Kabarett Sauvignon. Thomas C. Breuer
abgebrochen und eingeebnet, um sie einfacher bewirtschaften zu können – ein Treppenwitz der Weltgeschichte, waren diese Terrassen doch ein Herausstellungsmerkmal der Terrassenmosel, daher doch der Name, Dummy! Auswärtige Besucher klagten darüber, dass man vom Balkon der Ferienwohnung keine einzige Terrasse mehr sah, weswegen umgehend überwachsene, verwilderte Terrassen entbuscht und entgrast wurden. Denn es steht geschrieben bei Lukas 6:41, Bahnsteig 7: „Du siehst die Splittergruppe im Auge des anderen und nicht den Balkon im eigenen Auge!“ Das nennt man heute Rekultivierung und erinnert an das Schicksal der Saarbrücker Straßenbahn: Dort rupfte man 1965 alle Gleise aus dem Pflaster, um sie dreißig Jahre später wieder einzusetzen.
Der Terrassenbau rückt die Reben eben näher an die Kraft der Sonne, die Kelten haben hier schon die ersten Solaranlagen angelegt. Das Klima auf den nach Süden und Westen ausgerichteten Hängen ist geradezu mediterran, Biologen ziehen hier die Nordgrenze des Mittelmeerraums. Zudem sind die Böden sehr mineralisch, z. T. sogar die Fußböden in den Wohnhäusern. Die Moselkernkompetenz ist also seit Menschengedenken der Wein, nicht zufällig gibt es an der Untermosel einen Ort namens Alken. Hauptsächlich wird Riesling angebaut, in Rheinland-Pfalz hat man sich mit Roten bis Anfang der 90er Jahre schwer getan, auch in politischer Hinsicht. Das hat sich glücklicherweise geändert.
Dreißig Prozent der ca. 5.000 ha Anbaufläche haben einen Hang zur Neigung. Die Lagen sind stellenweise derart steil, dass früher die Erntehelfer mit Katapulten in den Wingert geschossen werden mussten. Heutzutage werden sie natürlich aus Hubschraubern abgeworfen. Das nennt man dann „Extreme-Ernting“ und wird jenen willigen Touristen als Abenteuer-Event-Erlebnis verkauft, die in den Hängen abhängen wollen. Gewöhnungsbedürftig hingegen ist die Rolltreppe, die der Winzer Oliver S. in Ediger-Eller in den Wingert gelegt hat. Die allersteilste Lage ist bekanntlich der Calmont, der früher anders hieß, aber aus marktstrategischen Gründen nach dem Fußballmanager Reiner Calmund getauft wurde, einem wandelnden Prallhang und Überhangmandat – und alles nur, um mal wieder in die Presse zu kommen.
Aber mit dem Moselwein geht es ohnehin aufwärts, seitdem 1984 die Nasszuckerung verboten wurde und auch das Glykol vom Markt verschwunden ist. Die Region Mosel (bis 2006 Mosel-Saar-Ruwer) befindet sich seit einigen Jahren im Einnahmezustand. Selbst Wellnesser kommen hier auf ihre Kosten, die legen sich einfach die Traubenkerne auf die nackte Haut.
Sauf ich noch
„Schütt deine Sorgen in ein Gläschen Wein“ heißt es in einem unvergessenen Lied von Willy Schneider – in ein Gläschen und nicht etwa in einen Maßkrug, du Gierschlund! Gut, da wir Deutsche weltweit Sorgenweltmeister sind, haben wir da einiges zu tun – wir haben strenge Sorgenfaltenspflicht! Die gesundheitlichen Risiken werden übrigens immer geringer, solange man genügend Geld hat für eine Spenderleber. Im Armenhospiz von Beaune in der Bourgogne bekamen die Kranken jeden Morgen einen Krug Wein ans Bett gebracht, Wasser galt als schädlich. Gut, im Mittelalter haben sie Bier zum Frühstück getrunken, aber es ist die Traube, die eine Spur hinterlässt, und nicht die Gerste. Weinbau verändert die Geographie, Bierterrassen sind mir noch keine untergekommen.
Aber warum trinken wir wirklich? Viele trinken, um zu vergessen, nur was? Ja, ich weiß es doch auch nicht mehr! Überbrücken wir die Zeit mit dem Text eines jungen Protestsängers, Alwin P. (54), aus O. a. d. L., denn was die Welt dringend braucht, sind kritische Lieder zur Alkoholpolitik der Bundesländer.
Wenn mein Motor nicht mehr tuckert
und ich krieg den Gang nicht rein,
bin ich mutmaßlich unterzuckert,
dann brauch ich ’nen guten Wein.
Manchmal haut’s mir raus den Pfropfen
und ich hör das Totenglöcksle.
Dann brauch ich ’nen guten Tropfen,
etwa dreihundert Grad Oechsle.
Mama, hol mir rasch den Kübel,
bring mir bitte bloß kein Becherche.
Warum geht’s mir bloß so übel?
Ach, sinnlos scheint die Recherche.
Manchmal fühl ich mich malad,
bin dann eher bleichgesichtig.
Wein ist leider, das ist arg schad,
längst nicht mehr verschreibungspflichtig.
Doktor, Doktor, ich komm aus dem Konzept!
Doktor, Doktor, ich hab wohl was verschleppt!
Doktor, Doktor, ich brauche ein Rezept.
Denn Cabernet sauf ich noch,
Cabernet sauf ich noch!
Ist mein Körper heut’ mal unpässlich,
schenk ich ihm gern reinen Wein ein.
Dann schafft er arg treu und verlässlich.
Ich brauche ihn ja noch – zum Wohlsein!
Ich bin wirklich kein Alkoholiker.
Und ich lüg mir da nix ins Täschelche.
Ein anonymer Melancholeriker
und der braucht sofort sein Fläschelsche!
Kranke Kasse lassen uns schändlich im Stich.
Wir bleche und bleche und bleche.
Der Kummer schier überwältigt mich
und ich zeche und zeche und zeche.
Schütt die Sorgen in den Wein rein.
Davon bleiben dann nur noch Sörgelsche.
Was du heut nicht schaffst allein,
das verschiebste halt auf mörgelsche.
Doktor, Doktor, ich komm aus dem Konzept!
Doktor, Doktor, ich hab wohl was verschleppt!
Doktor, Doktor, ich brauche ein Rezept.
Denn Cabernet sauf ich noch,
Cabernet sauf ich noch!
Weinland Lëtzebuerg
Es waren in diesem Fall tatsächlich wieder die unvermeidlichen Römer, die im 1. Jahrhundert vor Christus den Weinbau in die Region brachten. Die Gründung zahlreicher Klöster trug zum Aufschwung des Weinbaus bei, da Gottesdienste mit einem Mindestpromillepegel der absolute Bringer waren. Der grausame Winter 1709 zerstörte indes den Rebbestand – mit Ausnahme des Moseltals, wo ein maritimes Klima mit kontinentalen Einflüssen vorherrscht, möglicherweise auch umgekehrt. Die Temperaturschwankungen sind natürlich geringfügig, gelegentliche Schwankungen der Bevölkerung schon bedeutender.
In der Folge wurden bevorzugt die robusten Reben der Sorte Elbling angebaut, mit denen die Kinder in Luxemburg so gerne Murmeln spielen. Diese Reben wurden zunächst als Fassware für den Verschnitt ins damalige Mosel-Saar-Ruwer-Gebiet ausgeliefert. Erst im 20. Jahrhundert wollten die Luxemburger die Identität ihrer Weine festigen, vor allem, nachdem Großherzogin Charlotte über den Wein groß herzog. Die Dame war so sauer wie manche der Böden, folglich musste alles geändert werden. Spontan gründete man 1925 das Weininstitut Remich, und keine zehn Jahre später führte man ein Qualitätswein-System ein, die „Marque nationale des vins de chemin de fer luxembourgeoise.“ Seitdem zelebriert man im ganzen Ländchen nicht nur „happy hours“, sondern geradezu „happy decades.“ Junge Winzer mit Kellerinstinkt arbeiten seither rund um die Uhr an einem positiven Auftritt. Wiederum fünfzig Jahre später, 1985, saß man anlässlich eines geselligen Beisammenseins gesellig beisammen, Franzosen, Holländer, Belgier, Deutsche und natürlich die als extrem gesellig geltenden Luxemburger, der Wein floss in Strömen, trotzdem entwickelte sich dabei eine Schnapsidee, nämlich die Grenzen füreinander aufzuheben. Der Ort des Gelages ist heute überall in Europa bekannt, wenn nicht gar berüchtigt: Schengen. Ohne Luxemburger Wein wäre die Grenzenlosität undenkbar.
Eben jener Wein stammt zu 45 % aus der hier Rivaner genannten Müller-Thurgau-Traube, gefolgt