verità. Sara Brändle
die Treppe hinunter watschelt.
„Meine Pancakes“, antworte ich stolz.
„Ach so. Na, dann gehe ich wohl lieber wieder.“ Für diesen Satz erntet mein kleiner Bruder einen Klaps auf den Kopf. Schlussendlich wird er nämlich wieder derjenige sein, der am meisten davon isst. Das kann ich jetzt schon bestätigen.
Gleich nach dem Frühstück rufe ich den Veranstalter des Ferienlagers an und teile ihm mit, dass ich und Julia selbstverständlich dabei sind. Er versichert mir, dass er mir so schnell wie möglich die weiteren Informationen zukommen lässt. Ich bin wirklich total aufgedreht und schaffe es kaum, mich wieder zu beruhigen.
Das liegt aber zum Teil auch daran, dass ich den Brief viel zu spät gefunden habe. Obwohl es noch eine Weile hin ist bis zum Ferienlager, beginne ich heute schon einmal mit packen. Es ist zwar nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung, aber für heute geht’s. Ich suche mir meine Liste raus, welche ich als Kind immer zum Packen gebraucht habe und lese sie durch. Mit jeder neuen Zeile bemerke ich, wie lange ich schon nicht mehr in den Ferien war.
Es stehen die unnötigsten Dinge darauf, welche niemand in meinem Alter je brauchen würde. Also nehme ich ein Blatt und einen Stift und schreibe mir eine neue Liste.
Danach schreibe ich mir noch auf ein Notizblatt, wann ich morgen früh was erledigen muss, damit ich ja nichts vergesse.
Das mache ich immer so, wenn ich irgendetwas Wichtiges vorhabe. Ich weiß, viele Leute halten das für überflüssig, aber so bin ich halt. Ich muss immer die Kontrolle über alles haben. Es ist sehr wichtig für jemanden wie mich, bei dem sonst in kürzester Zeit ein riesiges Chaos ausbrechen würde. Ich gehe meine Packliste durch und verstaue alles, was ich brauche, in meinem Koffer.
Auf einmal klopft es an der Tür und meine Mum tritt in den Raum. Ich weiß genau, dass sie nur wissen will, ob ich auch sicher alles dabeihabe, aber ich hasse es.
Dann bringt sie wieder einmal meinen sorgfältig erarbeiteten Plan durcheinander. Genau so trifft es auch ein. Sie schaut alle meine Sachen durch, bis ich keine Ahnung mehr habe, wo ich gerade war.
Dann will sie mir noch tausende von Dingen einpacken, welche ich sowieso nie brauchen werde. Am Ende zwingt sie mich wahrscheinlich noch, eine Winterjacke einzupacken. Als sie endlich wieder aus meinem Zimmer verschwindet, schaue ich noch einmal alles von Anfang an durch, um sicher zu gehen, dass meine Mum auch ja keinen von meinen Plänen durcheinandergebracht hat. Schlussendlich ist dann endlich alles wie es sein sollte und ich mache mich auf den Weg zu Julia. Ich habe das Gefühl, ich fliege mit meinem Fahrrad, so schnell düse ich durch die Gegend. Bei Julia angekommen, begrüße ich sie mit einer herzlichen Umarmung. Auch Julia ist total am hyperventilieren.
Es geht zwar erst nächsten Sonntag los, aber wir beide können es kaum erwarten. Zusammen lesen wir die Mail, welche ich heute Morgen vom Veranstalter bekommen habe und gehen unsere weiteren Vorbereitungen durch.
„Julia!“ Meine Stimme klingt unsicher und ich weiß nicht genau, womit ich anfangen soll. Verwundert blickt sie mich an.
„Ich habe recherchiert und das Café, in dem mein leiblicher Vater gearbeitet hat, liegt ein paar Kilometer entfernt von unserem Ferienlager. Mit dem Bus braucht man nur zwei Stunden bis dorthin.“
„Und das nennst du ein paar Kilometer?“ Vorwurfsvoll und mit hochgezogenen Augenbrauen starrt sie mich an.
„Ich habe ein wenig in Mums Sachen herumgeschnüffelt. Ich habe mir zwar geschworen, dass ich das nie tun werde, aber in diesem Moment konnte ich nicht anders. Von dort weiß ich, dass er Francesco Moretti heißt und wo er gearbeitet hat. Kannst du dich nicht einfach darauf einlassen? Wenn wir in Italien sind, können wir einen kleinen Ausflug dorthin machen.“ Mit bettelndem Blick sehe ich sie an.
„Bitte …“
„Das besprechen wir später noch“, antwortet sie. Langsam beginnt Julia zu sprechen wie meine Mum. Natürlich hat sie Recht, denn jetzt müssen wir uns zuerst noch um viel wichtigere Dinge kümmern. Wir wollen ja nicht, dass noch etwas schiefläuft. Zugegeben, es fällt mir jedoch schwer zu glauben, dass diese Dinge wichtiger sind als meinen leiblichen Vater zu finden. Keinen Vater zu haben, ist nicht das Einzige, was für mich schiefgelaufen ist. Es wäre schön, nur dieses eine Mal Glück zu haben. Ich habe sogar das Gefühl, dass wir gar nicht so eine richtige Familie sind.
„Chaostruppe“, nennt Julia uns immer. Auch heute hat sie wieder etwas an uns auszusetzen.
„Hey, es ist schon zwölf Uhr. Du musst jetzt schnell nach Hause.“
„Wieso?“, frage ich verdattert.
„Sag mir jetzt nicht, du hast euern traditionellen Fa-milientag vergessen.“ Mit vorwurfsvollem Blick schaut sie mich an.
„Ach nein, ich doch nicht“, sage ich sarkastisch. Doch sie hat Recht. Ich muss jetzt wirklich schnell nach Hause. Der einzige Tag, an dem wir so richtig eine Familie sein können, ist der vierte Samstag im Monat und das ist heute. Da unternehmen wir immer etwas zu dritt oder wir bleiben zu Hause, spielen Spiele und schauen uns alte Erinnerungsfotos an. Heute wird es wohl ein Spieletag, wenn ich so nach draußen sehe.
Als allererstes spielen wir immer Monopoly. Das ist eine Tradition bei uns. Ich liebe dieses Spiel, weil ich dabei oft gewinne. So vergeht der Nachmittag. Am Abend holt Mama unsere alten Fotoalben aus dem Schrank und wir schauen sie gemeinsam an. Mein Lieblingsfoto von mir ist eines, auf dem ich ungefähr drei Jahre alt bin. In meinen Fingern halte ich ein tropfendes Eis. Dann geht es noch weiter, mit ganz vielen süßen Kinderbildern von mir und manchmal auch von Leon. Wir waren wirklich niedlich als Kinder. Das kann niemand bestreiten.
Abenteurerherz!
Ich erwache aus dem Schlaf und blicke um mich. Gegenüber von mir sitzt Julia, die immer noch tief und fest schläft. Heute Mittag hat Herr Schneider uns gesagt, dass wir noch etwas schlafen sollen, weil wir erst um 23 Uhr in Italien ankommen.
Danach hat uns Livia noch ein paar Stunden lang vollgelabert. Um 7 Uhr haben wir dann versucht zu schlafen.
Doch jetzt ist es 9 Uhr und ich bin schon wieder wach. In unserem Zugabteil ist es sehr ruhig und nur wenige sind noch oder schon wieder wach. Wir fahren noch zwei Stunden bis wir endlich ankommen.
Auch Livia sitzt schlafend neben mir und hat ihren Arm über meine Beine gelegt. Ich versuche ihn möglichst behutsam von mir zu nehmen, damit sie nicht erwacht. Dann stehe ich auf und gehe ein Weilchen durch den Zug, um mir die Zeit zu vertreiben. Als ich mich schließlich wieder zurück an meinen Platz begeben möchte, rempelt mich jemand von hinten an.
„Pass doch auf“, sagt eine Stimme und ich drehe mich um. Hinter mir steht ein Junge, der offenbar auch zu unserer Reisegruppe gehört.
Mit finsterem Blick schaut er mich an.
„Kennen wir uns?“, frage ich ihn. Ich bin komplett überrumpelt und realisiere gar nicht was ich da überhaupt sage. Der Junge ist groß und schaut mit seinen kristallklaren, blauen Augen auf mich herab. Er trägt ein schwarzes Shirt und eine genauso schwarze Jeans, was ihn irgendwie böse wirken lässt.
„Ne, wieso sollten wir“, antwortet er genervt, „lässt du mich jetzt endlich durch?“ Er drängt sich an mir vorbei und geht weiter. Ich glaube, den kenne ich doch nicht. So einen arroganten Typen möchte ich auch gar nicht kennen. Es gibt schon unfreundliche Menschen auf dieser Erde.
„Elea“, ruft eine Stimme und ich blicke um mich und entdecke Livia, die wohl aufgewacht ist.
„Schhh…“, flüstere ich, „die anderen schlafen doch noch.“
„Ist