Liebeschaos: Süß wie Cherry Cola. Ute Jäckle

Liebeschaos: Süß wie Cherry Cola - Ute Jäckle


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      »Nimm nicht die Vene, die du direkt unter der Haut schimmern siehst, die sind meistens zu dünn, du musst eine dickere darunter ertasten. Fühlst du sie?«

      Ich drückte leicht mit dem Zeigefinger und entdeckte die geschwollene Vene. »Ja, ich denke, ich hab sie.«

      »Gut. Dann zieh jetzt die Handschuhe an und desinfizier die Einstichstelle.«

      Nachdem ich alles erledigt hatte, öffnete ich die Verpackung der Nadel und nahm sie heraus.

      Meine Hände bebten und die Knie sackten mir beinah weg, nun allerdings vor Schiss. Nick musste meine Panik spüren, er legte eine Hand auf meine Schulter und grub die Finger hinein, was merkwürdigerweise eine beruhigende Wirkung auf mich hatte. Ich mochte seine Berührung, obwohl ich das niemals öffentlich zugeben würde.

      »Wenn du stichst, dann mach es schnell, auf diese Art tut es am wenigsten weh«, sagte er leise.

      Ich nickte und atmete einmal tief durch, während Herr Koslowski teilnahmslos in den leise laufenden Fernseher starrte.

      »Sie sticht jetzt, Herr Koslowski«, sagte Nick, woraufhin der Mann nur achselzuckend nickte.

      »Macht ihr mal.«

      Noch einmal suchte ich mit dem behandschuhten Finger nach der Vene, was nun tatsächlich nicht mehr so einfach war, aber mittlerweile wusste ich ungefähr, wo sie sich befand, und stach zu. Glücklicherweise hatte ich gleich beim ersten Versuch getroffen. Erleichtert löste ich den Venenstauer und füllte zwei Röhrchen mit Blut. Mein erstes Mal! Mein Herz wurde ganz warm. Liebevoll bewunderte ich die beiden Röhrchen in meiner Hand, in denen die rote Flüssigkeit schwappte. Mein Werk. Wow! Herr Koslowski hatte nur kurz die Lippen verzogen und schenkte mir nun doch ein freundliches Nicken, als ich ein Pflaster auf die Einstichstelle klebte.

      »Gut gemacht«, sagte Nick. »Du darfst es beim nächsten Mal probieren«, versprach er Marga, die sich ein gequältes Lächeln abrang.

      »Saubere Arbeit, Mädchen«, lobte mich auch Herr Koslowski.

      Ich strahlte. Meine Glückshormone tanzten Samba, mit heißen Wangen befreite ich mich von den Handschuhen. Das war so cool gewesen. Selbst Nick hatte nette Seiten. Beinah überfielen mich Gewissensbisse, bis mir Margas gemarterte Miene ins Auge stach.

      »Danke schön«, sagte ich. »Ich wünsche Ihnen alles Gute zum Geburtstag.«

      »Bist ein nettes Mädel.« Er schluckte. »Aber spielt keine Rolle mehr. Nicht mal den Hund haben sie mir gelassen, nicht mal den Hund.« Herr Koslowski massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen und tat mir nun noch mehr leid. Sein deprimierter Anblick schmerzte mich richtig in der Seele. Der arme todkranke Mann. Leider fiel mir auf die Schnelle nicht ein, wie ich ihn ein wenig aufmuntern konnte. Immerhin war es vielleicht wirklich sein letzter Geburtstag.

      Die Tür schwang auf und Doktor Lehmann kam hereingeschneit.

      »Guten Morgen, Herr Koslowski«, sagte sie beim Näherkommen. »Wie geht es Ihnen heute? Haben Sie Schmerzen?«

      »Nein, bin vollgepumpt mit Schmerzmitteln«, murrte er, demonstrativ in den Fernseher starrend. Doktor Lehmann und Nick wechselten einen ausgedehnten Blick, die beiden schienen sehr vertraut miteinander zu sein. Wie er das immer anstellte, war mir ein absolutes Rätsel. Ob er sich tatsächlich hochschlief?

      »Brauchen Sie sonst noch etwas?«, fragte sie.

      »Nö.« Er schüttelte den Kopf. »Ich brauch nichts mehr, nur noch einen Totengräber.«

      »Darf ich Ihnen trotzdem zum Geburtstag gratulieren?«, Sie lächelte ihn freundlich an.

      Er zuckte mit den Schultern. »Dürfen Sie, Frau Doktor. Aber mir ist nicht nach Feiern zumute.«

      Leises Winseln wehte wie ein Windhauch durch die geschlossene Tür. Was war das? Ich horchte. Noch einmal, dieses Mal lauter. Auch Herr Koslowski hob den Kopf. »Was is’n das für ein Geräusch?«

      »Keine Ahnung.« Doktor Lehmann zuckte mit den Schultern. »Was für ein Geräusch?«

      Ein einzelnes Wau löste das Winseln ab. Wo kam das denn her? Ich warf einen Blick zu Nick, der schien nichts zu hören, seelenruhig sammelte er die Utensilien der Blutabnahme zusammen. Dann sprang die Tür auf und ein hellbraunes Fellknäuel stürzte bellend und schwanzwedelnd ins Zimmer.

      Ruckartig hob Herr Koslowski den Kopf. »Jacky, wo kommst du denn her, mein Bester?« Er streichelte dem kleinen Hund über den Kopf, der beim Versuch aufs Bett zu hopsen, wild kläffte. Nick hob ihn schließlich auf die Matratze, wo das Kerlchen sich in den Arm seines Herrchens kuschelte und ihm das Gesicht ableckte. Tränen rannen über Herrn Koslowskis Gesicht, unaufhörlich streichelte er seinen Hund. »Dass ich dich noch mal wiedersehen darf.«

      Die Szene rührte mich bis in den hintersten Winkel meines Herzens, ich durfte einer wunderbaren Familienzusammenführung beiwohnen und kam aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus. Was für ein schönes Geburtstagsgeschenk für diesen todkranken Mann.

      »Aber jetzt erzählt doch mal«, sagte Herr Koslowski und wehrte sanft die feuchte Hundeschnauze in seinem Gesicht ab. »Wie kommt Jacky hierher? Dürfen Hunde überhaupt ins Krankenhaus?«

      »Wenn sie dem Patienten bei der Genesung helfen, dann ist es ausnahmsweise mal erlaubt.« Nick tätschelte Jackys Kopf und zwinkerte ihm zu. »Man darf sich bloß nicht dabei erwischen lassen.«

      »Nick ist am Samstag nach München gefahren und hat Jacky dort im Tierheim abgeholt«, erklärte Doktor Lehmann und mir stockte beinah das Herz. Was? Dafür hatte Nick also den freien Samstag gebraucht? Er hatte seinen Dienst getauscht, um einem schwerkranken Mann einen Herzenswunsch zu erfüllen und mir war nichts Besseres eingefallen, als ihn zu beleidigen und dumm anzumachen. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, der sich nicht wegschlucken ließ. Ich stand da wie festgewurzelt, presste eine Hand vor den Mund und versuchte, die Tränen zu unterdrücken. Es war unheimlich berührend, zu sehen, wie sich der alte Mann und der kleine Hund freuten, wieder zusammen zu sein. Zum ersten Mal bemerkte ich etwas anderes als Resignation in Herrn Koslowskis Gesicht. Nicks Hand legte sich um meinen Nacken, er massierte mich. In völliger Schockstarre ließ ich es über mich ergehen.

      »Alles okay?«, fragte er leise und mit einem Hauch von Spott in der Stimme. »Du siehst so blass aus.«

      »Nick hat sogar eine Pflegefamilie für Jacky in Nürnberg gefunden, sodass Sie beide sich oft sehen können. Und wenn Sie gesund sind, können Sie den Kleinen wieder mit nach Hause nehmen«, erzählte Doktor Lehmann.

      Das war die netteste Aktion, die ich seit Langem mitbekommen hatte. Er hatte obendrein für das Wohlergehen des kleinen Hundes hier vor Ort gesorgt, jetzt fühlte ich mich schrecklich wegen meiner gemeinen Unterstellungen vorhin.

      »Ab heute gelten keine Ausreden mehr, Herr Koslowski«, sagte Nick. »Sie werden gebraucht, also lassen Sie sich nicht mehr so hängen.«

      »Ganz bestimmt nicht.« Herr Koslowski nahm den kleinen Hund in den Arm, der auf ihm herumwuselte wie ein aufgeregtes Wiesel. »Wir beide gehen wieder nach Hause«, flüsterte er und hob den Kopf. »Das ist der schönste Geburtstag meines Lebens. Vielen Dank dafür.«

      »Alles Gute auch von mir«, sagte Marga nun. Ein Glanz schimmerte in ihren Augen, sie strahlte Nick an, als wäre er Superman. Das war er gerade auch. Und ich, ich musste mir schleunigst was einfallen lassen, um mich für meine Vorwürfe zu entschuldigen.

      Im Gang lief ich Nick hinterher und stellte mich ihm in den Weg. »Warum hast du nichts gesagt?«, fragte ich aufgelöst, die emotionale Wiedervereinigung von Hund und Herrchen arbeitete noch in mir.

      Er musterte mich erstaunt. »Was meinst du?«

      »Warum hast du nicht vorhin schon erzählt, dass du den Tag freigenommen hast, um den Hund abzuholen? Das konnte doch keiner ahnen.«

      »Und deine Show unterbrechen?« Er lachte amüsiert auf. »Du hattest dich so schön in Rage geredet, nicht mal ein Bulldozer hätte dich aufgehalten.«

      »Aber


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