall, die Hände zum Himmel ausgestreckt. Einer vergrub sein Gesicht zwischen ihren Beinen und zog die Taschenlampe mit seinen Zähnen raus. Der Applaus steigerte sich zu einem Tosen.
Ich musste kämpfen, um meine Fassung zu bewahren, denn jetzt ließen sie die Hosen fallen und bestiegen sie, manchmal zwei oder drei gleichzeitig. Ohne zu protestieren machte sie mit, zuckte und stöhnte, steigerte sich in eine Orgie hinein, eine Freiwillige, die ihre Hemmungslosigkeit zelebrierte. Mit der Zunge benetzte sie lustvoll ihre Lippen. Mein Kopf fühlte sich merkwürdig blutleer an.
Was für eine Ironie, dass die meisten Frauen, die mit den Pagans Partys feierten, tagsüber angesehenen Jobs nachgingen, bei Versicherungen oder sogar in Anwaltskanzleien arbeiteten. Wenn es dunkel wurde, verwandelten sie sich wie Monster in ihr Alter Ego, tauschten die konservative Kleidung gegen hautenge Jeans und nuttige Blusen ein, um den Kick von ungezügeltem und hartem Sex zu erleben. Für sie waren die Pagans nur eine Kuriosität, eine Freakshow auf dem Rummelplatz, und nach einer Weile konnte niemand mehr sagen, wer hier denn wen ausnutzte. Doch nicht alle Frauen führten ein Doppelleben. Einige saßen in ihrem eigenen Gefängnis fest. Sie waren vor ihren Vätern oder Onkeln geflüchtet, die sie vergewaltigt hatten, oder vor Müttern, die zu Süchtigen oder Prostituierten geworden waren. Die Ausreißerinnen strippten für Geld und Drogen, streckten den Stoff mit Chemikalien, in der Hoffnung, die Alpträume ihrer Kindheit für kurze Zeit zu vernebeln, bis dann schließlich doch die brutale Realität die Oberhand gewann. Wenn die Mädchen auf Entzug waren, packten ihre durchgeknallten Freunde die mit Narben übersäten Arme und injizierten