Kabarett Sauvignon. Thomas C. Breuer
unerschwinglich geworden sind? Selbstverständlich – vorzugsweise allerdings Bier. Die europabedingte Änderung des Weingesetzes, die neben Tafel-, Qualitäts- und Prädikatswein eine neue Kategorie namens „Verarbeitungswein“ zuließ, war dem Ruf nicht eben förderlich, vor allem, da dieser Verschnitt von Tafelweinen an der Mosel zusammengerührt wurde. Cin cin! Aber was ist mit der Pfalz, oft vorschnell als Toskana Deutschlands gepriesen? Ist die von Herrn Kohl unermüdlich beschworene Diesseitsfreudigkeit der Palatinesen nur vorgetäuscht? Wäre sie ohne Alkohol als Schmiermittel am Ende gar nicht möglich? Fest steht: Der Rheinland-Pfälzer ist stets in der Lage, Hochprozentiges zu leisten. Der Rheinländer ist dabei ebenso positiv eingestellt wie der Pfälzer, immer pro, Pro Mille z. B. oder Pro Secco.
Dabei eignet trinkfreudigen Menschen eine gewisse Renitenz, an der Ahr z. B. wird der Spätburgunder auch schon am frühen Nachmittag getrunken. Man entsendet Weinköniginnen zu den großen Tourismusbörsen dieser Welt, präsentiert an Fastnacht hellichten Tages die Stonsdorfleichen im Fernsehen. Rheinland-Pfalz entsandte schon in den 60er Jahren altgediente Bluesbarden wie Willy Taylor zu den deutschen Brauchtumsvereinen in Nordamerika, wo seinem Lied „If The Waters In The Rhine Golden Wine Were“ immer noch Kultstatus innewohnt. Amerikaner z. B. schlucken dazu mit Begeisterung ein Gesöff, das sie für Rhine-Wine halten: Dort heißt es „Liebfraumilk“ – bei leichten Bastelarbeiten als Flüssigkleber geschätzt. In Rheinland-Pfalz wird dem aufrechten Gang nicht so eine übertriebene Bedeutung beigemessen wie in anderen Bundesländern. Es war Dean Martin, der einmal gesagt hat: „Du bist so lange nicht betrunken, wie du auf dem Boden liegen kannst, ohne dich festzuhalten!“
Deshalb sind Krabbelgottesdienste und Kriechspuren in Worms oder Cochem nichts Außergewöhnliches.
Natürlich gibt es Schattenseiten, denn nicht selten hat die Zeller Schwarze Katz einen Kater. In seiner aktuellen Ausgabe verzeichnet der „Weinfestkalender Pfalz“ über 200 Weinfeste. Eigentlich müsste den Pfälzern im Spätsommer ebenso kollektiv wie prophylaktisch der Führerschein entzogen werden.
In den letzten Jahren hat oft das Bild des Weinglases die Runde gemacht, das für den einen halbvoll, den anderen jedoch halbleer ist. Fest steht: Wenn endlich mal der Rest gekippt wird, dürfte der einsame Trinker voll sein. Andererseits kann es einem passieren, im Bahnhofsbuffet Ingelheim, einer veritablen Last-Minute-Abfüllstation, schon morgens um halb acht beinharte Säufer zu treffen, die sich erschreckend leer fühlen, obwohl sie bis zum Eichstrich abgefüllt sind.
Auf eine wissenschaftliche Kurzformel gebracht hat das der Kurpfälzer Völkerkundler Sir Arnim Toepel: „Hopp Hopp Hopp, de Schoppe in de Kopp!“
Hanns Dieter Hüsch: „Wenn die Frieda nicht gewesen wäre“,
aus: „Archeblues und andere Sprechgesänge“, 1968.
Mit freundlicher Genehmigung von Chris Rasche-Hüsch.
Hoher Besuch Rheinhessen
Wer weltweit wo was werden will, muss trinkfest sein. Besonders in der Politik gilt: Die besten Strippenzieher müssen ebenso gute Korkenzieher sein, und bevor die Dinge im Sande verlaufen, sollte man sie lieber im Lande versaufen.
Ein Teil der Regierung trägt den Namen eines Weines der 1. Kategorie, nämlich Kabinett.
Gerade Weinanbaugebiete bringen große Politiker hervor: „Brüderle! Zur Tonne! Zur Freizeit!“
Helmut Kohl zeichnete sich weiland durch Spontangärung und eine blumige Sprache vor Menschentrauben aus, seine Nachfolger verfügten als halbtrockene Rote über hohe Süßreserven, die ihnen den geübten Umgang mit Kulturhefen leicht machten.
Vor allem der letzte männliche Ministerpräsident besaß eine sichere Hand bei jedweder Flaschenfüllung und fand auch für frostempfindliche Parteigewächse stets die richtige Temperatur. Künftige Aspiranten sollten also unbedingt etwas vertragen können und enormes Stehvermögen mitbringen, wenn sie sich zum Klinkenputzen an die Basis begeben. Wer hier nicht besteht, kann politische Ambitionen gleich knicken: Alkohol als Benutzeroberfläche zwischen Mensch und Politik.
Als Fallstudie diene uns das traditionelle rheinhessische Anbaugebiet zwischen Bingen und Worms mit dem für einen Hoffnungsträger einer beliebigen bürgerlichen Partei typischen Parcours durch den Promillekosmos der Provinz.
12:00
High Noon. Ankunft in Bingen. Anstich des Denkmals des stadtbekannten Trinkers.
13:00
Zweites Schaumweinfrühstück mit den örtlichen Ozonlöchern in Gau-Algesheim.
14:00
Zwar erstmalig, aber schon jetzt traditionell: die Begegnung mit Weinkönigin Cindy und anderen Heulsusen auf dem Marktplatz in Nieder-Olm.
15:00
Besuch der Barrique-Barracken in Gau-Leitersheim.
16:00
Happy Hour mit der Umweltministerin in Sörgenloch. Alle Cocktails zum halben Preis! (In Rheinland-Pfalz gab es sogar einmal eine Umweltministerin mit dem passenden Namen Martini.)
16:30
Weinprobe Nierstein.
17:30
Weinprobe Oppenheim.
18:30
Weinprobe Guntersblum.
19:30
Weinprobe Westhofen.
20:30
Weinprobe Flörsheim.
21:30
Weinprobe Dalsheim.
22:30
Ausnüchterungszelle Worms.
Für den darauf folgenden Tag sind folgende Veranstaltungen ... angedacht:
12:00
Knuspergottesdienst in St. Pankreas zu Bechtolsheim.
13:00
Nackenheim: Ungeselliges Beisammensein mit polnischen Erntehelfern, auf gut Deutsch: Unhappy Hour. Die Polen halten bei den Wanderarbeitern unverändert die pole-position.
14:00
Jetlag-Probleme. Nickerchen an einem geheim gehaltenen Ort, und zwar im Kloster Maria Reblaus bei Gau-Odernheim.
16:00
Volkshochschule Alzey. Spätlese aus Werken von Walter K. Riesling. Motto: Alzey breit!
17:00
Five-O’Clock-Wine im Seniorenzentrum Monsheim. Treffen mit führenden Grauburgundern sowie Frauen aus deren Umgebung.
18:00
Hoch die Tassen in Alsheim, bis zum Abwinken.
Der Heimtransport des Kandidaten erfolgt in den frühen Morgenstunden, leicht säuerlich im Abgang.
Tropfen um Tropfen
Lesen Sie nun aus gegebenem Anlass die Weinbergpredigt von Domkaterpillar Essenzius Tremenz aus dem Abteil Mariacron in St. Tremor.
Es gibt Tage, meine Damen und Herren, da will einem nichts gelingen, da fällt einem alles aus der Hand, da erhält man eine schlechte Nachricht nach der anderen, da weiß man sich am Ende gar nicht mehr zu helfen. Es gibt Tage, da hat man den Trost eines anderen nötiger als sonst. Was aber, wenn die hilfreiche Hand einmal nicht zur Verfügung steht? Soll man verzweifeln? Oder mit dem Schicksal hadern? Wie schnell verstößt man in solchen Situationen gegen das 7. Gebot? Wie leichtfertig lässt man sich zu einer Sünde hinreißen? Was, liebe Gläubiger und Gläubinnen, soll man also tun, wenn man sich auf einer permanenten Durststrecke befindet? Was denjenigen raten, die bei der letzten Adrenalinausschüttung leer ausgegangen sind?
Liebe Jakobswegelagerer, legen Sie eine Blaupause ein! Schalten Sie einfach einmal ab und trinken Sie noch ein Schlückchen! Langen Sie ruhig ordentlich zu! Ganz gleich, zu welcher Tageszeit. Machen Sie es einfach jenem Weltenlenker nach, der gesagt hat: „Ich trinke nur vor oder nach