Geschichten aus dem Alltag. Susanne Wilting

Geschichten aus dem Alltag - Susanne Wilting


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Schritten zur Küchentür und knallt sie laut hinter sich zu. Und wieder steht Paolo alleine im Innenhof und raucht.

      Alle Gäste sind bereits gegangen, völlig ahnungslos von den Vorgängen in der Küche. Auch das Team ist mittlerweile auf dem Heimweg. Nur Stefan und Paolo sitzen noch bei Grappa und Espresso im Lokal.

      „Das war doch keine Absicht, Paolo. Wirklich, nicht. Das musst du mir glauben. Mir ist die Hand einfach so ausgerutscht, wie kann er auch zum zweiten Mal die Schalotten anbrennen lassen, der Blödmann.“ Stefan stehen die Tränen in den Augen. Paolo schaufelt verlegen viel zu viel Zucker in seinen Espresso. „Mensch, Paolo, was soll ich denn jetzt machen? Der war ja so schnell raus und das mitten im Betrieb. Da kann ich doch nicht alles stehen und liegen lassen und dem Jungen nachlaufen, um mich zu entschuldigen. Wegen einer Ohrfeige! Wenn ich daran denke, wie es in meiner Ausbildung zugegangen ist …!“

      Jetzt sieht Paolo auf: „Genau das ist dein Fehler, Stefan. Du hast Timo geschlagen, basta. Das war nicht nur ein Klaps, du hast richtig hingelangt.“

      Aufgebracht erwidert Stefan: „Sag' mal, auf welcher Seite stehst du eigentlich?“ Aufrichtig gibt Paolo zurück: „Auf deiner natürlich, du bist mein Freund. Aber du musst doch einsehen, was du da getan hast.“

      Stefan stöhnt gequält: „Ja, ich weiß und was soll ich jetzt machen, deiner Meinung nach?“

      Paolo grinst „Das liegt doch auf der Hand, du musst dich so schnell wie möglich entschuldigen. Und beten, aufrichtig beten, dass Timo dich nicht anzeigt.“

      „Wieso soll der Bengel mich anzeigen, wenn ich mich entschuldige?“

      „Immerhin hast du ihn vor versammelter Mannschaft geschlagen, oder? Alles Zeugen, die wissen, wie jähzornig du bist und dass du Timo gerade erst absichtlich angerempelt hast.“

      „Okay, okay, ich seh' es ja ein.“ Die beiden Freunde prosten sich zu und trinken den Grappa in einem Zug. Paolo bleibt skeptisch.

      Solange er denken kann, war Stefan nicht mehr derartig sauer „Wie konnte das denn passieren, Mann? So eine hohe Geldstrafe! Das war doch nur eine Ohrfeige, Mann.“

      Paolo dreht sich zu seinem Freund um und sagt beruhigend: „Stefan, sei froh, dass es nur eine Geldstrafe ist.“

      Stefan wirbelt herum „Jetzt halt die Schnauze, Mann!“ Nach kurzem Schweigen lenkt er ein: „Tut mir leid, es stimmt ja. Und danke, dass du ihm einen neuen Job besorgt hast. Das ist das Beste für uns alle.“

      Paolo nickt erleichtert. Mit Diplomatie und gutem Zureden hat er dafür gesorgt, dass Timo seine Ausbildung in einem anderen Restaurant fortsetzen kann. „Lass uns jetzt noch mal richtig durchstarten, Stefan. Die Stammgäste kommen noch alle, die hören nicht auf Gerüchte. Wir können noch besser werden, bestimmt.“

      Stefan sieht ihn misstrauisch an. „Wie stellst du dir das denn vor?“

      „Wir können die Karte noch mal verbessern, Stefan, mehr auf Saisonales setzen. Das kannst du.“

      Stefan schlägt Paolo freundschaftlich auf die Schulter und lacht. „Okay, wir können es versuchen, das wolltest du ja von Anfang an, aber kein übertriebenes Kaninchenfutter.“ Sie haben lange nicht mehr so freundschaftlich miteinander gesprochen.

      „Fertig! Alles super! Tolle Arbeit, meine Lieben! So viele Pilz-Gerichte sind noch nie raus gegangen! Ich bin glücklich.“ Todmüde strahlt Paolo das Küchenteam an. Sie sagen schnell „Gute Nacht!“, und sind verschwunden.

      In letzter Zeit hat der Stress in der Küche enorm zugenommen, doch Stefan weigert sich strikt, das Team zu vergrößern und so herrscht ständig Unzufriedenheit. Die neue Saison-Karte hat sich als Verkaufsschlager herausgestellt und das „Arezzo“ kann tatsächlich kontinuierlich Stammgäste hinzugewinnen. Im Gastraum hat Stefan gerade persönlich zwei junge Geschäftsfrauen verabschiedet, die regelmäßig im „Arezzo“ essen.

      „Heute Abend so charmant, so kenn' ich dich ja gar nicht, Stefan.“ Paolo steht an der fauchenden Espresso-Maschine, auf einem Tisch stehen schon zwei gefüllte Grappa-Gläser bereit.

      Erschöpft sinkt Stefan auf einen bequem gepolsterten Stuhl und meint: „Seit wann bist du eigentlich mein Aufpasser, he?“ Er stürzt den Grappa runter, dann stützt er den Kopf auf die Arme. „Ich hätte übrigens nicht gedacht, dass wir so einen Erfolg haben. Einfach klasse.“

      Paolo kommt mit den Espressi an den Tisch. Irgendwie hat er das Gefühl, dass Stefan ablenken will. „Es ist doch hart erarbeitet. Jetzt wird es Zeit, dass du ausspannst, Stefan, auch wenn du das nicht hören willst.“

      Das gleichmäßige Rühren stockt. „Fang nicht schon wieder damit an, Paolo.“ In Ruhe trinkt Stefan noch seinen Espresso, dann steht er auf und geht.

      „Nein! Ich werd' verrückt! Nein! Das kann doch nicht wahr sein!“ Stefan stürmt wie von Sinnen in die Osteria. „Wo ist Paolo?“ Tanja und Kerstin zeigen gleichzeitig in Richtung Innenhof. Stefan stürmt los, ein amtlich gestempeltes Briefkuvert in der Hand. „Paolo? Wo bist du denn?“ Er reißt die Tür zum Innenhof auf und ruft aufgeregt: „Weißt du, was ich hier habe? Das ist mein Untergang! Eine Riesenkatastrophe!“

      Völlig gelassen raucht Paolo weiter. „Was ist denn los? Beruhige dich, Mann, wird schon nicht so schlimm sein.“

      Ungläubig starrt Stefan ihn an. „Nicht so schlimm? Du weißt ja nicht, was du sagst, du Blödmann. Das ist eine Vorladung, bei der Polizei, also auf dem Revier, in sechs Wochen, wieder wegen Körperverletzung. Eine Frau hat mich angezeigt, die hier regelmäßig isst.“

      „Wann denn? Und warum?“ Jetzt wirkt Paolo wirklich interessiert.

      Stefan zuckt mit den Schultern: „Sie hat ausgesagt, ich hätte sie hinten im Gang vor den Waschräumen geschlagen, weil sie angeblich nicht schnell genug beiseite gegangen ist. Das hat sie doch erfunden, oder? Ich vermute, die kennt das ganze Gerede von der Ohrfeige, die ich Timo verpasst habe. Ich schwöre dir, ich habe niemanden auch nur ein Haar gekrümmt, wirklich. Das musst du mir glauben, Paolo.“

      Paolo starrt Stefan an.

      Aufgeregt wedelt Stefan mit dem Kuvert hin und her. „Ich versteh' das nicht, Paolo! Was soll ich denn jetzt machen?“ Außer sich vor Angst und Wut, weiß er nicht, wie er heute kochen soll.

      „Bleib cool, das klärt sich auf. Vielleicht ist es ja nur eine Verwechslung.“ Paolo versucht, beruhigend zu lächeln.

      „Willst du dich über mich lustig machen? Was soll man denn da verwechseln?“ Jetzt hat Stefan ein Ventil gefunden.

      Ernst schüttelt Paolo den Kopf. „Oh nein, diesmal mach' ich mich nicht lustig, mein Freund. Soll ich mitkommen zur Polizei?“

      Spontan treten Stefan Tränen in die Augen. „Würdest du das tun?“ Ganz selbstverständlich nickt Paolo. Stefan dreht sich auf dem Absatz um und verschwindet im Haus. Drinnen schreit er: „Habt ihr alle gelauscht oder warum hängt ihr hier faul rum? Gibt's um diese Zeit nichts Besseres zu tun?“ Traurig lächelt Paolo und drückt seine Zigarette aus.

      Einige Wochen später sitzt Stefan bei strahlendem Sonnenschein vor einem Straßencafé, wie jeden Nachmittag in letzter Zeit. Aufmerksam liest er Paolos Brief:

      Ciao Stefan, come stai, il mio ragazzo? Sitzt du immer noch traurig in dem kleinen Straßensafe? Ich bin jetzt Paolo, der Chefkoch, in Palermo, meiner Traumstadt. Da staunst du. Das Wetter ist herrlich, viel besser als bei dir in Deutschland oder in der Toskana. Es ist Hauptsaison und die Stadt wird von Touristen überschwemmt. Meine Tante hat mir übrigens doch noch ihr Geheimrezept für ihr Fisch-Couscous verraten. Es ist im Ristorante die Sensation, kann ich dir sagen. Wann kommst du mich besuchen, um es zu probieren? …

      Stefan lässt den Brief sinken und blickt sehnsüchtig über den belebten Platz. Palermo? An manchen Tagen bereut er maßlos seine übereilte, völlig kopflose Entscheidung, die er nicht mehr rückgängig machen kann. Gerüchte, wilde Spekulationen und auch Selbstzweifel und Selbstvorwürfe haben Stefan derartig in Panik versetzt, dass er das gesamtes


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