Kommentar zum Briefe des Heiligen Paulus an die Römer. Johannes Chrysostomos

Kommentar zum Briefe des Heiligen Paulus an die Römer - Johannes Chrysostomos


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Es gab nämlich gar keine Hoffnung mehr, (aus eigener Kraft) gesund zu werden, sondern wie ein gichtgelähmter Körper einer Hand von oben bedarf, so auch die in todähnlichem Zustand befindliche Seele. Und noch schlimmer, der Apostel vergrößert den Vorwurf, indem er die Ursachen (warum die Seele in todähnliche Ohnmacht gesunken sei) angibt. Wieso? Er sagt, der Ohnmachtszustand sei eingetreten bei Gottes Langmut. Ihr habt keinen Grund, euch auszureden, will er sagen, als hättet ihr nicht viel Langmut und Erbarmen von Seiten Gottes genossen. Die Worte: „in der gegenwärtigen Zeit“ enthalten den Hinweis auf Gottes Langmut und Liebe. Zu einer Zeit, will er sagen, als wir bereits aufgegeben waren, als uns das Urteil schon gesprochen war, als das Übel den Höhepunkt und die Sünden das Übermaß erreicht hatten, da zeigte er seine Macht, damit du erkennen lernst, welche Fülle von Gerechtigkeit bei ihm wohnt. Denn wäre dies gleich im Anfang geschehen, so wäre es uns nicht so wunderbar und unerwartet vorgekommen wie jetzt, wo alle ärztliche Kunst an ihr Ende gekommen war.

       V.27: „Wo ist also das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.“

      Paulus bemüht sich sehr, zu zeigen, daß der Glaube eine größere Kraft entfaltete, als sich das Gesetz je vorstellen konnte. Nachdem er nämlich gesagt hat, Gott rechtfertige den Menschen durch den Glauben, kommt er wieder zurück auf das Gesetz. Und er sagt nicht: „Wo sind also die guten Werke der Juden? Wo das Rechttun?“ sondern: „Wo ist das Rühmen?“ Überall bringt er zum Ausdruck, daß sie bloß großtun, als hät- ten sie etwas vor den andern voraus, daß sie aber kein entsprechendes Werk vorweisen können. Auf die Frage: „Wo ist also das Rühmen?“ antwortet er nicht: „Es ist verschwunden und ist dahin“, sondern: „Es ist ausgeschlossen“, was mehr die Nebendeutung hat: Es ist nicht mehr an der Zeit; es ist nämlich nicht die Zeit dazu. Denn gleichwie, wenn das Gericht bevorsteht, keine Zeit mehr ist zur Umkehr, auch nicht beim besten Willen dazu, so hatten auch jene keine Zeit mehr, ihr Rechttun nach dem Gesetze (als Schutz) vor sich zu halten, nachdem einmal das Urteil gefällt war, das auf Verwerfung aller lautete, und als derjenige schon angekommen war, welcher dieses Unheil durch die Gnade zum Guten wenden sollte. Wenn es je am Platze war, sich auf die eigenen guten Werke zu verlassen, so war die Zeit dazu vor seiner (des Erlösers) Ankunft. Nachdem aber er angekommen war, der die Rettung durch den Glauben brachte, war die Zeit vorüber, wo man selbst darum kämpfen mußte. Wie alles eigene Bemühen als vergeblich erwiesen war, brachte er die Rettung durch die Gnade. Darum kam er erst jetzt, damit man nicht sagen könne: Wenn er am Anfang erschienen wäre, so wäre es trotzdem möglich gewesen, durch das Gesetz Rettung zu erlangen und durch eigene Arbeit und gute Werke. Um eine solche Keckheit in die Schranken zu weisen, hält er sich solange bei diesem Gedanken auf. Es soll ganz klar aus allem (was er sagt) hervorgehen, daß sie (die Juden) sich selbst nicht genügten, sondern daß sie durch seine (des Erlösers) Gnade gerettet werden mußten. Darum fährt er auch oben nach den Worten „zum Erweis der Gerechtigkeit“ fort: „in der gegenwärtigen Zeit“. Wenn manche dies nicht zugeben, so handeln sie etwa so, wie ein Verbrecher, der, außerstande, sich vor Gericht reinzuwaschen, verurteilt wird und seiner Bestrafung entgegensieht; dann aber, durch einen Gnadenakt des Königs freigelassen, nach seiner Freilassung die Unverschämtheit hat, sich zu rühmen und zu behaupten, er habe überhaupt nichts verbrochen. Bevor der Gnadenerweis gegeben wurde, hätte er dies beweisen müssen; nachdem er aber einmal da ist, gibt es kein Rühmen mehr. Derselbe Fall trifft bei den Juden zu. Von Haus aus waren sie verloren; darum kam für sie der Erlöser. Durch sein bloßes Kommen machte er ihrem Rühmen ein Ende; denn wer vorgibt, ein „Lehrer der Unmündigen“ zu sein auf das Gesetz pocht und sich einen „Erzieher der Verstandesschwachen“ nennt, dabei aber ebenso eines andern bedarf, der ihn belehrt und ihm Rettung bringt, der hat doch wohl keine Ursache, sich zu rühmen. Wenn schon vorher „die Beschneidung zur Vorhaut geworden war“, so um so mehr jetzt, da sie als ausgeschaltet erscheint sowohl für die Zeit vorher wie für die nachher. Das deutet der Apostel an durch das Wort „ausgeschlossen“ und zugleich auch das Wie. Wie wurde also (ihr Rühmen) ausgeschlossen? Durch welches Gesetz? Durch das der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.

       4.

      Sieh, auch den Glauben nennt der Apostel „Gesetz“. Er behält dieselben Namen bei, um den Schein der Neuheit zu vermeiden. Was ist das für ein Gesetz, das des Glaubens? Gerettet werden durch Gnade. Hier legt er den Finger auf die Macht Gottes, der nicht bloß rettet, sondern auch rechtfertigt und verherrlicht, und das ohne Werke (unsererseits) dazu nötig zu haben, sondern er verlangt nur Glauben. Das sagt er aber, um den zum Glauben gekommenen Juden bescheiden zu machen, und um den noch nicht zum Glauben gekommenen niederzudrücken und ihn so zum Kommen zu bewegen. Denn sollte der Jude, welcher bereits Rettung (durch den Glauben) erlangt hat, sich noch immer etwas einbilden auf sein Gesetz, so muß er nun hören, daß eben dieses Gesetz ihm den Mund schließt, daß es ihn anklagt, daß es ihm die Rettung abspricht und das Rühmen ausschließt. Der andere aber, der noch nicht zum Glauben gekommen ist, wird eben dadurch gedemütigt und wird leichter sich zum Glauben bekehren lassen. Siehst du da das Wesen des Glaubens? Wie er ein Aufgeben der früheren Heilshoffnung (auf Grund der guten Werke) ist und nicht einmal mehr ein Rühmen damit gestattet?

       V. 28: „Wir halten also dafür, daß der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt werde ohne Werke des Gesetzes.“

      Nachdem der Apostel dargelegt hat, daß die Heiden, wenn sie den Glauben angenommen haben, den Juden sogar über sind, spricht er mit aller Offenheit weiter über den Glauben und berichtigt einige Vorstellungen, welche die Juden beunruhigten. Zwei Dinge waren es besonders, welche die Juden verwirrten: Erstens, wieso es möglich sein solle, ohne Werke (des alttestamentlichen Gesetzes) Rettung zu finden, da doch sie mitsamt ihren Werken keine hatten finden können; und zweitens, ob es gerecht sei, daß die Unbeschnittenen ihnen gleichgestellt werden sollten, die sie doch so lange Zeit die Führung durch das Gesetz genossen hatten. Das zweite verwirrte sie noch mehr als das erste. Darum wendet er sich diesem Punkte besonders zu, nachdem er den ersten erledigt hat. So verwirrend war jenes zweite für die Juden, daß sie sogar später noch, als sie den Glauben schon angenommen hatten, dem Petrus Vorstellungen machten wegen des (heidnischen Hauptmanns) Kornelius und dem, was damit im Zusammenhange stand. Er sagt also: „Wir halten also dafür, daß der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt werde ohne Werke des Gesetzes.“ Er sagt nicht: „Der Jude“ oder „der, welcher unter dem Gesetze steht“, sondern er wählt ein Wort von weitem Umfange und öffnet angelweit die Tore zum ewigen Heil. Er wendet nämlich das Wort an, welches die Natur bezeichnet und sagt: „Der Mensch“.

      Hierauf nimmt er von da aus Gelegenheit, einen Einwand zu lösen, der ihm eigentlich nicht gemacht wird. Es lag aber doch nahe, daß die Juden, wenn sie hörten, der Glaube mache alle Menschen gerecht, sich darüber aufhielten und daran Anstoß nähmen; darum fährt er fort:

       V. 29: „Ist er denn bloß ein Gott der Juden?“

      Er will damit etwa sagen: Warum kommt es dir denn ungehörig vor, daß alle Menschen Rettung finden sollen? Ist denn Gott beschränkt auf einen Teil (der Menschheit)? Er will so dartun, daß sie in ihrem Be- streben, die Heiden beiseite zu schieben, eigentlich eher die Ehre Gottes schmälern, wenn sie nämlich nicht zugeben wollen, daß er der Gott aller sei. Ist er aber der Gott aller, dann trägt er auch Vorsorge für alle; trägt er aber Vorsorge für alle, dann muß er auch alle in gleicher Weise Rettung finden lassen durch den Glauben. Darum sagt der Apostel: „Ist er denn bloß ein Gott der Juden,

       nicht auch der Heiden? Ja, auch der Heiden.“

      — Er ist nicht beschränkt auf einen Teil (der Menschheit), wie (die Götter) in den Fabeln der Griechen, sondern er ist allen gemeinschaftlich und einer. Darum fährt er fort:

       V. 30: „Weil ja Gott einer ist.“

      D. h. er ist ein und derselbe Herr über diese wie über jene. Und sprichst du mir von der alten Zeit, so (sage ich) auch damals gab es eine göttliche Leitung aller, wenn auch die Art und Weise verschieden war. Dir (dem Juden) war das geschriebene Gesetz gegeben, jenem (dem Heiden) das natürliche Gesetz. Diese, die Heiden, waren darum nicht schlechter daran, ja sie konnten sogar,


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