Briefe an Olympias und Papst Innocentius. Johannes Chrysostomos
nur den einen Punkt an’s Herz legen: sollten auch diese Männer des allgemeinen Umsturzes unheilbar und der Reue unzugänglich sein, so bewahrt euch doch im Hinblick auf die Größe und Verdienstlichkeit eures Werkes vor Ermattung und Muthlosigkeit, nachdem ihr euch entschlossen habt, dem Unheil zu steuern. Denn fast über die ganze Welt hat sich dieser unser Kampf verbreitet; es handelt sich um heruntergekommene Kirchen, um zerstreute Gemeinden, verfolgte Priester, vertriebene Bischöfe, übertretene Gesetze der Väter. Deßhalb bitten wir eure Sorgfalt, einmal und zweimal und vielmal, um so größern Eifer an den Tag zu legen, je ärger der Sturm wüthet. Ich verspreche mir nämlich auch einige Besserung der Zustände davon. Wenn Das aber auch nicht gelingen sollte, so wird für euch doch bei dem gütigen Gott die Krone in Bereitschaft sein, und wird den ungerecht Bedrückten schon die Absicht eurer Liebe einen großen Trost gewähren. Denn auch ich, der ich jetzt im dritten Jahr ausser Landes verweilen muß, bedroht von Hunger und Seuchen, Kriegen und ewigen Belagerungen, preisgegeben einer unbeschreiblichen Einsamkeit, täglicher Todesgefahr und isaurischen Schwertern — auch ich fühle mich nicht wenig gehoben und getröstet durch eure treue und ausdauernde Sympathie, eure Unerschrockenheit und eure opferwillige und aufrichtige Liebe. Das ist meine Schutzmauer, da finde ich Sicherheit; Das ist mir ein Hafen, den wilden Fluthen unerreichbar, Das ein Schatz von tausend Gütern, Das ist meine Freude und ist mir eine Ursache großer Wonne. Und sollte man mich wieder an einen noch abgelegenern Ort schaffen, so werde ich darin bei meinem Abschied von hier einen großen Trost für meine Leiden finden.
An Olympias
Einleitung
1.
Die heilige Diakonissin Olympias, an welche die folgenden siebenzehn Briefe gerichtet sind, wird uns als eine in jeder Beziehung hervorragende Persönlichkeit geschildert. Sie war aus edlem Geschlecht, Enkelin des Ablavius, Obersten der kaiserlichen Leibwache unter Constantin dem Großen. Nachdem sie schon in früher Kindheit ihre noch heidnischen Eltern verloren, hatte sie das Glück, daß die fromme Theodosia, Schwester des heiligen Amphilochus, sich ihrer mütterlich annahm. Als Erbin unermeßlicher Reichthümer, als vielbewunderte Schönheit, und zugleich geschmückt mit den herrlichsten Vorzügen des Herzens und des Geistes, ward sie schon in zarter Jugend von hochgestellten Männern zur Ehe begehrt. Etwa 16 Jahre alt (um 384), heirathete sie den jungen Nebridius, Präfekt von Konstantinopel. Nur kurze Zeit dauerte dieser glückliche Bund; ihr Gemahl starb schon nach 20 Monaten. Kaiser Theodosius maßte sich das Recht an, über Herz und Hand der jungen Wittwe zu verfügen; er verlangte, sie solle sich mit seinem Verwandten und Günstling Elpidius vermählen. Olympias weigerte sich entschieden. Sie hatte schon beschlossen, im Wittwenstande zu verharren und ein gottseliges Leben zu führen. „Wenn Gott mich für den Ehestand bestimmt hätte,“ schrieb sie an den Kaiser, „so würde er den Mann, den ich liebte, nicht von dieser Erde abberufen haben. Weil er wußte, daß ich für die Ehe nicht geeignet bin, darum hat er mir das süße Joch der Enthaltsamkeit aufgelegt.“ Theodosius zürnte, und um sie gefügiger zu machen, belegte er ihr Vermögen mit Beschlag und gab es dem Stadtpräfekten in Verwaltung, bis sie das dreissigste Jahr erreicht haben würde. Olympias dankte ihm dafür. Der Präfekt schränkte ihre Freiheit sehr ein, daß sie nicht einmal die Kirchen besuchen konnte. Doch erhielt sie ihr Vermögen vor der bestimmten Frist, als sie nämlich 23 Jahre alt war, wieder zurück.
Für sich selbst brauchte sie davon nicht mehr als die geringste Magd. Sie vereinigte einige gottgeweihte Jungfrauen zu einer Art klösterlicher Genossenschaft, und führte mit diesen ein Leben der strengsten Entsagung. Dadurch war sie in Stand gesetzt, vermöge ihres großen Reichthums eine ganz unglaubliche Wohlthätigkeit zu entfalten. Ihre Sorge für Hilfsbedürftige jeder Art, für Kranke, Arme, Fremde und Sklaven insbesondere, wie auch ihre Freigebigkeit für kirchliche Zwecke reichte weit über die Stadt hinaus, und erstreckte sich, wie Chrysostomus in seinem zweiten Briefe sagt, „bis an die Grenzen der Erde.“ Ausser ihrer feurigen und rastlosen Nächstenliebe rühmt er an derselben Stelle ihre tief ernste Frömmigkeit, ihre harten Abtödtungen, ihre starkmüthige Geduld, ihre Demuth und Bescheidenheit. Er ist so unerschöpflich in ihrem Lobe, daß er ganz offenbar von ihrer Heiligkeit einen sehr hohen Begriff hatte. Diese Heiligkeit verdiente um so mehr Bewunderung, weil Olympias von ihren heidnischen Eltern sehr weichlich war erzogen worden.
2.
Schon der Vorgänger des heiligen Chrysostomus, der Patriarch Nektarius, hatte sie unter die Diakonissinnen aufgenommen, und in kirchlichen Angelegenheiten nicht selten zu Rathe gezogen. Ein viel innigeres Verhältniß aber bildete sich zwischen ihr und dem heiligen Chrysostomus. Während er sie auf dem Wege der Vollkommenheit leitete, sorgte sie für seine leiblichen Bedürfnisse, die er über seiner bischöflichen Amtsthätigkeit allzusehr vernachlässigte, obgleich er mit einem zart gebauten, schwachen Körper zu thun hatte.
Es läßt sich leicht denken, mit welchen Gefühlen sie ihren geliebten Meister in die Verbannung ziehen sah. Die Trennung von ihm war aber erst der Anfang der schweren Leiden, von denen sie in der Folge fast erdrückt ward. Kaum hatte nämlich Chrysostomus die Stadt verlassen, als eine Feuersbrunst seine Kathedrale, seine bischöfliche Wohnung und den Palast des Senates in Asche legte; und seine Feinde schämten sich nicht zu behaupten, er selbst habe gemeinsam mit seinen Geistlichen und Diakonissinnen, die in der Taufkapelle von ihm Abschied genommen hatten, das Feuer angezündet, damit kein Nachfolger seinen bischöflichen Thron besteigen sollte. Viele von seinen Freunden wurden deßhalb vor Gericht gestellt, mehrere grausam gefoltert. Auch Olympias wurde mehrmals verhört; aber nachdem der Richter begreiflicher Weise keine Schuld an ihr gefunden, vielmehr durch ihre treffenden Antworten nur Ärger und Verlegenheit eingeerntet hatte, ward sie wieder entlassen.
Bald gab es neue Quälereien: sie wurde unter Androhung schwerer Strafen aufgefordert, sich zur Kirchengemeinschaft des Arsacius zu halten, der nach dem Abzuge des heiligen Chrysostomus den Patriarchenstuhl von Konstantinopel behauptete. Da sie sich weigerte, mußte sie eine bedeutende Geldbuße erlegen.
Unendlich mehr jedoch als diese Verleumdungen und Verfolgungen, ging ihr das Elend zu Herzen, das inzwischen über die Kirche hereinbrach. Denn viele Gemeinden wurden von der Einheit der Kirche losgerissen, indem sie schismatischen Bischöfen in die Hände fielen, und dadurch, wie Chrysostomus in seinem zweiten Briefe sagt, zum Hirten einen Wolf, zum Steuermann einen Seeräuber, zum Arzt einen Scharfrichter erhielten. Sehr groß war die Menge Derer, die Aergerniß nahmen und abtrünnig wurden. Die Trauer über dieses Unheil, zugleich mit dem Schmerze über die Trennung von ihrem Bischof und väterlichen Freunde, wirkte auf Olympias so gewaltig, daß ihre körperlichen Kräfte darunter erlagen: sie verfiel in eine schwere Krankheit.
Da that nun Chrysostomus, der ohne Zweifel aus ihren Briefen und aus den Berichten dritter Personen das Gefährliche ihres Zustandes klar erkannte, durch die unvergleichlichen Trostbriefe sein Bestes, um ihre Betrübniß zu mildern und zugleich ihrer Gesundheit wieder aufzuhelfen. Nach und nach gewann auch Olympias das innere Gleichgewicht und die Ruhe der Seele wieder.
Von ihren ferneren Schicksalen wird uns wenig mehr erzählt. Aus Konstantinopel ausgewiesen, verbrachte sie ihre noch übrigen Tage meist in Cyzikus und Nikomedien, und kehrte nie mehr in ihre Heimath zurück. Wegen ihrer Freundschaft mit dem heiligen Chrysostomus stand sie schon zu Lebzeiten allenthalben in hohem Ansehen. Noch größere Verehrung ward ihr nach ihrem Tode zu Theil, wegen der vielen Wunder, die man ihrer Fürbitte zuschrieb und die an ihrem Grabe geschahen. Ihre Gebeine wurden im Jahre 618 nach Konstantinopel gebracht und dort in dem Kloster beigesetzt, welches sie selbst gegründet hatte. Erster Brief.
Erster Brief.
1. Die Bedrängnisse der Kirche sind überaus groß, aber nicht von Dauer.
Meiner Herrin, der ehrwürdigen und frommen Diakonissin Olympias, Gruß im Herrn von Johannes.
Nun wohl, ich will es wieder einmal versuchen, deine Trauer, die dich schmerzt wie ein böses Geschwür, zu lindern und die Gedanken zu zerstreuen, aus denen sich dieses Gewölk in deiner Seele zusammenzieht. Was ist es denn, das deinen Sinn verwirrt?