verità. Sara Brändle
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
© 2021 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-99107-523-3
ISBN e-book: 978-3-99107-524-0
Lektorat: Laura Oberdorfer
Umschlagabbildungen: Sara Brändle, Daria Grushina | Dreamstime.com
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum Verlag
Innenabbildungen: Sara Brändle
Anker!
Mein Dad hat immer gesagt: „Glaube niemals, dass du unwichtig bist. Hinter jedem Leben steckt ein Sinn. Das Leben vieler Menschen wäre leer, wenn du nicht da wärst.“
Nun sitze ich ganz allein in einem schwarzen Raum. Es ist gespenstisch und gefährlich. Wo ist denn da der Sinn geblieben? Ich weiß nicht, was ich hier mache und habe keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin. Niemand ist bei mir und niemand wird mich retten. Die dunklen, eisigen Wände und auch die schwere Decke scheinen immer näher zu kommen, bis sie mich alle zerquetschen werden. Ich beginne am ganzen Körper zu zittern.
Ich suche verzweifelt einen Weg, um zu entkommen. Doch ich habe keine Chance. Kraftlos versuche ich die beiden auf mich zukommenden Wände auseinander zu drücken. Schließlich gebe ich auf und mit mir stirbt meine ganze dunkle und kaputte Seele.
Schweißgebadet liege ich nun in meinem Bett, als der Wecker klingelt. Ich öffne meine Augen und schaue ins Dunkle. Die Tür öffnet sich und das Licht geht an.
„Elea, du musst aufstehen“, ruft meine Mum. Doch ich wende meinen Blick nicht von der Decke ab. Sie ist so weiß und farblos. Nur in der Mitte der Decke sind ein paar blaue Farbkleckse. Im Malen mit Farben war ich noch nie sehr begabt und das hat auch meine Decke zu spüren bekommen. Trotzdem wollte ich sie nicht übermalen. Sie gefallen mir irgendwie. Diese wenigen, blauen Farbkleckse sind jeden Morgen das Erste und jeden Abend das Letzte was ich sehe.
Da klingelt der Wecker ein zweites Mal und reißt mich aus meinen Gedanken. Jetzt heißt es also aufstehen. Es ist ein Donnerstagmorgen, in der letzten Woche vor den Sommerferien. Donnerstag, ja genau. Der schlimmste Tag der Woche. Aber so ist das Leben. Man kann nichts dagegen tun. Es macht mit einem, was es will.
Also stehe ich auf und mache mich fertig für die Schule. Ich ziehe mein neues T-Shirt an, welches ich mir gestern gekauft habe und betrachte mich damit im Spiegel. Es liegt eng an meinem Körper und die braunen Locken, die leicht auf meinen Schultern liegen, passen perfekt dazu. Meine Mum hat mir Frühstück gemacht und ich schlurfe die Treppe hinunter.
„Guten Morgen“, sagt sie gut gelaunt, während sie in ihrem Pyjama vor dem Herd steht und sich ein Spiegelei zubereitet.
„Guten Morgen“, gebe ich müde zurück. Genüsslich esse ich mein Müsli und versuche dabei möglichst ernst zu wirken, damit meine Mum kein Gespräch mit mir beginnt. Als ich einen Blick auf die Uhr werfe, bemerke ich, dass ich schon sehr spät dran bin.
Deshalb mache ich mich schnell fertig und radle danach mit Höchsttempo in die Schule. Dort angekommen treffe ich Julia. Sie ist meine beste Freundin. Wir machen wirklich alles zusammen. Sie ist wie eine Schwester für mich. Schließlich habe ich ja keine und da ist sie der perfekte Ersatz. Gemeinsam begeben wir uns ins Schulhaus. In den Gängen herrscht Chaos. Schnell laufen wir die Treppen hoch bis ins Klassenzimmer. Heute sieht niemand aus meiner Klasse motiviert aus. Ich glaube, es liegt daran, dass wir alle Ferien verdient haben.
„Guten Tag alle zusammen“, begrüßt Frau Kramer uns.
„Dann beginnen wir jetzt mit dem Unterricht“, sagt sie. Und dann spricht sie und spricht und spricht … Ich mag keine Lehrer, die die halbe Unterrichtsstunde schon mit Erzählungen füllen, aber vor den Ferien ist es ein ganz guter Zeitvertreib. Danach gibt es nur noch eine kurze Arbeitszeit und dann wechseln wir auch schon das Klassenzimmer. So geht es weiter bis zur großen Pause. Julia und ich setzen uns auf eine Bank neben der Eingangstür.
„Hängt bei euch der Haussegen schief oder warum guckst du so?“, frage ich sie.
„Lena“, sagt sie nur. Lena ist Julias kleine Schwester, die es immer irgendwie hinkriegt, ihre große Schwester auf die Palme zu bringen.
„Was hat sie dieses Mal angestellt?“
Ich kann mir echt nicht vorstellen, was dieses kleine Biest nun schon wieder ausgefressen hat. Doch wie erwartet, hat Julia auch heute wieder eine neue Geschichte auf Lager und auch morgen wird es wieder so sein. „Was ist nur los mit dieser Welt, dass sie immer etwas gegen uns hat.“ Ich glaube, das ist auch Julias Gedanke, denn sie hört nicht mehr auf sich zu beklagen, bis sie schließlich von der Schulglocke unterbrochen wird.
Im Naturwissenschaftsunterricht nehme ich mein kleines Zeichnungsbuch hervor. Vor allem in diesem Fach zeichne ich, denn da ist es immer besonders langweilig. Heute haben wir Biologie. Unser Lehrer erzählt uns gerade etwas über den menschlichen Körper und dessen Wachstum. Doch das interessiert mich nicht. Gelangweilt nehme ich meine Stifte hervor und beginne ein Baby zu zeichnen. So falsch ist das schließlich gar nicht, denn es passt zum Thema.
Aufbruch!
Die Sonnenstrahlen, welche am Morgen mein Gesicht kitzeln, wecken mich auf. Langsam öffne ich meine Augen. Doch schon bald realisiere ich, dass der gestrige Tag kein Traum war. Italien ich komme.
„Italien!“, kreische ich plötzlich. Meine Mum hat gesagt, dass sie meinen leiblichen Vater im Urlaub in Italien kennengelernt hat. Doch die Aufregung, die ich verspürt habe, verlässt mich schnell wieder. Ich weiß nur seinen Namen und den Ort, an dem er vor 16 Jahren gearbeitet hat. Dazu ist Italien auch noch riesig und wahrscheinlich werde ich Kilometer weit von diesem Ort entfernt sein. Es ist hoffnungslos.
Ich nehme mir vor, den restlichen Tag nicht mehr darüber nachzudenken, springe auf und renne nach unten in die Küche. Leise decke ich den Tisch und bereite das Frühstück vor. Schließlich muss ich mich ja irgendwie bei meiner Mum bedanken, da sie mir diese Reise erlaubt.
Als sie die Küche betritt, strahlt ihr Gesicht. Ich mag es sehr, wenn meine Mum so glücklich ist wie heute. Es gab schon viel schlimmere Zeiten. Kurz nachdem Dad gestorben ist, war sie sehr oft traurig. Doch zum Glück geht es ihr jetzt wieder viel besser.
„Heute werde ich mich mit Julia treffen“, sage ich zu ihr. Die Vorstellung mit Julia für ein paar Wochen in ein Ferienlager zu fahren, ist fast zu schön, um wahr zu sein. Es werden viele andere Jugendliche in unserem Alter dabei sein, aus allen Ecken Deutschlands.
„Ja klar, das geht in Ordnung“, sagt meine Mum und schnappt sich einen Pancake. Sie nimmt sich noch die Tube mit Honig und gibt ein wenig davon auf ihren Pancake.
„Mmhhh … Die sind ja lecker geworden“, lobt sie mich, „bei deiner Tollpatschigkeit hätte ich das nicht