Tatort Deutschland. Gisela Sachs
Kathrinchen und zu meinem Christian zutiefst bedaure. Ich werde das Schicksal meiner Mutter erleiden, kaum Rente bekommen.
Ich bringe mich im Gruppenhaus Bramfeld mit seinem Projekt Familienfrühstück ein, belege jeden zweiten Sonntag Brötchen, koche Kaffee, Tee und heiße Schokolade. Ehrenamtlich. Sie haben kein Geld mehr für Personal, auch nicht für die anstehenden Renovierungsarbeiten. Das Gruppenhaus soll nach Farmsen umziehen und dort seine Arbeit fortsetzen.
»Die Politiker machen mit einem doch, was sie wollen«, sagt Nele, meine beste Freundin, die mittlerweile Karriere gemacht hat. Endlich kann ich mich bei ihr revanchieren. Ich halte ihre Business-Kleidung in Ordnung, wasche und bügle für sie.
Wieder einmal wälze ich mich schlaflos im Bett, drehe mich von einer Seite auf die andere, schaue auf den Wecker auf meinem Nachttisch. Drei Uhr morgens und der Platz neben mir ist immer noch leer. Seufzend stehe ich auf, gehe in die Küche und koche Kaffee. Ein Blick aus dem Fenster, sternenklare Nacht, kein Wölkchen ist zu sehen. Ich bin allein im Haus. Pauline lebt seit ein paar Monaten in Amerika, Christian studiert in Berlin. Irgendwie hat es meine Mutter geschafft, ihren Enkelkindern ein Sparbuch für die Ausbildung anzulegen.
Mit der Kaffeetasse in der Hand wandere ich durch die leeren Kinderzimmer, streichle über staubige Bücher, vereinsamte Kuscheltiere, blättere schwermütig in Alben. Ich friere, schwitze, friere, bin unruhig, beschließe ein Bad zu nehmen. Ich gehe ins Badezimmer, lasse Wasser in die Badewanne ein und zünde Räucherkerzen an.
Ich rieche die Fauna Indiens. Jasmin, Lotus, Vanille und Rosenduft umhüllen meine Sinne. Schwer ist das Leben für einen, der mit zu viel Träumen angetreten ist. Ich bin traurig, unendlich traurig. Wer kann da noch Blume sein?
»He, du«, sage ich zu dem goldenen Engel auf der Badewannenablage. »Du hast nicht gut auf mich aufgepasst!«
Ich ziehe mich aus, lasse meine Kleider auf den Boden fallen, schlinge die Arme um meinen abgemagerten Körper und schluchze wie ein Kleinkind. Dann ziehe ich meinen Bademantel über, gehe in die Küche, hole meine Geflügelschere aus der Besteckschublade, laufe in den Garten und schneide Rosen. Viele. Einen ganzen Arm voll. Ich lege das Rosenbündel auf der Arbeitsplatte in der Küche ab, entferne die Blütenköpfe, entsorge die Stängel. Dann zupfe ich Rosenblatt für Rosenblatt in meine schönste Schale aus Oma Mias Bleikristallsammlung. Ich werde heute in Rosenblättern baden!
Ich stelle das Gefäß mit den duftenden Blättern am Waschbecken ab, verteile meine letzten Teelichter um den Badewannenrand, zünde sie an und lege meine Lieblings-CD in den Player. »Irgendwo hinterm Regenbogen, ganz weit oben, da ist ein Land, von dem hab ich mal ein Gute-Nacht-Lied gehört.’
Ich höre eine Autotür zuschlagen, eine Amsel rufen, den durchdringenden Schrei unseres Hahnes, das wütende Kläffen von Pluto, dem Nachbarhund, das Knallen der Haustür, das Knarren unserer abgetretenen Holzstufen. Dann geht mit einem Ruck die Badezimmertür auf, mein Mann steht im Türrahmen.
»Du bist noch wach?«, fragt er.
Ich sehe ihm in die rotumränderten Augen, gebe keine Antwort auf seine Frage.
»Um diese Uhrzeit, Katharina?« Ich antworte wiederum nicht.
Seine hungrigen Augen kleben an mir fest. »Ziemlich schwül hier«, sagt er und schaltet den Ventilator ein. Dann reißt er sich die Kleider vom Leib, steigt zu mir in die Wanne. Er riecht nach Hochprozentigem, nach Moschus, nach weiß ich auch nicht, was. Sein Adamsapfel hüpft auf und ab, sein Zauberstab zeigt anklagend in meine Richtung. »Wo warst du?«, frage ich ihn. Er antwortet mir nicht, sieht mich provokant an und lässt seine Zehen um meinen Bauchnabel kreisen, spielt mit meinen Schamhaaren.
»Lass das«, sage ich.
»Hab dich nicht so«, sagt er. Sein Blut wallt. Und er fordert Liebe ein. Ich versuche, ihn von mir wegzudrücken, stemme beide Hände gegen seine Brust. Er lacht mich aus, drückt mit Zeigefinger und Daumen meinen Mund zu einer Schnute und küsst mich mit Gewalt. Seine Zunge füllt meinen Mund. Ich ringe nach Luft. Er stinkt aus dem Mund wie eine tote Ratte.
»Ich muss aufs Klo«, japse ich, als er eine Verschnaufpause einlegt. »Lass laufen«, sagt er, und versucht in mich einzudringen. Ich zapple wie ein Fisch an der Angel. Er verfehlt sein Ziel und wird wütend.
»Halt still. Halt verdammt noch Mal still, Weib!«
»Ich muss aufs Klo, Hans-Jürgen. Ein großes Geschäft, Hans-Jürgen.«
Er lässt von mir ab, schlägt mir auf den Oberschenkel.
»Beeil dich aber!«
Mit einem Satz bin ich aus der Wanne, schnappe den Ventilator, werfe ihn in das Wasser, stecke blitzschnell den Fön in das Verlängerungskabel, schalte ihn auf höchste Leistungsstufe und werfe ihn hinterher.
Ich bin überrascht, dass er so schnell tot ist. Ich streue die Rosenblätter aus unserem Vorgarten über seine verkrampfte Leiche: rote, gelbe, weiße und orangefarbene Blätter schwimmen in dem mit bräunlichem Schaum überzogenen Badewasser, bedecken seine Arme, seinen Bauch, sein Gesicht, kleben in seinen
Haaren.
Ich lege ihm seine Hochzeitskette um den Hals, werfe das weiße Hemd, die weiße Hose und die weißen Schuhe in die Wanne. Dann greife ich mit beiden Händen zwischen seine Beine und quetsche mit voller Kraft seine Hoden. »Aloha, mein Badewannenkapitän!«
Schweiß rinnt über meinen nackten Körper, die drückend heiße Luft nimmt mir den Atem und ich reiße das Badezimmerfenster auf. »Guten Morgen«, sagt die Nachbarin, mit der er auch schon gevögelt hat. »Ist bei Ihnen alles in Ordnung, Frau Witte?«
»Ich fliege mit den Blaumeisen hinter den Regenbogen«, sage ich und klatsche das Fenster zu. Dann fege ich den Engel mit der flachen Hand von der Badewannenablage, lege die CD mit dem Soundtrack von »Spiel mir das Lied vom Tod’ in den Player und fange an zu tanzen. Ich tanze und ich tanze und ich tanze, bis ich von der Polizei abgeführt werde.
MECKLENBURG-VORPOMMERN
Tatort Schwerin
Der Honiganbieter
Friedrich Witte betritt die Geschäftsstelle des Landesverbands der Imker Mecklenburg Vorpommern e.V. Es ist Dienstag. Und die Sprechzeiten der Geschäftsstelle der Imker sind nur Dienstag und Donnerstag. Von 9 16 Uhr. Der ehemalige Imker wird wie jeden Dienstag und Donnerstag bis 16 Uhr am Telefon für alle Fragen rund um die Bienenzucht zur Verfügung stehen. Ehrenamtlich. Neben der Telefonarbeit wird er, wie seit vielen Jahren schon, die schriftlichen Arbeiten der Honigerzeugergemeinschaft erledigen sowie die jährliche Sommerund Weihnachtsfeier vorbereiten. Friedrich Witte ist sehr gut im Organisieren und im Planen, steckt seine ganze Kraft in seine zahlreichen Projekte und obwohl er schon auf die 80 zugeht, reißt Witte, wie er von den Vereinsmitgliedern genannt wird, sich immer noch mehr Arbeit unter den Nagel. Vor allem die Arbeit, die nach außen dringt. Er ist im Vorstand der katholischen Kirche St. Anna, der Mutterkirche aller katholischen Kirchen in Mecklenburg, betreut das Frühstück für Bedürftige in den Sozialräumen von St.
Anna, St. Martin und St. Andreas.
Mit demütig-gütigem Blick, nach rechts und links grüßend, läuft Friedrich Witte jeden Sonntagmorgen nach der Frühmesse durch die Reihen der Bedürftigen, jeden ersten Sonntag im Monat in St. Anna, jeden zweiten Sonntag im Monat in St. Martin, jeden dritten Sonntag im Monat in St. Andreas. Das Gebetbuch fest an seine Brust gepresst. Den vierten Sonntag im Monat bringt sich der christliche Mann für die kirchliche Telefonfürsorge bei der Caritas ein. Friedrich Witte macht sich gerne stark für die Menschen am Rande der Gesellschaft, kümmert sich um die Bedürfnisse von einsamen Senioren und Seniorinnen.
»Überzeugung und Glaube muss man in die Tat umsetzen«, betont Friedrich Witte immer wieder. Und natürlich sorgt der fromme Mann dafür, dass eine regelmäßige Berichterstattung über seine sozialen Tätigkeiten