Seewölfe - Piraten der Weltmeere 449. Fred McMason
an den Kanonen“, sagte Dan, „das sehe ich auch ohne Kieker. Und sie tragen Zöpfe und haben quittengelbe Visagen. Sie werden uns ganz sicher keinen Höflichkeitsbesuch abstatten.“
„Wie nett du das sagst. Räumt den Mars, wir machen sofort gefechtsklar.“
„Wirklich und wahrhaftig Zopfmänner?“ fragte Carberry. „Die haben bei mir noch eine Rechnung offen. Die Halunken haben mich mal im Land des Großen Chan an ein Faß mit Schießpulver gebunden und die Lunte gezündet. Wenn die Rübenschweine …“
„Jaja“, sagte Dan, „du hast es glücklicherweise überlebt. Aber jetzt machen wir erst gefechtsklar, denn wenn wir hier noch lange palavern, sind sie inzwischen auf gesegelt.“
Klarschiff zum Gefecht begann. Auch auf der „San Lorenzo“ herrschte jetzt emsige Hektik.
Hasard dachte flüchtig an Siri-Tong – die hätte er jetzt gern an Bord gehabt, denn die verstand sich auf chinesische „Rübenlümmel“.
2.
Die drei Kampfdschunken waren eindeutig schneller. Sie waren mittlerweile bis auf eine Distanz von etwa siebenhundert Yards aufgesegelt.
Auseinandergefächert segelten sie den beiden Schiffen nach. Eine der Dschunken, sozusagen das „Flaggschiff“, hing weit achteraus im Kielwasser, die beiden anderen waren nach Backbord und Steuerbord ausgeschert.
Hasard blickte wieder durch den Kieker. Auch Ben Brighton sah aufmerksam durch ein Spektiv.
„Sie scheinen schon eine lange Reise hinter sich zu haben“, sagte Ben. „Die an Backbord und Steuerbord aufsegelnden Dschunken haben rot angestrichene Drachenköpfe am Bug, aber die Farbe ist bereits stark vom Salzwasser angefressen und verblaßt allmählich.“
Hasard nickte unmerklich. Das Okular seines Kiekers war auf die achtern laufende Dschunke gerichtet. Dieses Schiff war etwas größer als die beiden anderen, sein Bug war von einem vergoldeten Drachenkopf verziert. Das Gold leuchtete noch sehr hell. Offenbar war die Farbe erst kürzlich frisch aufgetragen worden.
Dieser Galionsdrache sah furchterregend, unheimlich und exotisch aus. Wenn die Dschunke in der Dünung tanzte, dann bewegte sich dieser Drachen auf eine sehr lebendige Weise. Sein Maul schien jedesmal Feuer zu speien, sobald ein Sonnenstrahl ihn traf.
Hasard richtete den Kieker auf das Achterdeck, das etwas erhöht war. Dort stand ein muskelbepackter Riese, ein gewaltiger Kerl mit einem kahlen Schädel und nacktem Oberkörper. Der Kerl trug einen mächtigen, pechschwarzen Schnurrbart, der ihm wie eine Sichel unter das Kinn reichte. Er sah brutal und gewalttätig aus. Seine Schlitzaugen waren auf das Heck der „Estrella“ gerichtet, als wollte er das Schiff mit seinen Blicken verschlingen. Hasard erkannte auch Tätowierungen auf dem Oberkörper in blauen, schwarzen, grünen und roten Farben. Vermutlich stellten die Tätowierungen ebenfalls einen Drachen dar.
„Scheint der Häuptling dieser frommen Pilger zu sein“, meinte Ben. „Er sieht allerdings nicht gerade wie ein friedfertiger Teetrinker aus. Und von den anderen Kerlen kann man das auch nicht behaupten, obwohl sie so tun, als könnten sie kein Wässerchen trüben.“
„Ja, sie geben sich betont harmlos“, erwiderte Hasard. „Sie stehen da und starren Löcher in die Luft. Mich irritiert, daß sie jetzt Abstand halten und nichts unternehmen. Weshalb wohl? Ihre Kanonen sind geladen, sie brauchen nur noch etwas aufzusegeln und könnten dann das Feuer eröffnen.“
„Sie bedrohen uns“, sagte Ben gelassen, obwohl auch er sich reichlich unbehaglich fühlte. „Die Bedrohung ist da und nicht zu leugnen. Das soll uns vermutlich einschüchtern oder nerven. Je unbehaglicher wir uns fühlen, desto verunsicherter sind wir auch, jedenfalls vom Standpunkt der Zopfmänner aus.“
„Jedenfalls werden wir sie nicht mehr los“, sagte Dan, „und daß es Piraten sind, steht ebenfalls außer Zweifel. Sie wittern eine gute Beute und lassen sich Zeit. Sie nehmen sozusagen genau Maß und beobachten uns ständig.“
„Hast du mal die Kerle gezählt?“ fragte Hasard.
„Ja, auf jeder Dschunke befinden sich etwa vierzig dieser Zopfträger. Das sind insgesamt hundertzwanzig. Kann aber sein, daß sich etliche unter Deck aufhalten und sich absichtlich nicht zeigen.“
„Stimmt genau. Von mindestens hundertzwanzig müssen wir ausgehen. Das ist eine große Überzahl, aber die bereitet mir weniger Sorgen als die rechteckigen Dinger an Deck, die so geschickt unter Segeltuchverkleidungen verborgen sind. Und neben jedem dieser Dinger lungern ganz unauffällig zwei Kerle herum. Was mag sich wohl unter der Verkleidung verbergen?“
Shane räusperte sich leise, während Dan unbehaglich den Seewolf anblickte. Alle dachten wohl in diesem Augenblick das gleiche, aber Ben Brighton sprach es aus, und er schien nicht einmal sonderlich erschreckt zu sein.
„Meiner Ansicht nach stecken darunter Abschußgestelle für Brandsätze oder ähnliches Teufelszeug, wie es auch Siri-Tong, Thorfin Njal und wir schon eingesetzt haben.“
„Und das sagst du so in aller Ruhe?“ fragte Shane. „Mir läuft dabei ein eiskalter Schauer über den Rücken.“
„Wenn das der Fall ist“, sagte Hasard ernst, „dann können die Le Vengeurs und wir unser letztes Gebet sprechen. Jeder von uns kennt die verheerende Wirkung der Brandsätze. Was die einmal treffen und in Brand setzen, das ist nicht mehr zu löschen.“
„Sehr richtig“, sagte Ben bedächtig und war durch nichts aus der Ruhe zu bringen. „Aber bei den Kerlen handelt es sich um chinesische Piraten, und die sind auf Beute aus. Die jagen keine Gemüsedschunken, sondern Kauffahrer – oder was sie dafür halten. Sie werden ihre Brandsätze ganz sicher nicht einsetzen, das ergäbe keinen Sinn, denn dann ist die Beute futschiflutschi, um das chinesisch auszudrücken.“
„Ich wußte gar nicht, daß du Chinesisch kannst“, sagte Hasard mit einem harten Lächeln, „aber rede nur weiter.“
„Wenn sie uns in Brand schießen“, fuhr Ben unerschütterlich fort, „dann haben sie nichts davon. Sie vergeuden nur ihre Brandsätze. Also werden sie ein bißchen Feuerzauber veranstalten um uns, die wir ja bekanntlich die weißen Teufel sind, in Angst und Panik zu versetzen. Wenn ihnen das geglückt ist, werden sie entern, in der Überzahl sind sie ja.“ Ben Brighton grinste ein bißchen verwegen. „Diese Brüder wissen allerdings nicht, daß sie es weder mit ängstlichen Kauffahrern noch mit harmlosen Chorknaben zu tun haben. Immerhin sind wir ja recht hartgesottene Kerlchen, und wir haben auch noch etwas in der Trickkiste, oder sehe ich das falsch?“
„Scheint dich gar nicht sonderlich zu berühren“, erwiderte Hasard, „du strahlst eine geradezu beängstigende Ruhe aus. Aber ich muß dir recht geben, Ben, deine Überlegungen sind sehr gut. Sie werden ganz sicher erst einen Feuerzauber veranstalten. Wenn das Gekrache und Geheule losgeht, werden sie glauben, daß wir total eingeschüchtert sind, denn die Brandsätze sind ja kaum bekannt. Diese Überraschung werden sie also bei uns nicht erleben.“
„Was unternehmen wir, Sir? Abwarten, wie die Kerle sich verhalten?“ fragte Dan.
Hasard hatte sich längst entschlossen. Er gefiel sich nicht in der Rolle des Gejagten, dem die Verfolger lauernd im Nacken saßen, bis sie sich entschieden, zuzuschlagen. Er wollte nicht länger das Wild spielen, das ständig gehetzt wurde.
„Sie sind uns in jedem Fall überlegen, wenn sie überraschend angreifen“, sagte er. „Drehen wir den Spieß um, und jagen wir die Jäger. Dabei fühle ich mich wohler.“
Auch der Profos, der inzwischen achtern aufgekreuzt war, nickte begeistert. Angriff war immer noch die beste Verteidigung. Dann hatte man es wenigstens hinter sich.
„Dieser glatzköpfige Brummzumsel gefällt mir überhaupt nicht“, sagte er. „Ich habe den Kerl durch das Spektiv beobachtet. Der sieht wie ein Blutsäufer aus, wie ein Knochenbrecher der übelsten Sorte. Wir sollten ihm ein bißchen Feuer unter seinen Henkersbart legen, Sir. Ich bin jedenfalls