Apokalypse Für Einsteiger. Julian Birkner
»Bringst du es echt übers Herz sie zu enttäuschen?«
Ja, das kriege ich hin!
»Ich muss leider weiterarbeiten. Sonst komm ich zu gar nichts mehr!«, sagte ich entschuldigend.
»Dann nimm wenigstens noch ein paar Proben für deine Kollegen mit, die heute nicht da sind!«
Hm, wenn ich möchte, dass sie fristlos kündigen...
Ich packte die Proben ein und war überglücklich, dass Blondchen kurz danach den Laden verließ. Ich sollte noch Tage später einen seltsamen Geschmack auf der Zunge haben …
Kapitel 3
Ich hatte jedoch keine Zeit lange über den Trockenfisch nachzudenken. Genauso erbarmungslos wie der grauenvolle Geschmack holte mich nämlich der Stress und der Zeitdruck ein. Ich freute mich so auf den Feierabend, aber die Liste der Aufgaben, die ich bis dahin noch zu erledigen hatte, war immens lang. Was man in so einem Moment übrigens gar nicht gebrauchen kann sind Kunden. Unzufriedene, stets nörgelnde und immer alles besserwissende Kunden … Und die alten Damen sind da immer eine besondere Freude …
»Wo steht der Zucker?«
»Hinter Ihnen!«
»Der stand aber letztes Mal noch da hinten bei den Brötchen!«
»Nein, der stand schon immer hier beim Mehl!«
»Doch ich bin mir sicher, dass Sie wieder umgeräumt haben! Sie räumen ja ständig um …«
»Wir haben das letzte Mal vor 4 Jahren umgeräumt. Seitdem steht er hier beim Mehl.«
»Nein, das glaube ich Ihnen nicht. Letzte Woche stand der noch da hinten! Sie räumen hier nur immer um, um die Kunden zu verwirren. Eine ganz üble Masche ist das.«
»Ich versichere Ihnen, der Zucker stand letzte Woche genau da, wo er jetzt auch steht!«
»Dieses ständige Umräumen ist eine Zumutung. Sagen Sie das mal Ihrem Chef!«
AHHHHHHHHHHHHHHHHHHHH! Nimm deinen scheiß Zucker und geh endlich!
»Ja, das werde Ihm ausrichten …«
Wenn man solche Gespräche 5 bis 10 Mal am Tag führt, dann beginnt man Kunden allmählich zu verabscheuen. Diese nervigen Knalltüten, die einem mit dem Einkaufswagen den Weg versperren und daran hindern, pünktlich mit der Arbeit fertigzuwerden.
Der nächste Kandidat, der mich anspricht, der bekommt so dermaßen …
Und plötzlich sah ich ihn wieder. Er stand bei der Margarine und musterte die unterschiedlichen Sorten. Einer unserer Stammkunden hier, aber ich kannte seinen Namen nicht. Er blickte kurz in meine Richtung und sein braunes Haar fiel in sein Gesicht. Er strich sich die Strähne aus dem Gesicht und winkte mir freundlich lächelnd zu. Sofort machte mein Herz einen Hüpfer. Ich kannte diesen Mann nur vom Sehen und wir hatten noch nie ein Wort miteinander gewechselt, aber seine freundliche Art und sein magisches Lächeln, machten mich jedes Mal sprachlos. Abgesehen davon war er der perfekte Kunde. Er stand nie im Weg, war stets höflich und war praktisch wie ein Geist: Nicht vorhanden, aber brachte Umsatz.
Und das Beste: Er trug keinen Ehering am Finger. Das hatte ich schon bei der zweiten Begegnung mit ihm gecheckt. Trotzdem kamen wir nie ins Gespräch … Kein Wunder bei dem Kittel, den ich tragen musste. Ich hätte genauso gut ein Schild hochhalten können auf dem steht: »Achtung! Ich bin eine frigide Jungfer. Bitte sprechen Sie mich nicht an!«
Ich hätte diesen Mann ewig beobachten können. Er war groß gewachsen, hatte einen sexy Drei-Tage-Bart und einen Hintern, in den man einfach nur reinkneifen wollte. Wenn er nicht den ersten Schritt machte, dann musste ich das tun.
Was hatte ich zu verlieren? Meinen Stolz, meine Achtung vor mir selbst, meine Würde …
Was konnte schon Schlimmes passieren wenn ich ihn nach einem Date fragen würde? Er könnte vor Lachen zu Boden gehen und ersticken oder Panik bekommen und bei der Flucht draußen vor einen Bus laufen …
Was sollte mich davon abhalten jetzt einfach auf ihn zuzugehen und ihn anzusprechen? Ein Blick nach unten auf meinen Kittel und die Antwort war klar …
Die Fakten lagen klar auf dem Tisch. Das da drüben war ein Traumtyp, der es nicht nötig hatte jemanden anzusprechen und ich eine feige Nullnummer gekleidet in einen Kartoffelsack. Wir würden also in 10 Jahren noch genau an derselben Stelle stehen. Er vor der Margarine und ich bei der Milch, um sie einzuräumen …
Plötzlich packte mich die Wut. Ich war eine selbstbewusste, emanzipierte Frau. Ich wusste was ich wollte und war noch nie auf den Mund gefallen. Wieso hatte ich solche Angst ihn anzusprechen? Scheiß drauf, ich mach das jetzt einfach …
Ich näherte mich ihm, setzte meinen sexy Blick auf und …
»Entschuldigung, Sie sehen so verloren aus. Kann ich Ihnen behilflich sein?«
Moment mal! Das ist nicht meine Stimme!
Eine Kollegin hatte sich ihm von der anderen Seite genähert und hatte nun seine volle Aufmerksamkeit.
Susanne …
Die konnte ich noch nie leiden. Sie warf sich jedem gutaussehenden Kunden an den Hals und sah zu allem Überfluss auch noch verdammt gut aus. Sogar der Kittel schien ihr zu stehen und ihre Kurven zu betonen. Mit einem triumphierenden »Der gehört mir!«-Lächeln nahm sie den Margarine-Traumtypen sanft am Arm und säuselte: »Ich zeige Ihnen noch die besonders günstigen Angebote hier drüben!«
ARGHHH! Du blödes Miststück! Ich mach Kleinholz aus dir …
Aber ehe der Margarine-Traumtyp etwas sagen konnte, hatte sie ihn schon von mir weggeführt und ich stand wie bestellt und nicht abgeholt neben meiner Milch …
Stolz und Würde verloren? Check
Wie eine Vollidiotin dastehen? Check
Lust haben, nun weiter zu arbeiten? ERROR
Enttäuscht und übellaunig ging ich in die Hocke und stopfte die Milch weiter ins Regal, mit einer Heftigkeit die das ganze Kühlregal zittern ließ. Susanne würde noch ihr blaues Wunder erleben. Der würde ich so die Meinung geigen, dass sie nicht mehr wissen würde, ob sie Männlein oder Weiblein war …
Ich spürte, wie mich ein Finger auf der Schulter antippte, fuhr herum und rief eine Spur zu heftig: »Was ist?«
Als ich jedoch sah wer mich da angetippt hatte, war die Wut verflogen. Ein kleiner Junge um die 5 oder 6 Jahre stand schüchtern hinter mir und blickte mich verängstigt aus großen Kulleraugen an …
Oh ich liebe Kinder.
Ich drehte mich zu ihm um und sagte in sanfterem Ton: »Wie kann die Tante dir denn helfen?«
Mit Kindern kann ich super.
Der Junge sah mich irritiert an und trat dann nervös von einem Fuß auf den Anderen.
»Ich habe dich gesucht.«, murmelte er.
Und Kinder lieben mich.
»Na nun hast du mich gefunden. Was möchtest du denn?«
Der Junge musterte mich genau. Seine dunkelblaue Mütze hatte er tief ins Gesicht gezogen.
»Meine Mama ist hübscher als du.«
Okay vielleicht nicht alle Kinder.
»Aber kann deine Mama auch das hier?« Ich warf ein Päckchen Milch in die Luft um sie lässig mit der anderen Hand hinter meinem Rücken zu fangen. Nun so war der Plan. Die Milch sah das anders und landete mit einem lauten Klatschen auf dem Boden und ergoss sich in alle Richtungen.
»Das mach ich später weg«, nuschelte ich.
»Du